Das Ettenheimer Unternehmen Captana hat ein wegweisendes Regalüberwachungssystem für Supermärkte entwickelt. Der erste Großauftrag kommt aus Frankreich.
VON JOACHIM SCHNEIDER
Der Traum“ steht in Ettenheim direkt an der B3. Ein gläsernes Bürogebäude, eingerahmt von einem Matratzenshop und einem Bekleidungsdiscounter, dort befindet sich eines der erfolgreichsten und zukunftsträchtigen Technologieunternehmen der Regio – mindestens. Sesimagotag steht unauffällig auf dem Schild über dem Eingang. Wenn man so will, hat der französische Konzern diesen Traum verwirklicht. Denn in diesem Haus befindet sich eigentlich die Firma Captana – Sesimagotag heißt ihr Mutterkonzern. Captana funktioniert wie ein „Start-up“, denn es „kann Lösungen schnell und unkompliziert entwickeln“, sagt Michael Unmüßig, neben Thomas Schwarz einer der beiden Geschäftsführer von Captana. Dabei habe es die Sicherheit eines großen finanzkräftigen Unternehmens und einen weltweiten Zugang, da der Mutterkonzern in 61 Ländern vertreten ist. Das ist natürlich ein Traum.
Realität dagegen ist der erste Großauftrag, den Captana nun bekommen hat. Die Ettenheimer Firma mit knapp 25 Angestellten soll 100 der größten Geschäfte der französischen Kette Monoprix mit ihrem Regalüberwachungssystem ausstatten. Ein Meilenstein.
Auffällig beim Eintritt in das Haus sind die Regale, die etwas von einem überdimensionierten Spielzeugkaufladen ausstrahlen, doch die Aufbauten samt der Waren sind echt. Kleine weiße Kästchen befinden sich an den Schäften der Regale und die Preisschilder gegenüber sind elektronisch, manche blinken.
Wer schon einmal in einem Supermarkt vor einem Regal stand und elektronische Preisschilder mal blinkend, mal ruhig betrachtete, dann hat die höchstwahrscheinlich Sesimagotag entwickelt, in diesem Sektor ist der französische Konzern Weltmarktführer. Seit geraumer Zeit können die Schildchen nicht mehr nur zentral gesteuert werden, sondern sie können auch „lesen und sprechen“ und daran hat der südbadische Ableger Captana maßgeblichen Anteil.
Michael Unmüßig hat schon einige Start-ups ins Leben gerufen, darunter einen Weinhandel und – wegweisender – eine Firma für Tintenpatronenbefüllung. Die Wirtschaftswoche titelte einen Beitrag über ihn „Kreativer Chaot“. Thomas Schwarz und er gründeten vor knapp 10 Jahren die findbox GmbH. Hier wurde ein System entwickelt, das kleine Dinge erkennt und deren Platz im Regal anzeigt mithilfe eines Leuchtsignals. Wer schon mal im Elektronikhandel eine Ersatz-Tintenpatrone gesucht hat, weiß, wie mühsam und nervig das sein kann. In den Läden einer großen Elektronikkette funktioniert das nun elektronisch kundenfreundlich.
Der Kunde legt eine Patrone in eine Vorrichtung, die wird gescannt und schon blinkt das Fach im Regal mit dem gewünschten Teil. Auch das kann im Captana-Gebäude bestaunt werden. Ähnliche Einrichtungen gibt es mittlerweile auch in Baumärkten für schwierige Artikel wie Schrauben oder Muffen.
Diese Bilderkennungslösung für Kleinteile wurde sogar patentiert, 2015 erhielt das System unter anderen den Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg. „Damals“, sagt Thomas Schwarz, „steckte Bilderkennung noch in den Kinderschuhen. Wir waren der Zeit voraus. Die Grundidee war, dass in wenigen Sekunden erzielt wird.“ Diese Idee entstand quasi aus einem Mangel.
2016 beteiligte sich die Sesimagotag an findbox und daraus entstand dann die Captana GmbH. Der Grundstein für die Weiterentwicklung eines hochkomplexen Systems, das nun erkennt, wieviel von einem Produkt im Regal vorhanden ist. Damit geht natürlich einher, dass diese Informationen verarbeitet, ausgewertet und gespeichert werden können. Dass sie jeder Zeit abrufbar sind, an jedem Ort und von jeder berechtigten Person.
„Wenn Mitarbeiter fehlen, greift man zur Technologie.“
Michael Unmüssig
Einkauf und Logistik müssen sich auf die Daten verlassen können, denn elektronische Warenerfassung ersetzt Personen. „Wenn Mitarbeiter fehlen, greift man zur Technologie“, sagt Michael Unmüßig. Für eine doch langweilige, aufwändige und zeitraubende Tätigkeit soll kein Personal mehr gebraucht werden. Zumal im Einzelhandel Arbeitskräfte sowieso Mangelware sind und die Lohnkosten nicht unerheblich.
So funktioniert das smarte Warenregal
Wie soll das gehen? Bilder würden eine unglaubliche Datenmenge produzieren und doch sind Kameras im Spiel, die aber nicht Bilder machen, sondern Signale empfangen. So bleibt der Stromverbrauch im Rahmen und es gibt auch keine Datenschutz-Probleme. Tatsächlich kommunizieren Labels und die drahtlosen Miniaturkameras mit Morsezeichen miteinander, IoT ist hier die Lösung, Das Internet of Things, also das Internet der Dinge macht es möglich, dass physische Waren und virtuelle Objekte über ausgesendete Signale miteinander kommunizieren. Die Dinge im Regal werden gescannt und geben Leuchtzeichen weiter, die wiederum von einem Empfänger gedeutet werden. Das durch Sensoren vermittelte Datenmaterial wird in Echtzeit abgespeichert in einer Cloud, so dass die Informationen überall verfügbar sind – zu jeder Zeit.
Bei Captana konzipiert, entwickelt und arbeitet ein interdisziplinäres Team bestehend aus Maschinenbauern, Ingenieuren und natürlich Software-Entwicklern, die mit den unterschiedlichen Stadien der Daten umgehen müssen. Bilderkennung, Zeichen deuten, korrekt abspeichern – dazu soll das System noch selber lernfähig sein, das heißt bestimmte Regeln selber erkennen: Zum Beispiel, dass immer Samstagnachmittags um 15.30 Uhr kein Bier mehr im Regal ist. Hier ist auch künstliche Intelligenz mit im Spiel.
Wie volle Regale den Überfluss eindämmen
Doch wofür genau dieser immense Aufwand? Damit die Regale immer voll sind und der LKW schnell vorbeikommt, wenn etwas fehlt? „Ganz im Gegenteil“, sagt Michael Unmüßig, “wir leben in einer Überflussgesellschaft und diese Überversorgung gilt es einzudämmen, es geht darum, die Abfallmenge zu reduzieren.“ „Im Handel da bringen solche kleinen Einsparungen in der Summe schon etwas“, sagt Unmüßig.
Und auch dem Klimawandel wird hier Rechnung getragen – nicht nur die Finanzen sollten für ein Unternehmen ausschlaggebend sein, sondern auch die Klimabilanz. Die Optimierung des Warenflusses im Einzelhandel wäre da immerhin ein Baustein. Zumal einiges an Umsatz verloren geht, wenn die Ware nicht vorhanden oder nicht mehr verkaufbar ist. Unmüßig nennt es das „Das Eine-Trillion-Dollar-Problem“. Volkswirtschaftlich sei das kein Problem, aber betriebswirtschaftlich sehr wohl. Ein weiterer Aspekt der voll digitalen Lösung für den stationären Einzelhandel sei, dass er nun mit den Onlineshops mithalten kann, was die Datenverarbeitung angeht.
Die französische Kette Monoprix trägt dem jetzt schon Rechnung. Nach einer Probephase mit fünf Filialen in Paris hat sich die französische Einzelhandelskette für die Captana Sensor Cloud Lösung und Vusion entschieden, so heißt diese digitale Einrichtung für den Einzelhandel. Für die 100 wichtigsten Standorte sollen bis Ende des ersten Quartals 2022 120 sogenannte ShelfEye Kameras pro Filiale installiert werden, das sind summa summarum 12.000 Kameras, die über eine Million Artikel überwachen und analysieren können. „Wir sind mittendrin im Rollout“, sagt Thomas Schwarz über die Markteinführung, „täglich werden neue Systeme ausgeliefert.“
Und es werden Tools und Apps entwickelt, die das Arbeiten mit den Daten weiter erleichtern sollen, dazu braucht es mehr Programmierer und Informatiker, die hier in Südbaden leben und arbeiten wollen. Vielleicht überzeugt ja auch die Vorstellung, das in Paris, Frankreich oder bald auch sonstwo auf der Welt, Bilderkennung aus Ettenheimer Entwicklung in Supermärkten platziert ist.