Wenn es um Frauen in Führungspositionen geht, stellen sie eine besonders seltene Spezies dar: Bürgermeisterinnen. Warum ist das weibliche Geschlecht an der Spitze von Rathäusern so unterrepräsentiert?
VON DANIEL RUDA
Ein wenig Zahlenstoff zum Einstieg: In Baden-Württemberg leben rund elf Millionen Menschen. Mit 50,3 Prozent ist der Anteil der Frauen darunter etwas höher als der der Männer. Rund 1100 Städte und Gemeinden gibt es in „The Länd“. Nur 92 davon haben eine Bürgermeisterin. Das ist eine Quote von gerade mal rund 8 Prozent.
Ein paar Wochen ist es her, da hat sich das Bürgermeisterinnen-Netzwerk in Titisee-Neustadt zum jährlichen Tagungswochenende ihrer kleinen Berufsgruppe getroffen. Es ging sowohl um verwaltungsspezifische Dinge als auch um Themen wie etwa Resilienz im stressigen Arbeitsalltag. Gastgeberin war die dortige Bürgermeisterin Meike Folkerts, die wie all ihre Kolleginnen regelmäßig auf dieses Ungleichgewicht angesprochen wird. Warum gibt es nur so wenige Frauen an der Spitze der Rathäuser?
Spoiler: Die ultimative Antwort darauf gibt es nicht. Auch die 37-Jährige, seit drei Jahren im Amt, hat sie nicht parat. „Ich habe schon an vielen Untersuchungen dazu teilgenommen, so richtig zum Schluss, warum das so ist, kam man dabei nie“, sagt Meike Folkerts. Bei der Ursachenforschung, warum das weibliche Geschlecht an dieser wichtigen Stelle in der Kommunalpolitik derart unterrepräsentiert ist, spielen jedenfalls geschlechtliche Rollenbilder und gesellschaftliche Prägung immer wieder eine große Rolle.
Dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Familienplanung in diesem Amt besonders schwierig umzusetzen sei, „das schreckt viele Frauen ab“, ist sich Meike Folkerts sicher, die selbst Mutter eines Jungen im Teenageralter ist.
„Auch wenn sich manches unheimlich platt anhört, trifft es zu“, sagt Astrid Siemes-Knoblich, ehemalige Bürgermeisterin von Müllheim im Markgräflerland, und spricht davon, dass Frauen im Vergleich zu Männern dazu neigen würden, ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen nicht selbstbewusst genug nach vorne zu stellen. „Wenn eine Frau eine Stellenausschreibung liest und von zehn gewünschten Qualifikationen sieben erfüllt und drei nicht ganz beherrscht, bewirbt sie sich nicht. Ein Mann denkt, ich kann drei und die anderen sieben werde ich schon im Job lernen, also bewerbe ich mich“, umschreibt sie es. Gerade was Führungspositionen betrifft, sei das ganz eklatant so. Dieser Eindruck habe sich durch ihre neue selbständige Arbeit, die sich um das Thema Geschlechtergleichheit (Gender Equality) dreht, bei ihr verfestigt.
„Man muss sich diesem Beruf wirklich komplett widmen“, sagt Meike Folkerts, die vor ihrer Amtszeit als Anwältin arbeitete und darum bemüht ist, auch bei Anfragen zum Thema ihr Frau-Sein nicht in den Vordergrund zu stellen. „Es geht ja darum, was ich schaffe und ob ich in meinem Amt die Stadt voranbringe“, das Geschlecht sei dabei egal, auch wenn sie als erste Bürgermeisterin im Hochschwarzwald gerade zu Beginn ihrer Amtszeit, die direkt mit Corona korrelierte, gefühlt unter besonderer Beobachtung stand.
„Das Schöne ist, und das ist vielleicht gerade als Frau ein Vorteil, dass es ja keine Vorgabe gibt, wie man in diesem Amt sein muss“, sagt Folkerts. Ihr eigener Ansatz sei es jedenfalls, einen kooperativen Führungsstil in der Verwaltung an den Tag zu legen, „der zwischen den Zeilen lesen kann“, wie sie es nennt. „Ich möchte mit einer Klarheit, aber auch mit einer Herzlichkeit agieren.“
Dass der Führungsstil einer Frau anders sei als bei einem Mann, da brauche man nicht drumherum zu reden, sagt Astrid Siemes-Knoblich, zudem sei gerade im ländlichen Raum gar nicht so sehr in der Bürgerschaft, sondern in Gremien und Verwaltungen eine spürbare Skepsis gegenüber Frauen im Bürgermeisterinnenamt vorhanden. Die Kommunalpolitik sei eben ein sehr männerdominierter Bereich. Dazu passt, dass sie derzeit auf den Gerichtstermin für ihre Klage gegen die Stadt Müllheim wartet, die erst ihrem männlichen Vorgänger und dann auch ihrem Nachfolger mehr Gehalt als ihr bezahlte (netzwerk südbaden berichtete).
Auch Dorothee Eisenlohr, Bürgermeisterin der 20.000-Einwohner-Stadt Schramberg im Schwarzwald, war bei der Bürgermeisterinnen-Tagung in Titisee-Neustadt dabei und profitiert vom Austausch im Frauen-Netzwerk, der im Alltag vor einen Messengerdienst stattfindet. Die 40-Jährige ist seit 2019 im Amt, war davor schon Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Schwarzwald-Baar-Heuberg und stand im Aufsichtsrat nur Männern gegenüber. „Teil meiner Motivation, Bürgermeisterin zu werden, war auch der Ärger darüber, dass es so wenige Frauen in diesem Amt gibt“, sagt sie. „Ich wollte diesen Schritt gehen und so vielleicht auch eine Vorbildrolle für Mädchen und andere Frauen einnehmen.“
Dass es an solchen Vorbildern fehle, sagt auch Gudrun Heute-Bluhm, Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg und von 1995 bis 2014 Oberbürgermeisterin von Lörrach. Die erfahrene Politikerin, die nach der vergangenen Bundestagswahl ihre Mitgliedschaft im Bundesvorstand der CDU niederlegte, erzählt von einer Initiative, die gerade vom Städtetag gestartet wurde. Mit der sollen mehr Frauen dazu animiert werden, bei Bürgermeisterwahlen zu kandidieren. „Ein Problem dabei ist auch: Frauen möchten tendenziell keine öffentlichen Personen sein, sondern pragmatisch und lösungsorientiert ihre Arbeit tun, ohne dabei das Rampenlicht zu suchen“, sagt Heute-Bluhm, das Rampenlicht ist in diesem Amt aber nun mal Standardbeleuchtung.
Zum Schluss nochmal etwas Zahlenstoff. An der Verwaltungsfachhochschule Kehl lernen derzeit rund 1500 Studierende in Studiengängen wie etwa „Public Management“, um später mal eine bedeutende Stelle im öffentlichen Dienst zu bekommen. 75 Prozent davon sind Frauen, Bürgermeisterin zu werden, können sich nur die wenigsten davon vorstellen. Paul Witt ist in Kehl Lehrbeauftragter, zuvor war er zwölf Jahre lang Rektor der Hochschule. In seine Vorlesungen integriert er so oft wie möglich Besuche von aktuellen und ehemaligen Bürgermeisterinnen, er versuche „mit allen Kräften“ einen Beitrag zu leisten, die Bürgermeisterinnen-Quote zu erhöhen. Er sagt: „Dieses Amt ist kein Männerjob“.