Stadionsprecherin, Moderatorin, Zirkusdirektorin – Julica Goldschmidt ist die Stimme der Region. Im Café Marcel im Freiburger Stadtgarten sprechen wir über ihre Anfänge, die große Verbundenheit zur Stadt und das Interview mit Kanzler Scholz.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Santiago Fanego
Sie sei ein schicksalsergebener Mensch, sagt Julica Goldschmidt. Nichts von dem, was sie erreicht hat, habe sie so geplant. „Ich bin bislang ohne große Träume durchs Leben gegangen. Das klingt traurig, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Ich bin dankbar für das, was passiert“, erzählt die 43-Jährige, als wir uns im Freiburger Stadtgarten treffen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Leuten: Bei Julica fing es an mit BadenFM, damals noch der Sender FR1. Nach wenigen Tagen Praktikum wusste sie: Hier gehe ich nicht mehr weg. „Das war gut so, meine Chefs sagten: Wir geben dich auch nicht mehr her.“ Und sie blieb – bis heute. Seit 20 Jahren ist Julica Goldschmidt Stimme beim Sender. „Das Radio ist mein Zuhause“, sagt sie.
Inzwischen arbeitet sie in Teilzeit, einfach, weil zu viele andere Aufgaben dazugekommen sind. Die letzte ist ein ziemlicher Hammer: Seit vergangener Saison ist Julica – SC-Fan, seit sie als 12-Jährige im Stadion saß – Stadionsprecherin. Als zweite Frau in der Bundesliga. Ein Traumjob, der sie zunächst überrumpelte: „Als die Anfrage kam, habe ich erstmal einen Schreck bekommen.“ Sie weiß noch genau, wo sie stand (in der Küche) und was sie tat (Zwiebeln schneiden), als das Telefon klingelte. „An diesen Job habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht, obwohl ich wusste, dass Claus Köhn aufhört. Ich habe das keine Sekunde mit mir in Verbindung gebracht“, meint sie kopfschüttelnd. „Da kann man mal sehen, wie tradiert sogar die eigenen Vorstellungen sind.“ Denn Julica hatte beste Voraussetzungen: Sie ist ausgebildete Sprecherin, hat jahrelange Moderations- und Fußballerfahrung. Von 2014 bis 2018 war sie bereits im Dreisamstation die Warm-up-Moderatorin vor dem Anpfiff.
Nun sitzt sie bei jedem Heimspiel am offiziellen Stadionmikrofon, da muss man sich durchbeißen. Denn der Gegenwind ist stark. Nicht nur, dass sich die Fans nach 35 Jahren Claus Köhn an eine neue Stimme gewöhnen müssen, einige der Äußerungen zielen deutlich unter die Gürtellinie. Neulich habe sie sich versehentlich im Sumpf der Kommentarspalten verloren und es „bitter bereut“, erzählt sie ernst: „Ich unterscheide zwischen Kritik – und die ist ja im besten Fall ein Geschenk – und fiesen Beleidigungen. Wenn man mich aufgrund meines Frauseins diskriminiert und mir Kompetenz abspricht, empfinde ich das als tief verletzend.“ Julica versucht, sich auf ihr Gefühl zu verlassen, Onlinekommentare gar nicht mehr zu lesen. „Die Kunst des seitlichen Vorbeigehens“, zitiert sie frei nach Namensvetter Max Goldt.
Immerhin hat sie genügend Erfahrung mit der Öffentlichkeit. Kaum eine Gala, nur wenige Preisverleihungen oder Firmenevents in der Region, die die 43-Jährige noch nicht moderiert hat. Ihre Stärke liegt im Echten. Julica ist gut, weil sie Julica ist. „Ich bin davon überzeugt, dass Authentizität immer sticht“, sagt sie. Als sie in diesem Jahr den Bundeskanzler interviewen durfte, war sie daher nicht aufgeregter als sonst. „Das Gespräch fiel mir leicht, weil er so zugewandt war“, berichtet Julica. „Aufregend fand ich eher die ganze Sicherheit drumherum: Helikopter, Security, Polizeiaufgebot.“
“Ich bin Traumschiff-Ultra.”
Julica Goldschmidt über ihre heimliche Tv-leidenschaft.
Bei all dem: Wäre nicht irgendwann der nächste Schritt dran gewesen: Fernsehen, Abendshow, die ganz große Bühne? „Mir ist es wichtiger, von Leuten umgeben zu sein, dir mir wirklich am Herzen liegen, als eine krasse Karriere zu machen“, sagt sie ohne zu zögern. Dafür sei Freiburg auch nicht der richtige Standort. „Ich hätte die Stadt verlassen müssen, und das wollte ich nie.“ Fernsehen sei sowieso nicht ihr Medium, dafür fehle ihr die Geduld. Lieber steht sie live auf der Bühne, im Stadion oder der Manege. Nur als TV-Zuschauerin kann sie sich gut verlieren, es hilft ihr beim Abschalten. „Ich bin Traumschiff-Ultra“, erzählt Julica am Schluss des Gesprächs. „Das ist für mich wie Urlaub für die Birne. Ich liebe alles daran und vor allem, dass es drunter und drüber gehen kann, wie es will, aber am Ende gibt es immer ein Happy End.“
Julica Goldschmidt und Netzwerk Südbaden arbeiten seit fünf Jahren zusammen. Sie moderiert seit August 2019 unseren Podcast – eine dieser Aufgaben, die sie ebenfalls nicht hat ahnen können. „Dass ich mal einen Wirtschaftspodcast begleite, hätte ich auch nie gedacht“, gibt sie beim Interview zu. (Anmerkung der Autorin, einer überzeugten Ex-Raucherin: Das, was aussieht wie eine E-Zigarette ist ein Diktiergerät.)