In Regionen wie Südbaden ist eine neue Baukultur gefragt – eine, die sich menschlichen Maßstäben, aber auch sozialen, ökologischen und technologischen Fortschritten stellt.
Von Rudi Raschke
Der schlichte Grund für diese Ausgabe: Die südbadische Region dürfte eine der beliebtesten in Deutschland bleiben, was das Wachstum angeht – und damit bleibt auch die Frage nach dem Bauen eines der großen Themen, die uns hierzulande beschäftigen werden. In unserem Regierungsbezirk vermutlich noch ein wenig mehr als in der bundesweiten Debatte gerade.
Denn egal, ob es um die erfolgreiche Ortenau, den prosperierenden Breisgau, die gut gehenden Gemeinden in der Nähe zur Schweiz oder den touristisch wie unternehmerisch boomenden Schwarzwald geht: Kreative Lösungen sind gefragt, gleich, ob damit ökologisches, soziales oder einfach nur ansehnliches Bauen gemeint ist.
Die Urbanisierung, also der Drang der Menschen in die Städte, ist regional, national, aber auch global eine riesige Herausforderung: Nach dem Jahrtausendwechsel lebte erstmals mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten, nach Berechnung der Vereinten Nationen sollen es 2050 sogar 70 Prozent sein. Das ist in erster Linie eine riesige Aufgabe für die Schwellen- und Entwicklungsländer auf anderen Kontinenten.
In Deutschland ist verglichen damit eher eine dezente,
aber unübersehbare Verschiebung zwischen den Regionen zu beobachten: Ein langsames Aussterben von ländlicher Infrastuktur im Osten gehört genauso dazu wie das größer werdende „Schwärmen“ in Richtung von Städten wie Freiburg – und das in jeder Hinsicht. Das bedeutet, dass das Bauen hier zwar keine globalen Anforderungen zu erfüllen hat, aber sehr wohl eine Optimierung braucht und mehr Raffinesse.
Letztlich entscheide der Faktor „Lebensqualität“ über die „politische, ökonomische und soziale Stabilität künftiger Stadtlandschaften“ sagt das Zukunftsinstitut des bekannten Vorzeige-Futuristen Matthias Horx. Zum Lebenswert-Feeling gehörten „innovative, nachhaltige Technologien, das veränderte ökologische Verständnis, politische Maßnahmen zur sozialen Integration und neue Mobilitätskonzepte“. Beispielhaft lässt sich das alles in der Region in und um Freiburg bei der Suche nach neuen Quartieren, Nachverdichtung und umweltfreundlicher Bauweise und Fortbewegung schon heute beobachten. In einem großen Freiluft-Experiment. Die Gegend hier scheint prädestiniert für den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft. Hierfür braucht es keine schmerzhaften Einschnitte wie in den traditionellen deutschen Arbeiterregionen: Südbaden besitzt mit seiner Bildungslandschaft zwischen Lehre und Tüfteln bereits ein zukunftsfähiges Fundament für den Wandel, der das Bauen bestimmen wird. Die Freizeitangebote hier sind mehr denn je auf die sogenannte „kreative Klasse“ junger und alter Akademiker, aber auch lebenslustiger Pensionisten, abgestimmt.
Der Freiburger Stadtteil Dietenbach als mögliches Muster für das neue Bauen
Wie gebaut werden kann, wird im Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmern und Steuerzahlern eine zentrale Rolle spielen. In Freiburg selbst dürfte der neue Stadtteil Dietenbach zur Blaupause werden, wie modern sich die Region in diesem Konkurrenzkampf aufstellen kann: Vergangenen Monat hat die Stadt für den rund 12.500 Menschen fassenden Neubau-Stadtteil (ab 2021) die vier Sieger-Entwürfe vorgestellt. Sie beschäftigen sich noch mit der Quartiersanordnung, nicht mit einzelnen Architekturdetails.
Und sie zeigen Beachtliches: Nämlich, dass solche Stadtteile von der Größe einer Kleinstadt nicht mehr als Planungen aus der Vogelperspektive zu verstehen sein dürfen, wie es der dänische Stadtplaner Jan Gehl in seinem Standardwerk „Städte für Menschen“ 2015 festgestellt hat. Für das Funktionieren ist für ihn der „menschliche Maßstab“ entscheidend. Also das, was sich zwischen den Häusern abspielt, vor allem in Quartieren, die nicht allein auf Autoverkehr ausgerichtet sind. In ihrer Vielfalt greifen alle vier Siegerentwürfe diesen Aspekt mehr oder weniger auf. Die Stadt Freiburg scheint gewillt, die Schönheitsfehler der 90er-Jahre-Schlafstädte „Vauban“ und „Rieselfeld“ – die eine sehr homogen bewohnt und mit dogmatischem autofrei-Konzept, die andere eher gemischt, aber reißbrettartig-kühl – nicht wiederholen zu wollen. Die groben Fehler der sozial problematischen 60er-Jahre-Trabanten Landwasser und Weingarten ohnehin nicht. Dafür setzen die Entwürfe auf eine Mixtur aus Mobilität, Wohnen und Gewerbe, auf dichten Stadtcharakter, aber auch Naturnähe in der Mitte. Und auch wenn das Unterfangen einigen aufgrund der Bebauung landwirtschaftlicher Flächen immer noch suspekt sein mag: es verhindert eine weit größere Versiegelung, die die Abwanderung von 12.500 Menschen, vor allem Familien, ins Umland bedeuten würde. Auch die ökologischen Folgen einer Mobilität, die vielfach ohne Eigen-PKW auskommt, dürften weit geringer sein.
In einzelnen Entwürfen fallen Begriffe wie „Urban Factory“, also die Idee einer Einheit von Wohn- und Arbeitsort im Zeichen flexibler Job-Modelle. Es sind großzügige Auen geplant, die das Viertel durchziehen und zu den angrenzenden reinen Naturflächen führen sollen. Die Hoffnung auf eine Bühne fürs Lässige mit hoher Wohnqualität, ein wenig Kreativquartier ohne Hipster-Penetranz, ein Vermischen von Luxus und Sozialverträglichkeit. Also landschaftsnaher Stadtgestaltung mit hoffentlich hoher Lebensqualität, wie sie Jan Gehls Heimat Kopenhagen aus dem Nichts auf die Liste der lebenswertesten Städte der Welt gesetzt hat.
Dass auch in der Region ein Muster hierfür entsteht, setzt aber noch weiter schauende Prozesse voraus: Dass die Stadt die Vernetzung, sowohl im Digitalen wie im Gemeinwesen, unterstützt. Noch ist hierfür Zeit, auch die Stadtplanung gemeinsam anzupacken: Nicht nur mit den Instrumenten von Bürgerbeteiligung und Informationsveranstaltungen, die inzwischen so pflichtschuldig wie krawallschachtelig von Verwaltung und Gegnern hinter sich gebracht werden. Sondern mit einer Gestaltung, die es ermöglicht, gute Ideen und Wünsche „bottom-up“ statt „top-down“, also ebenfalls aus ihrer Mitte statt von oben herab anzupacken. Auch das gehört zur Vernetzung; auch hierfür finden sich gelungene Beispiele in diesem Heft.