Eine Geschichte, bei der man den Glauben an die Politik wieder zurückgewinnen mag: Ein Freiburger Unternehmer tritt in einer 4000-Seelen-Gemeinde an, gewinnt, gibt seine Arbeit auf und zieht mit seiner Frau ins Kinzigtal, wo er fortan als Bürgermeister lebt und arbeitet. Nicolai Bischler hat sich damit 2017 einen Traum erfüllt. Was bewegt diesen Mann?
Von Rudi Raschke
Zwischendurch habe es in seiner Planung doch einen „mulmigen“ Moment gegeben, sagt der Neu-Bürgermeister Nicolai Bischler in seinem Steinacher Amtszimmer: Als die Möbelpacker den Hausstand von ihm und seiner Frau Susann in Freiburg-Betzenhausen eingeladen hatten und sich erkundigten, woher sie denn genau kämen. Da sei ihnen nochmal bewusstgeworden, dass sie eigentlich ihr ganzes Leben im alten, ländlichen Teil des Quartiers im Westen an der Gaskugel verbracht hätten.
Und jetzt ein neues Leben vor ihnen liegt, das sich Bischler wohl überlegt hatte. Er war 55 geworden und wollte noch einmal wissen, was in den 15 Jahren bis zum 70. noch Neues vor ihm liegen könnte. Die drei Kinder waren aus dem Haus, gemeinsam mit seinem Bruder führte er ein vom Vater gegründetes Bekleidungsgeschäft mit drei Filialen im Freiburger Karlsbau, rund 40 Menschen arbeiten dort. Zugleich war er seit 25 Jahren vielfältig in seinem Stadtteil engagiert, leitete den Bürgerverein und zwischenzeitlich den CDU-Ortsverband und war für die Kirche aktiv.
Im Frühjahr 2017 begann er, sich mit seiner Frau Gemeinden anzuschauen, in denen er sich die Bewerbung vorstellen konnte, inkognito, bei Wanderungen und Spaziergängen. Zum 50 Kilometer entfernten Steinach gab es die Bindung, dass beide Familien ihre Wurzeln im Kinzigtal hatten, der Name Bischler ist dort verbreitet. Gefallen habe ihm die Offenheit und das Spontane, mit dem ihm die Menschen begegnet sind. Der Beschluss, es in Steinach, zu dem der Ortsteil Welschensteinach gehört, zu versuchen, war getroffen.
Er reichte die Unterlagen ein und warf als erster den Hut in den Ring. Bis er im September mit mehr als 96 Prozent der Stimmen gewählt wurde, führte er einen überaus aktiven Wahlkampf – viele Haustürbesuche, aber auch offene Veranstaltungen und Stadtspaziergänge standen auf seinem Programm. Er probierte es parteiübergreifend, das CDU-Parteibuch sollte keine Rolle spielen. Und er plante von vornherein, dass er im Erfolgsfall nicht die eine Stunde Pendelei auf sich nehmen, sondern die Aufgabe voll und ganz mit einem Umzug in Angriff nehmen wollte. Als es geklappt hatte, regelte der Diplom- Finanzwirt mit seinem Bruder die Aufgabenverteilung am alten Arbeitsplatz und überstand auch den „nicht ganz easy“-Moment, als die Möbelpacker sich erkundigten. Er fand eine intakte Gemeinde vor, in der es in puncto Finanzen keine bösen Überraschungen geben sollte. In der es eine funktionierende Nachbarschaft zu Haslach, Hausach und Mühlenbach gibt, in der weitere junge Bürgermeister wie der Freiburger Philipp Saar gerade Fuß fassen und die eher eine Kinzigtal-Identität pflegen als Dorf-Rivalitäten.
Die Sanierung des Rathauses, die noch sein Vorgänger Frank Edelmann in die Wege geleitet hatte, gilt es nun aus den Räumen einer Behelfs-Verwaltung zu managen und mit Blick auf Termin- und Kosteneinhaltung zu kontrollieren. Im Jahr 2019 wird Bischler wieder eine funktionierende Ortsmitte mit dem Dreieck Schule – Rathaus – Kirche beaufsichtigen. Eine, die übrigens auch mit funktionierenden Bürgerbeteiligungsmodellen wie einem „Bürgerrat“ ertüchtigt wurde, ein Modell, das eben nicht auf Betroffene setzt, sondern auf repräsentativ befragte Bürger. Bischlers Motto im Wahlkampf wie in der Amtsführung lautet „Einmischung erwünscht“, er beruft sich damit auf Inge Aicher-Scholls Gründungsleitsatz der Ulmer Volkshochschule.
Es ist unübersehbar, dass er sich wegen des Gestaltens, nicht um des Verwaltens willen, in Steinach hat wählen lassen. Mit einer „Zukunftswerkstatt“, sicher nicht üblich in Gemeinden dieser Größenordnung, will er langfristige Ziele gemeinsam ausloten. Was der Geschichte vom engagierten Unternehmer, den es tatsächlich in die kommunale Verwaltung zieht, zusätzliche Sympathie verleiht: Für die Steinacher ist kein „Haken“ dabei, dass Bischler sie als „Sprungbrett“ für höhere politische Weihen betrachtet. Es wäre zwar nichts Verwerfliches dabei, aber Bischler kann sich eher vorstellen, der ersten acht-Jahres-Amtszeit noch eine weitere Kandidatur anzuhängen. Von den 28 Jahren im familiären Geschäftsleben weiß er, dass er eher die Marathonstrecke als den Sprint beherrscht.
Ein „Gremienhopper“ mit vielen politischen Parallelfunktionen war er überdies nie. Bürgermeisteralltag zum Jahresanfang: Am Ende des Gesprächs stehen die Sternsinger vor der Bürotür, im Anschluss besucht er eine Bürgerin zu ihrem 90. Geburtstag. Nach der kurzen Winterpause stehen für ihn Gespräche über Grundstücke an und wie die närrische Zeit im Ort gestaltet wird. Anders als früher ist das Handling seines Terminkalenders jetzt etwas fremdbestimmter als zuvor.
Kehrt mit Politikern wie Bischler ein wenig das Sachorientierte in die Kommunalpolitik auf dem Land zurück, wo zwischendurch auch die eine oder andere Karrierefixiertheit – man denke an die freakshowartige Amtsführung in Gemeinden wie Hartheim – am Ruder war? Nicolai Bischler glaubt, dass es wieder attraktiver wird, sich für Bürgerinnen und Bürger zu engagieren, „weil dadurch auch etwas zurückkommt“. Seine Hoffnung: Menschen für Projekte zu begeistern, damit sich Dinge entwickeln. Und damit auch eine Kultur, die weiterreicht, wie er es nennt. In Zeiten, in denen sich landauf, landab die Rücksichtslosen und Lauten Gehör verschaffen, lässt so ein Statement aus dem Kinzigtal aufhorchen.