Die Vermessung des Betts: Kaum jemand kennt die Schlafgewohnheiten der Region so gut wie das Bettenhaus Stiegeler Schlafkomfort. Seit 1902 versorgt es die Menschen um Freiburg mit fast allem, was es für eine gute Nacht braucht.
VON RUDI RASCHKE
Schwer zu sagen, was man jemandem empfehlen würde, der heute noch ein Bettenfachgeschäft neu eröffnen möchte. Lieber gleich alle Hoffnung fahren lassen angesichts von Matratzen aus dem Internet, Kaltschaum, Schlaf-Apps, Mikrofaser und vielen anderen Errungenschaften, die das gute Liegen zu einer Halbwissenschaft bei Discountpreisen gemacht haben. Oder an die Sache herangehen wie Henrike Beck, die Stiegeler Schlafkomfort in nunmehr vierter Generation führt?
Das setzt auf das Thema Schlafkomfort und intensive Beratung, die vor allem individuell ausfällt. Rund ein bis zwei Stunden können für den Kauf einer Matratze mit oder ohne Bettgestell eingeplant werden. Wichtig für Henrike Beck und ihr Team ist es, das komplexe Thema dabei mit größtmöglicher Entspanntheit zu vermitteln, schließlich geht es ja einfach um die tägliche Erholung.
“Früher galt, dass es vor allem hart sein und dass die Wirbelsäule erzogen werden muss.”
Henrike Beck, Bettenexpertin
„Liegen Sie mal hin“, raten sie und ihr Team den Schlafwilligenzum Einstieg. Für die meisten fühlt sich das angenehm an, für einige gewöhnungsbedürftig, wenn sie auf einer für sie fremden Matratze Platz nehmen. Zu den Kunden zählen ältere Menschen, die möglicherweise nicht mehr ganz gesund sind. Oder Eltern, die gerade ihr erstes Kind bekommen haben. Aber auch neu geschlossene Beziehungen, die nicht das Bett aus der vorigen übernehmen möchten.
Befragt werden sie nach Allergien, nach Wärmeempfinden und Körperprofil sowie ganz schlicht nach ihren Schlafpositionen (Seite, Rücken oder Bauch). Begleitet wird dies von gutem Zuhören und von viel Verständnis. Beispielsweise weil nicht nur einzelne Haushalte in Deutschland davon betroffen sind, dass der Mann sich mit dem Hinlegen in einen tiefen (Schnarch-)Schlaf verabschiedet, während die Frau erst richtig wach dreht, sondern nahezu alle.
Vom Strohsack bis heute
Vor 120 Jahren haben Henrike Becks Urgroßeltern Gottfried und Rosa Stiegeler das Geschäft im Freiburger Stadtteil Neuburg gegründet. Um diese Zeit haben Menschen noch auf Betten aus Stroh geschlafen, später wurde hier mit Aussteuer aus Leinen gehandelt – damals berieten noch Mutter und Schwiegermutter die Braut beim Einkauf.
Über verschiedene Umzüge landete das Bettenhaus in der Gerberau, wo es heute seinen Sitz hat. Aus dem Strohsack wurde bis heute ein Produkt, das bei knapp 700 Euro für eine vernünftige Einzelmatratze aus deutscher Manufaktur beginnt, das Massivholzbett kann mit Lattenrost rund 5000 Euro kosten. Aus der Beratung für die Aussteuer ist ein tiefer Einblick in die Lebenswelten der Kundschaft geworden: Haben Sie Angst vorm Wachsein, was sind ihre Schlafenszeiten, ist der Schlaf Teil der Selbstoptimierung?
Die Trends rund ums Bett haben sich gewandelt: „Früher galt, dass es vor allem hart sein muss“, sagt Henrike Beck. Vorherrschende Idee sei quasi gewesen, „dass die Wirbelsäule erzogen werden muss.“ Wer erinnert sich nicht an den Futon, mit dem zwischenzeitlich asiatische Härte in deutschen Wohngemeinschafts-Betten Einzug hielt – wenn auch ohne die dazugehörige Askese.
Heute vermittelt Henrike Beck der Kundschaft vor allem, dass es zwar nicht weich und durchgelegen, aber ruhig komfortabel zugehen darf in Südbadens Betten. Und dass sich ihre Kunden das etwas kosten lassen sollten. Sie bringt gern das Beispiel von den Bekannten, die für zwei Wochen Maledivenurlaub beinahe mehr Geld investiert hätten als für das neue Bett, das sie in den übrigen Wochen des Jahres beherbergt.
Was man im Bettenhaus über Arbeit und Erholung erfährt
Wie wir vor 120 Jahren zu Bett gegangen sind? Henrike Beck sagt, dass unsere Vorfahren zur Gründungszeit ihres Geschäfts vor allem vor Erschöpfung ins Bett gefallen sind – und sich dabei eher wenig Gedanken über den Komfort drumrum gemacht hätten. Täuscht der Eindruck oder erfährt das Schlafzimmer heute eine Aufwertung, nachdem zwischenzeitlich auch die Küche und das Bad Gegenstand größerer Ambiente-Erneuerungen geworden sind?
Schlafräume seien längst nicht mehr der Abstellplatz für Bügelbrett und Wäschständer wie früher, sagt Henrike Beck. Das Bett selbst ist heute ein Ort, an dem mehr Zeit als früher verbracht werde: Zum Fernsehen, mit dem Laptop, beim Kaffee oder ausgedehnten Frühstück. Das sei die eine Seite der Medaille. Die andere: Im Zuge ständiger Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Schlaflosigkeit ist die Beratung auch mit Themen konfrontiert, bei denen es hin und wieder auch um die erfolgreiche Verkürzung der Schlafenszeit geht, um produktiver zu werden.
Gute Beratung und Aufklärung rund um den Schlaf, auch die haptische Erfahrung mit unterschiedlichen Stoffen und Oberflächen sind die Antworten auf viele Kundenfragen, die sich im Internet allenfalls anrecherchieren, aber nicht beantworten lassen. Das Team von Henrike Beck verhält sich hierzu bisweilen wie ein echter Psychotherapeut zu einer Googlesuche. „Wir spüren die Arbeitsverdichtung und das schnellere Leben“ sagt Beck über das, was ihre Kunden ihr an Bettgeschichten anvertrauen. Und: „Die Leute sehnen sich nach gutem Schlaf.“