Er gehört zu den international gefragtesten Künstlern, die Freiburg zu bieten hat. Und gleichzeitig zu den bescheidensten. Zuhause beim DJ.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Santiago Fanego
Die Goldene Schallplatte hängt im Keller. Dort, wo Rainer Trüby einen Großteil seiner immensen Vinylsammlung untergebracht hat. Alphabetisch sortiert lagern hier fast 20.000 Platten. Gut 10.000 weitere sind im Haus verteilt. Die Auszeichnung gab es für das Album 4:99 von den Fantastischen Vier. Trüby hatte für die damals unbekannten schwäbischen Rapper Samples gesucht, die sie für ihren allerersten Hit „Die da“ sowie für „Ein Tag am Meer“ verwendeten. „Man muss sich das so vorstellen: Ich stöbere nach einer guten Hookline, einem mitreißenden Sound, der dann als Inspiration dient“, erklärt Rainer Trüby und lässt den Originaltrack laufen. Es ist ein Stück von Asha Puthli aus den Siebzigerjahren, der charakteristische Beat von „Die da“ ist sofort zu erkennen. Damals spielte er zwei Tage lang Michi Beck und Smudo verschiedene Passagen vor, sie schnitten alles mit. Später wurde daraus der Hit, der die vier Stuttgarter Jungs berühmt machte.
Das ist vermutlich eines der herausragendsten Talente des DJs, er selbst sagt Rosinenpicken dazu. Tatsächlich gilt Trüby als einer der größten Perlenfinder im internationalen Musikbusiness. Seine Compilations wie die „Glücklich“-Reihe für Compost Records sind bis heute große Erfolge, 2023 erschien der sechste Teil. Momentan arbeitet er mit dem Londoner DJ Miche an einer neuen Platte mit alter Musik für ein englisches Label, die im Frühjahr erscheinen soll. „Eine Compilation von obskuren deutschen Jazzlabels, die wir wiederveröffentlichen wollen“, erklärt Trüby.
Rainer Trüby, 53 Jahre alt, graues Haar, Wollpullover und Blue Jeans, empfängt uns mit strahlendem Lächeln. Bestes Spätoktoberwetter: Die Sonne scheint, es gibt Espresso im Garten, im Hintergrund läuft der Plattenspieler. Und Trüby erzählt, wie alles anfing. Aufgewachsen im schwäbischen Speckgürtel, ging er Anfang der Neunzigerjahre zum Zivildienst nach Stuttgart, wo er seine erste Begegnung mit dem Dancefloor hatte. „Seniorentanztee mit DJ Rainer Trüby hieß das. Jeden Dienstag von 14.30 bis 17.30 Uhr“, erzählt er und lacht. In seiner Freizeit stöberte er auf Flohmärkten, immer auf der Suche nach Material – vor allem alte Jazz- und Soulplatten aus den Siebzigern hatten es ihm angetan. Nebenbei legte er sonntagnachts Acid Jazz im legendären Stuttgarter On You auf – dem Club, in dem Michi Beck vor der Fanta-4-Zeit Resident-DJ war. „Er hat damals Hiphop mit Soulfunkjazzsamples kombiniert, ich war begeistert, habe mit Bleistift und Notizblock mitgeschrieben.“
Der Liebe wegen zog Trüby nach dem Zivildienst nach Freiburg, begann ein Soziologiestudium, brach ab, gründete stattdessen mit Bernd Kunz die Band „A Forest Mighty Black“, produzierte Musik und nahm Songs auf. Die ersten Compilations erschienen, er wurde international als DJ gebucht, reiste nach England, Japan, Spanien, Brasilien, Mexiko und Portugal. „Ab Mitte der Neunzigerjahre konnte ich davon leben“, sagt Rainer Trüby. 1997 gründete er mit Roland Appel und Christian Prommer das Rainer Trüby Trio – spätestens damit habe er seinen Ruf als „genre-definierender Künstler zementiert“, schrieb die britische Presse. Kurz zuvor etablierte er die monatliche Freiburger Clubnacht Root Down im Waldsee, die zur ikonischen Partyreihe wurde und 2024 ihren 28. Geburtstag feiert.
Trüby tourt seit Jahrzehnten um die Welt, hat mehr als vierzehn Japan-Tourneen gespielt, ist in England zum Star-DJ avanciert. Er war beim „We Out Here“-Festival in London, spielte zu Silvester vor 25.000 Menschen in Bologna, legte im Berliner Watergate und in der Panoramabar im Berghain auf. Als DJ-Legende Sven Väth Mitte der Nullerjahre in seinem Frankfurter Club Cocoon seinen 42. Geburtstag feierte, stand Rainer Trüby am Mischpult.
Zugleich gehört er zu den bescheidensten Menschen, die man sich vorstellen kann. Einer, der seine Goldene Schallplatte in den Keller hängt. Einer, der sagt: „Gute Partys mache ich nicht an Metropolen fest.“ In Villingen-Schwenningen eröffnet demnächst ein neuer Club, darauf freue er sich. Und am allerliebsten sei er sowieso beim Root Down. Wenn es nach ihm geht, noch lange. Auch mit über 50 steht er gerne an den Plattenspielern und freut sich über eine Generation, die nicht nur Techhouse hört. Dafür, dass es noch mehr Tanzbares gibt, hat er schließlich selbst gesorgt.
Im Gespräch erwähnt Rainer Trüby einen alten Freiburger Kumpel, der nach Berlin gezogen ist: DJ Rampa, bürgerlich Gregor Sütterlin. Mittlerweile steht er zum Beispiel beim berühmten Coachella-Festival auf der Bühne und ist mit Naomi Campell liiert. Die Bild schrieb über das Paar: „Das US-Supermodel küsst diesen deutschen DJ (leichter Bauchansatz, keine Ausbildung).“ Rainer Trüby zeigt uns den Link und lacht: „Leichter Bauchansatz, keine Ausbildung. Könnte man auch über mich sagen.“