TikTok pusht Buchumsatz. KI erkennt Hautkrebs und hilft bei Steuerfragen. Ein Chip beschleunigt die Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Beim gemeinsamen Businesstalk der Kanzlei Friedrich Graf von Westfalen und Netzwerk Südbaden wurde analog über viel Digitales diskutiert.
Text: Christine Weis | Fotos: Santiago Fanego
Es gibt keine Branche, die an der Digitalisierung vorbeikommt – und das ist gut so. Dieses Fazit lässt sich nach einem Diskussionsabend zum Thema „Legal-Tech bis Book-Tok“ rund um KI, Software und Social-Media ziehen. Trotz mancher Skepsis aus dem Publikum bezüglich des Datenschutzes und dem Einsatz von Avataren bei Patienten überwiegen die Vorteile der lernenden Technologien.
Gastgeber Stefan Lammel, Geschäftsführender Partner der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen (FGVW), lädt Anfang Juni zum Businesstalk. In seinem Eingangsstatement begibt sich der 48-jährige Jurist zunächst auf eine Reise in die analoge Vergangenheit, um die rasante digitale Entwicklung zu verdeutlichen. In den frühen Achtzigerjahren zogen die ersten Computer in die Büros. Doch die juristischen Datenbanken bestanden noch lange aus meterhohen Bücherregalen. Eine historische Stimmung verbreitet auch das Ambiente, der Talk findet im Palais Dreisameck statt. Das Jugendstilgebäude wurde zwischen 1905 und 1910 als Firmensitz der Dresdner Bank gebaut. „Zunächst waren die Ergebnisse der elektronischen Dokumentenanalysen bescheiden. Wir waren schneller als die Kiste“, erzählt Lammel. Das habe sich geändert, aber es brauche immer noch den Menschen, der weiß, ob das Ergebnis auch stimmt. Legal-Tech erleichtert und beschleunigt Vorgänge, diese Tools und Anwendungen seien gute Hilfsmittel. „Aber wir werden nicht ersetzt, sondern müssen lernen diese neuen Werkzeuge, zu benutzen.”
Die anschließende Podiumsdiskussion moderiert Kathrin Ermert, Chefredakteurin von Netzwerk Südbaden. Die Talkgäste sind Iris Bode, Geschäftsführerin der Haufe-Lexware GmbH& Co. KG, Averbis-Geschäftsführer Patrick Oestringer, Elke Siebenrock, Marketingleiterin der Buchhandlung Rombach sowie der Nachhaltigkeitsberater Peter Bachmann.
Elke Siebenrock berichtet über Book-Tok, eine überwiegend weibliche Community innerhalb von TikTok, die rasant wächst. Influencerinnen und Creatorinnen (hauptsächlich Frauen zwischen 16 und 30 Jahre) empfehlen in Videoclips Bücher und tauschen sich über Inhalte aus. Der Trend kurbelt den Buchmarkt enorm an: 12 Millionen Bücher wurden 2023 in Deutschland verkauft, die Prognose für 2024 liegt bei 20 Millionen. „Book-Tok ist wirtschaftlich hoch relevant“, sagt Elke Siebenrock. Es sei aber auch ein Business, dass teils ohne den Handel funktioniert. Autoren und Autorinnen, Verlage und Agenturen vermarkten die Bücher häufig direkt. Gefragt sind Bände in hochwertiger Hardcover-Ausstattung mit Farbschnitt. Siebenrock hat einen der aktuellen Bestseller mitgebracht: „Save me“ von der Hamburger Autorin Mona Kasten. Inhaltlich geht es in den Romanen um Liebe, Fantasy oder Spannung. Für die Book-Toker habe man in der Buchhandlung einen Bereich eingerichtet, und es gibt Events wie kürzlich eine Lesung mit Maren Vivien Haase oder die Signierstunde mit Fabian Walter alias Steuerfabi.
„Book-Tok ist wirtschaftlich hoch relevant.“
Elke Siebenrock, Buchhandlung rombach
Haufe ist ein Unternehmen für Content, Software und Weiterbildung. Publiziert werden zwar auch noch Bücher und Fachmagazine in gedruckter Form, doch das Hauptgeschäft spielt sich längst im Digitalen ab. „Wir verbinden Fachwissen mit Software“, sagt Iris Bode, Geschäftsführerin bei Haufe-Lexware. Sie begleitete schon bei Springer, FAZ und Handelsblatt Transformationsprozesse von Print zu Digital und war überrascht, als sie vor vier Jahren zu Haufe kam und sah, dass es immer noch Loseblattsammlungen gab. Haufe-Lexware gehört heute zu den führenden Anbietern von Content und Business-Softwarelösungen wie dem Zeugnismanager. „Content ist der Treiber für unsere Geschäftsmodelle und die Transformation setzt sich konsequent fort“, so Bode. Gerade sei mit dem „Copilot Tax“ ein neues Produkt gestartet, ein KI-gestützter Chat für steuerliche Fragen. „KI ist nur so gut wie die Daten; je besser diese verschlagwortet sind, desto höher der Use-Case.“
“Content ist der Treiber für unsere Geschäftsmodelle und die Transformation setzt sich konsequent fort.“
Iris Bode, Haufe , Haufe-Lexware
„Daten sind Mehrwert für Anwender“, sagt auch Patrick Oestringer, Geschäftsführer von Averbis. Das 2007 gegründete Freiburger Softwareunternehmen entwickelt KI-gestützte Programme, die Beschäftigten im Gesundheitswesen die Arbeit erleichtern und die Forschung vorantreiben. Konkret geht es um Lösungen für bürokratische Prozesse mit großen Datenmengen. Oestringer erklärt es am Beispiel der elektronischen Patientenakte. Informationen zur Krankengeschichte und Befunde befinden sich in verschiedenen Praxen oder Kliniken. Häufig hapert es bei der Übermittlung, oft wird noch gefaxt. Liegen dem behandelnden Arzt nicht alle Informationen vor, entstehen Nachteile für den Patienten. „Denn Entscheidungen werden auf Grundlage von Daten gefällt“, sagt Oestringer. Auf die Frage nach dem Datenschutz antwortet er: „Ich kenne keinen geschützteren Raum als die elektronische Patientenakte, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Die Vorteile würden überwiegen. Als Beispiel für den Nutzen von KI in der Medizin nennt er optische Geräte, die zu 96 Prozent Hautkrebs erkennen, während Fachärzte auf 86 Prozent kommen. Er wirft noch einen Blick nach China, wo Avatare bei der Patientenkommunikation eingesetzt werden.
„Ich kenne keinen geschützteren Raum als die elektronische Patientenakte, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“
Patrick Oestringer, Averbis
„Nachhaltigkeit im Bau- und Immobiliengewerbe ist nur digital möglich“, sagt Peter Bachmann. Er hat zahlreiche Projekte begleitet und eine Datenbank für zertifizierte baugesunde Materialien aufgebaut. „In diesem Gebäude, in dem wir uns gerade befinden, stecken zehntausende verschiedene Materialien“, veranschaulicht der Nachhaltigkeitsexperte und blickt vom Fußboden bis zum Kuppeldach aus Glas. „Um eine Kreislaufwirtschaft im Bau zu erreichen, müssen wir alle Materialien sowie die beteiligten Hersteller, Gewerke und Lieferanten elektronisch erfassen“, erklärt der Nachhaltigkeitsberater und Gründer des Sentinel Haus Instituts. Nur wenn die Materialien möglichst lange im Kreislauf gehalten werden, sei es möglich, die CO2-Emissionen zu senken und den Rohstoffverbrauch zu drosseln. Das sei kein Nice-to-have, sondern im Sinne von Klimaschutz und EU-Vorgaben ein Muss. Ein neues Tool kann den Kreislauf in Gang bringen: der digitaler Produktpass, etwa in Form eines Chips. Bachmann nennt es eine Art Personalausweis für Materialien. Darin vermerkt sind unter anderem die einzelnen Komponenten und ihre Kreislauftauglichkeit.
„Um eine Kreislaufwirtschaft im Bau zu erreichen, müssen wir alle Materialien sowie die beteiligten Hersteller, Gewerke und Lieferanten elektronisch erfassen.“
Peter BAchmann, Nachahltigkeitsberater