In Freiburg beginnt die Saison eins nach Christian Streich ohne internationales Geschäft, dafür aber mit Kontinuität im Kader. Ein Blick zurück und voraus.
Text: Susanne Maerz
Wie aus der Not eine Tugend oder besser noch ein gelungener Coup werden kann, zeigte sich beim Trainingsauftakt der Bundesligaherren des SC Freiburg Anfang Juli: Zwischen Stadion und Trainingsplätzen rollten die Bagger. Weil der Außenbereich umgestaltet wurde, konnte die erste und zugleich öffentliche Trainingseinheit nicht wie sonst dort stattfinden. Also verlegte der Sport-Club sie ins Stadion, zudem von einem Werk- auf einen Sonntag und öffnete die Osttribüne gratis für die Fans. Rund 5000 Gäste, darunter viele Familien, dankten es dem Verein und jubelten der Mannschaft und dem neuen Trainerstab um Cheftrainer Julian Schuster zu. Ein Traumstart bei Sonnenschein, von dem andere Vereine nur träumen können.
Freilich waren da noch längst nicht die Tränen aller Fans getrocknet angesichts des Abschieds von Christian Streich nach zwölfeinhalb Jahren als Cheftrainer und 29 Jahren im Verein. Nicht zu vergessen der Abschied von Co-Trainer und Analyst Patrick Baier nach 25 Jahren. Stellvertretend dafür, wie vor allem Streich das Bild des SC mit seinen markigen Sprüchen und gesellschaftspolitischen Positionen bundesweit geprägt hat, standen die Worte auf dem Banner der Fans des 1. FC Heidenheim am vorletzten Spieltag: „Loyalität und Ehrlichkeit, leider eine Seltenheit“ und „Danke Christian“ war darauf zu lesen. Wohlgemerkt: Fans beider Lager zollten Streich Tribut. Ebenso bemerkenswert war, dass nicht nur die Freiburger, sondern auch die Heidenheimer Profis während der gesamten Abschiedszeremonie für Streich und Baier auf dem Spielfeld blieben, Beifall klatschten und Heidenheims Trainer Frank Schmidt einen Präsentkorb überreichte.
Sportlich war die Saison 2023/24 im Gegensatz zu den beiden vorausgegangenen Spielzeiten geprägt von vielen Verletzungen von Leistungsträgern wie Matthias Ginter und Philipp Lienhart, notwendigen Umstellungen im Spiel und viel Pech, wenn der Ball einfach nicht ins Tor wollte. Stellvertretend für Spiele, in denen so gar nichts gelingen wollte, standen die 5:0-Klatsche gegen den VfB Stuttgart in der Bundesliga und das Pokalaus in der zweiten Runde gegen den SC Paderborn vor heimischer Kulisse. Aber es gab auch viele spannende Partien mit gutem Ausgang in letzter Minute wie der 3:2 Sieg in der Nachspielzeit gegen den RC Lens im Rückspiel des K.-o.-Runden-Play-offs der Europa-League, oder das 2:2 in der Bundesliga gegen den FC Bayern München und das 1:0 im Achtelfinalhinspiel gegen West Ham United kurz hintereinander. Zweimal in Folge im Achtelfinale der Europa League zu spielen war für den SC ein historischer Erfolg. Dem gegenüber steht das Pech, am letzten Spieltag undenkbar knapp das europäische Geschäft verpasst zu haben und auf Platz zehn zu rutschen – wie zuletzt in der Saison 2020/21.
Zeit für Julian Schuster, sich einzufinden
„Natürlich hätten sich viele gefreut, wenn der Sport-Club wieder international spielen würde“, sagt Helen Breit, Vorstand Fanpolitik der Supporters Crew, einem Interessensverband für aktive Fußballfans des Sport-Clubs, und fügt angesichts der vielen Spiele hinzu: „Aber es war auch für die Fans eine enge Taktung“. Sie blickt nun gelassen und spannungsvoll nach vorne und freut sich „auf eine Saison, die von Liga und DFB-Pokal geprägt sein wird“, sagt Helen Breit. So habe Julian Schuster als neuer Trainer die Möglichkeit, sich einzufinden.
Ähnlich sehen es die Verantwortlichen des SC: „Wir wissen, dass wir die Latte ziemlich hochgeschraubt haben“, sagte Sportvorstand Jochen Saier nach dem Trainingsauftakt mit Blick auf die Erfolge der vergangenen Saisons. Jedes Jahr europäisch zu spielen, sei nicht das strukturelle Ziel geworden. „In besonderen Jahren können wir es erreichen“, erklärte Saier und betonte: „Wir wissen, dass es nach einem Trainerwechsel durchaus ein bisschen ruckeln kann.“ Das müsse allerdings nicht so sein. Aber er sei froh, dass es im Kader keinen großen Umbruch gab, antwortete er auf die Frage nach Transfers.
Yannik Keitels Wechsel zum VfB Stuttgart stand schon länger fest, Roland Sallais Verbleib war bei Redaktionsschluss noch ungewiss, ein Wechsel zeichnete sich aber ab. Drei Neuzugänge konnte der SC beim Trainingsauftakt bereits präsentieren, darunter den Ex-Heidenheimer Stürmer Eren Dinkçi, der Nils Petersens Nummer 18 übernommen hat und die zuletzt fehlende Schnelligkeit ins Freiburger Spiel zurückbringen soll. Nachwuchs aus dem Verein gibt es ebenfalls, wie man es beim SC gewohnt ist. Das ist auch gut so. Denn in den kommenden Jahren steht ein größerer Umbruch im Kader an, wenn Stammspieler wie Christian Günter, Vincenzo Grifo und Nicolas Höfler nach und nach altersbedingt ausscheiden.
Nach wie vor im Umbruch ist dagegen die zweite Mannschaft, die vor einem Jahr nach der Vizemeisterschaft in der 3. Liga riesige Veränderungen im Kader verkraften musste. Nach einer beeindruckenden Aufholjagd in der Rückrunde verpasste sie knapp den Klassenerhalt und stieg in die Regionalliga ab. Dort hat mit Trainer Benedetto Muzzicato, der auf Thomas Stamm gefolgt ist, eine andere Art von Neustart bereits begonnen.
Im neuen Stadion angekommen
Der Weg in die Regionalliga ist auch hier ein Zurück zum alten Freiburger Normal. Dagegen ist das Europa-Park-Stadion für die meisten Mitarbeitenden, Spieler und das Publikum zum neuen Normal geworden.
„Das neue Stadion wird inzwischen sehr gut angenommen“, bestätigt Benjamin Munkert, Leiter des Fanprojekts Freiburg, das im Sommer selbst von der Dreisam in den Freiburger Westen gezogen ist, um so vor allem an den Spieltagen die Fans besser betreuen zu können. Munkert und sein Team machen Fansozialarbeit und sind Anlaufstelle für Ultras zwischen 12 und 27 Jahren an Spieltagen und begleiten zudem unter 18-Jährige zu Auswärtsspielen. Und die Sozialpädagogen fungieren als Schnittstelle zwischen der Fanszene und den Behörden, also Polizei und Ordnungsamt, auf der einen sowie dem Verein auf der anderen Seite. Munkert berichtet, dass es die Fans aber weiterhin schade fänden, nicht wie an der Dreisam über eigene Räume im Stadion verfügen zu können. Auch sonst würden sie gerne mehr einbezogen werden, berichtet er. Gleichwohl könne er verstehen, dass dies dem Verein, der ja wirtschaftlich agieren müsse, nicht immer möglich sei.
Generell gilt fürs neue Stadion: Die Abläufe sind eingespielt, die Wartezeiten in den Gastroschlangen kürzer geworden. Zudem laufen die Arbeiten zur Erweiterung des gastronomischen Angebots im Außenbereich. Zum Saisonstart sollen sie weitgehend abgeschlossen sein. Ziel ist es, so den engen inneren Umlauf zu entlasten und die Aufenthaltsqualität im Stadion auch vor und nach den Spielen zu verbessern. „Ich vermute, dass dies nicht alle Probleme lösen wird, weil der Stadionumlauf einfach zu klein ist“, sagt Helen Breit zu den Maßnahmen. „Aber es ist gut, dass die Engstellen erkannt wurden und nachgebessert wurde.“
Nachgebessert hat der Sport-Club auch bei der Ticketvergabe. Es hatte viel Unmut von Vereinsmitgliedern und weiteren Fans gegeben, denen es nicht gelungen war, einen oder mehrere der begehrten Plätze zu ergattern. Läuft es jetzt? „Die diversen Anpassungen haben sich bewährt. Insbesondere die komplette Aufteilung der Vorverkäufe auf verschiedene Tage und die Jokerphase haben zu einer breiteren und gerechteren Verteilung der Einzeltickets geführt“, sagt Daniel Däuper, Bereichsleiter Vertrieb und Services beim SC Freiburg.
10.000 neue Mitglieder in einem Jahr
Natürlich bekommen nach wie vor nicht alle, die wollen, auch Tickets. Das zeigt schon ein Blick auf die Zahlen: 34.700 Sitz- und Stehplätzen stehen inzwischen 70.000 Vereinsmitglieder gegenüber. Das sind 10.000 mehr als vor einem Jahr beziehungsweise 50.000 mehr als noch im August 2019. Ist diese Entwicklung nun gestoppt, da der SC zumindest in der neuen Saison nicht mehr international spielt? „Einen Trend abzulesen, ist schwierig. Die Mitgliederzahlen steigen nach wie vor überdurchschnittlich“, sagt Däuper.
„Das ist schon wahnsinnig“, meint Helen Breit von der Supporters Crew zu dem immensen Zulauf. Die 37-Jährige kann sich noch daran erinnern, dass sie gefragt wurde, warum sie eigentlich Mitglied beim Sport-Club sei. Ihre Antwort ist damals wie heute dieselbe: „Wir Mitglieder bilden die Basis des Vereins.“ Es gehe daher nicht in erster Linie um sportliche Erfolge oder die Möglichkeit, als Mitglied einfacher an Tickets zu kommen. „Ich möchte Teil von etwas sein und zugleich mein Mitbestimmungsrecht wahrnehmen“, sagt Helen Breit. Sie hofft, dass auch die neuen Mitglieder von ihren Möglichkeiten der Mitgestaltung außerhalb des operativen Geschäfts, also des Sportlichen und Wirtschaftlichen, Gebrauch machen und zudem die Werte des Vereins wie wirtschaftliche Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung unterstützen. Helen Breit appelliert zugleich an den Sport-Club, „nicht nur gesellschaftlich Gutes zu tun, sondern auch einen Teil der Mitgliedsbeiträge dazu zu verwenden, das Vereinsleben und die Fankultur zu gestalten“. Mit 70.000 Mitgliedern gebe es da schließlich einiges zu tun.