Wie schwer das Bauen in Freiburgs Mitte künftig noch wird, deutet ein Fall aus dem Stadtteil Wiehre an. Ein Lehrstück über Veränderungsfeindlichkeit, Protest und „alternative Fakten“ – mit denen sogar gegen genossenschaftlich organisiertes Bauen Stimmung gemacht wird.
Von Rudi Raschke
Was geschieht hier? Die „Familienheim Baugenossenschaft“ (rund 8000 Mitglieder) plant einen Neubau auf ihrem Areal an der Quäkerstraße nahe des Quartierszentrums am Alten Wiehrebahnhof. Eine schlichte Häuserzeile, die in der Nachkriegszeit hochgezogen wurde und nicht denkmalgeschützt ist, soll durch einen Neubau ersetzt werden.
Der Erhalt der bestehenden Wohnungen wäre vom Aufwand nicht zu rechtfertigen, der Neubau brächte den Bestand energetisch, brandschutztechnisch und unter Barrierefreiheit- Gesichtspunkten auf den gegenwärtigen Stand. Familienheim-Geschäftsführerin Anja Dziolloß erklärt, dass dies auch der Verpflichtung der Genossenschaft entspreche, den Bestand gut zu erhalten.
Dies sei sie nicht nur den Mitgliedern schuldig, die ihre Spareinlagen hier gut verwaltet wissen sollen. Auch die Mieter haben ein Recht darauf, wie bei bisherigen Sanierungen im Freiburger Westen, ein zeitgemäßes Heim zu bewohnen. Die weiteren Argumente: Die sehr kleinteiligen Wohnungen, um die es an der Quäkerstraße geht, wären gerade im Stadtteil Wiehre fern von den Ansprüchen junger Familien, für die das Familienheim ebenfalls ein besseres Angebot bereithalten will. Und nicht zuletzt: Mit der Sanierung durch einen Neubau würde das Familienheim künftig 20 Prozent mehr Wohnungen an der selben Stelle anbieten können. Hierfür soll eine bereits versiegelte Fläche, ein schnöder Garagenbau im Hof, mit einem Wohnhaus bebaut werden.
Diese Erweiterung des Angebots ist nicht selbstverständlich, wenn Genossenschaften ihren Bestand modernisieren, zur Erinnerung: Beim Bauverein Breisgau wurde das „Uni-Carré“ durch einen vergleichbaren Abriss gegenüber den Universitäts-Kliniken zu einem attraktiveren Wohnort. Dort hatte die Angleichung an zeitgemäßes Wohnen aller- dings zur Folge, dass die Zahl der Wohnungen abnahm, 141 (statt 170) sind es noch, die allerdings großzügiger geschnitten sind.
Der Protest gegen die Erweiterung des Angebots in der Wiehre ist beachtlich: Der Genossenschaft Familienheim wird nicht nur vorgeworfen, dass 36 Bestands- Wohnungen zugunsten von neuen weichen müssen – sondern, dass sie über den Abriss und die Luxussanierung von 300 Wohnungen in der Nachbarschaft nachdenkt, wie es eine Bürgerinitiative namens „Wiehre für alle“ nahelegt. Soviele Einheiten besitzt das Familienheim rund um das Areal insgesamt. Dass auch nebenan in naher Zukunft über eine Sanierung oder Neubau nachgedacht wird, bestreitet Dziolloß gar nicht.
Nur bedeutet das keineswegs, dass die Bewohner von 300 Wohnungen in naher Zeit die Abrissbirne vors Küchenfensterchen gestellt bekommen. Die Initiative schafft es, die Debatte auf das Gleis „Gentrifizierung“ zu schieben. So nennt man gemeinhin, wenn die komplette Sozialstruktur eines Quartiers auf Austausch und Überteuerung gedreht wird: Alte Bewohner werden dabei aus einfachen Wohnungen in schlichten Vierteln verdrängt, dann kommen zuerst die Künstler, am Ende siedelt sich aber auch gehobenes Bürgertum wie Zahnärzte oder Makler oder die gefürchteten Soja-Lattemacchiato- Familien an. Nur: Die Wiehre ist bereits seit Jahrzehnten einer der bevorzugten Kieze für diese Klientel. Und hier sollen keine Sozialund Arbeiterwohnungen in den Besitz eines Immobilienhais wechseln, der Penthäuser errichtet, es geht um eine Genossenschaft, die in ganz Freiburg eine monatliche Durchschnittsmiete von rund 6,90 € pro Quadratmeter berechnet.
Es wäre mithin das genaue Gegenteil einer Gentrifizierung. Das Vorgehen der Bürgerinitiative führt zu einem weiteren Irrtum: Das Familienheim bietet an der Quäkerstraße zwar enorm günstigen Wohnraum unter diesem Durchschnitt an, es handelt sich hier aber um keinen öffentlich geförderten Wohnraum, also Sozialwohnungen. Die Genossenschaft baut trotzdem freiwillig zu 30 Prozent öffentlich geförderten Wohnraum im Neubau. Für den Fall einer Sanierung ab 2019 erhalten die aktuellen Bewohner zu gleichen Tarifen Ausgleichswohnungen, der spätere Neubau wird ihnen zu 7,50 bis 10 € pro Quadratmeter angeboten. Die Bewohnerinitiative prophezeit bis zu 13 Euro pro Quadratmeter. Es bleibt ihr Geheimnis, warum sie sich gegen eine faire Neubau-Miete an einem Ort engagiert, wo 1200 Euro für 80 Quadratmeter längst an der Tagesordnung sind.
Von einer „Explosion der Mieten“ könne keiner sprechen, sagt Anja Dziolloß. Vorbild seien bereits erfolgte Sanierungen wie in Landwasser oder an der Berliner Allee, wo das Familienheim 40 Millionen Euro investiert hat. So etwas wirke sich „quartiersstabilisierend“ aus, sagt die Geschäftsführerin. Und: „Es wird nicht besser, wenn man nichts macht.“ Die Familienheim Baugenossenschaft werde hier aber „keineswegs mit der Brechstange durchgehen“. Die Bürgerinitiative selbst führt Journalisten und Lokalpolitiker durch ausgewählte, gut erhaltene Wohnungen in der Häuserzeile. Damit soll der Eindruck erweckt werden, dass die Neubaugründe durch das Familienheim fingiert wären. Die Initiative selbst gibt Kontaktadressen an, die in der Nachbarschaft der Häuser, aber auch in ganz anderen Stadtteilen angesiedelt sind. Bei einem Gespräch mit der „Badischen Zeitung“ weigerten sich die zehn anwesenden Aktivisten ihre Namen zu nennen.
Für ein Gespräch mit netzwerk südbaden kamen sie daher nicht in Frage. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass viele der Mitstreiter gar keine Betroffenen sind. Auch die Sammlung von dagegen-Unterschriften unter Touristen in Freiburger Innenstadt- Kneipen zählt zu den Methoden, um lautstark aufzutreten. „Wiehre für alle“ lautet das Motto der Anti-Genossenschaftskämpfer. Das ist klangvoll, aber angesichts der Realität auch anmaßend. Wenn dieser Stadtteil tatsächlich allen offenstehen soll, könnte der Genossenschaftsgedanke hierfür keineswegs die schlechteste Idee sein.