Die Aufstockung oder Bebauung von ebenerdigem Einzelhandel wird aktuell in München und Berlin diskutiert. Eines der ersten, die das Thema entdeckt haben, war das Freiburger Unternehmen Unmüssig.
Von Rudi Raschke
Die Idee war so schlicht wie bestechend, und sie hatte einen ganz einfachen Ursprung: „Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht“, sagt der Projektentwickler Hans-Peter Unmüßig, den „bringt ein ebenerdiger Supermarkt mit großem Parkplatz schon ins Grübeln“. Bei Unmüßig war das quasi vor der Haustür seines Unternehmens an der Berliner Allee. In der Nachbarschaft hatte er mit 20-jährigem Vorlauf die Entwicklung des zerstückelten Brielmann-Areals zu den heutigen „West- Arkaden“ gestartet. Was auffiel, war das Areal um die Ecke, wo jetzt ein Aldi mit Wohnungen entstehen wird.
Unmüßig hat bereits in den „West-Arkaden“ Erdgeschoss-Geschäfte mit Wohnungen kombiniert, an besagter Berliner Allee einen Lidl überbaut, in naher Zukunft kommt das Einkaufszentrum Landwasser hinzu. Das ist erstaunlich, weil es in Freiburg, aber auch in der übrigen Republik, jahrzehntelang in Stein gemeißelt schien, dass ein Supermarkt ein ebenerdiger Bau mit Flach- oder Satteldach zu sein hat, drumherum viel versiegelte Parkplatz-Fläche und fertig. Zu sehen in Freiburg-Munzingen, an der Tullastraße und an vielen anderen Orten. Die Idee, dass es auch anders geht, mag bestechend sein, umzusetzen ist sie jedoch nicht mal eben nebenbei: Bei Aldi an der Breisacher Straße hält Unmüßig der Stadt vor, dass sie seinem Angebot, Aldi mehr Quadratmeter Ladenfläche zu ermöglichen, wenig kooperativ begegnete.
In Berlin seien solche Unterfangen einfacher zu realisieren. Hintergrund ist schlicht, dass Aldi entsprechend der Kundenwünsche und eigener Umsatzerwartungen sein Sortiment um deutlich mehr Artikel aufgestockt hat. Zur Lösung, die 80 Wohnungen über Aldi vorsieht, gehört auch die Schließung des benachbarten Norma-Marktes, auch hier entsteht ein Neubau mit vier Etagen. Aldi kann durch die Schließung 300 Quadratmeter mehr betreiben als bisher.
Bei einer Planung für die Verbindung von Einzelhandel und Wohnungen ist die Entwicklung bei den Sortimenten zu bedenken, es braucht aber auch „entsprechende Umsetzungskraft“, sagt Unmüßig. Beim Zentrum in Landwasser hat sein Unternehmen offenere Türen eingerannt: Nicht nur, weil er letztlich der einzige Entwickler war, dem die Stadt zutraute, das heruntergekommene EKZ abzureißen und neu zu bebauen. Sondern weil sich inzwischen abzeichnet, dass die Verwaltung in der Einheit von Läden, Gässle und Wohnungen ein Vorbild für andere Stadtteile sehe, als „kreative Lösung für die Wohnraumgewinnung in Freiburg und anderen Städten“, sagt Unmüßig.
Was der so umtriebige wie hartnäckige Bauunternehmer vor einigen Jahren in Freiburg angestoßen hat, sorgt inzwischen bundesweit für Debatten: Die Zeitung „Die Welt“ verwies zum Jahreswechsel jüngst auf Unmüßig und das Beispiel in Freiburg- Landwasser und bezeichnete es als „offensichtliche Absurdität“, dass angesichts von „Bietergefechten um die letzten verfügbaren Wohnungsgrundstücke“ noch eingeschossige Lebensmittelmärkte entstehen. In München gab es nach Informationen der „Welt“ erstmals 2016 einen „Supermarktgipfel“ mit Vertretern des Einzelhandels, Berlin folgte 2017.
Dabei sind sowohl Abriss und Neubau als auch Aufstockungsvarianten des Bestehenden diskutiert worden. In Berlin wurden 330 Standorte identifiziert, für die ein Potenzial von bis zu 33.000 Wohnungen denkbar wäre – einschränkend wirkt sich allerdings aus, dass es wie auch in Freiburg individuelle Bewertungen brauche. Grundsätzlich steht dem auch der Einzelhandel positiv gegenüber. Den Deal mit Aldi und Norma hat Hans- Peter Unmüßig selbst ausgehandelt und beide Grundstücke gekauft.
Deshalb wird er auch nicht müde, der Stadtverwaltung zu empfehlen, dass sie die Zusammenarbeit intensivieren müsse: „In Freiburg gibt es an vielen Stellen eine funktionierende Infrastruktur und Industrie- und Gewerbebrachen, die für Wohnzwecke entwickelt werden könnten“, sagt er. Dies könnten der Baubürgermeister und die Verwaltung aber nicht alleine leisten, es brauche die Kooperation mit jenen, die den Markt kennen und realistisch einschätzen. „Sie müssen mit ins Boot genommen werden, wenn in Freiburg Stadtverwaltung eine Zukunft haben soll.“ Dann gäbe es kurz- und mittelfristig „in der Innenentwicklung durchaus Chancen, adäqaten Wohnraum“ zu schaffen. Und vielleicht den einen oder anderen flachen Supermarkt weniger.