Text: Sonja Reidel
Unternehmen und Organisationen jeder Form und Branche haben einen gemeinsamen Wunsch: die Sicherstellung der eigenen Zukunftsfähigkeit. Die konkreten Herausforderungen variieren, je nach Materialverfügbarkeit, Wettbewerbssituation und Abhängigkeit von internationalen krisenbesetzten Märkten. Dabei teilen die meisten Unternehmen die Nummer eins unter den Herausforderungen: erfahrene Kolleginnen und Kollegen zu halten und neue für das Unternehmen zu gewinnen. Wie können Arbeitsumgebung und -bedingungen gestaltet werden, dass die Menschen gern kommen und auch längerfristig bleiben? Schon lange ist es kein Geheimnis mehr, dass die gelebte Unternehmenskultur den entscheidenden Unterschied macht.
Zukunftsfähige Unternehmenskultur ist keine Frage von Modetrends
In vielen Unternehmen wurden in den letzten Jahren Programme rund um Culture Change, New Work oder Flexibilisierung gestartet – gerade in puncto Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort hat sich in der Coronazeit viel getan und zu dem viel zitierten ‚new normal‘ geführt. Auch die Unternehmenssteuerung hat sich an vielen Stellen verändert, von kollegialer Führung bis zu Selbst- und Kreisorganisationen, in denen (fast) vollständig ohne Führungskräfte gearbeitet wird.
Zugleich fühlen sich viele Unternehmen von diesen Bewegungen nicht gemeint, weil beispielsweise in Handwerksbetrieben und in produzierenden Bereichen der Industrie oder auch in der Gastronomie und in Krankenhäusern räumliche und zeitliche Freiheitsgrade nur in geringem Maße bestehen. Auch eine Transformation von bestehenden, hierarchischen Führungsmodellen zu einer Form von Selbstorganisation ist in vielen Unternehmen nicht so einfach umsetzbar oder anschlussfähig.
Die gute Nachricht ist: Selbst in Branchen und Bereichen, in denen maximale Flexibilität möglich ist oder nach Selbstorganisationsmodellen gearbeitet wird, hängt die Attraktivität eines Jobs für die allermeisten Menschen von anderen Faktoren ab. In erster Linie kommt es uns Menschen darauf an, ob wir uns in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräften wohlfühlen, ob wir akzeptiert werden, ob es ehrlich und fair zugeht, ob wir unsere Arbeit gestalten können und ob unser Beitrag spürbar ist. Eine zukunftsfähige Unternehmenskultur greift also deutlich weiter als Homeoffice, Workation, Kicker und Co. und lässt sich wunderbar vereinbaren mit der Ausgangssituation von häufig als eher ‚bodenständig‘ bezeichneten Unternehmen.
Zukunftsfähige Unternehmenskultur – worauf es im Wesentlichen ankommt
Diverse Studien zur Wirksamkeit von Teams belegen die hohe Relevanz von ‚Psychologischer Sicherheit‘. Doch was bedeutet das konkret? Die moderne Hirnforschung hat gezeigt, dass unser autonomes Nervensystem ständig prüft, ob eine Umgebung für uns sicher ist. Nur wenn wir uns sicher fühlen, ist für uns alles ‚im grünen Bereich und die Bahn frei für Kreativität, Lösungsorientierung, Interesse an der Perspektive von anderen, Empathie und kluge Entscheidungen Doch wie geht Sicherheit in einer zunehmend unsicher werdenden Welt, die von Chaos und Unvorhersehbarkeit geprägt ist? In sozialen Kontexten entsteht das Gefühl von Sicherheit vor allem dadurch, dass Menschen keine Angst vor Ablehnung haben, sich akzeptiert und zugehörig fühlen und einander unterstützen. Dafür braucht es Bewusstheit über eigene Bewertungen und Verhaltensmuster, die einen Ausstieg aus Reiz-Reaktionsmustern möglich macht, ebenso wie wertschätzende Kommunikation und Fairness – miteinander reden statt übereinander. Gute Erfahrungen muss man machen, nicht denken. Nur durch das konkret erlebte Verhalten entstehen also Vertrauen und Sicherheit und damit die Basis für die Entfaltung einer zukunftsfähigen Unternehmenskultur – und das auch bei steigender Unvorhersehbarkeit.
Des Weiteren braucht eine zukunftsfähige Unternehmenskultur eine gesunde Bewegung und Balancierung von Autonomie und Gemeinschaft. Autonomie steht für Flexibilität und Selbstbestimmung, sie braucht Neugier und Offenheit für Neues, Transparenz über eigene Möglichkeiten und Grenzen hinsichtlich Entscheidungsfähigkeit sowie Übernahme von Verantwortung. Gemeinschaft steht für Kooperation und Ordnung, dafür braucht es eine ‚Wir vor Ich‘-Haltung, Lösungsorientierung und gemeinsames Lernen aus Ungewolltem und Unterschiedlichem, mutige Bearbeitung von Konflikten sowie Zuverlässigkeit und Klarheit über Erwartungen, Verantwortungen und Rollenverständnis. Gerade letzteres kommt in ‚Culture Change‘ Programmen häufig zu kurz.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Sinn. Damit wir motiviert sind, unsere Aufmerksamkeit und Energie für etwas einzusetzen, muss unser Handeln in irgendeiner Form Sinn ergeben. So ist es für viele Menschen wichtig geworden, sich mit den Unternehmenszielen identifizieren zu können. Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung stehen dabei oft ganz oben. Doch Menschen erleben ihre Arbeit insbesondere dann als sinnvoll, wenn sie spüren und erkennen, dass der eigene Beitrag einen echten Unterschied macht. Es ist daher wesentlich, dass die Unternehmenssteuerung der Unternehmenskultur folgt und die Menschen sich als Gestalter ihrer Arbeit erleben können. Viele Unternehmen setzen mittlerweile auf OKR, also Objectives and Key Results, als ganzheitliches Steuerungsinstrument, welches neben einem strukturgebenden, dynamischen und lebendigen Rahmen vor allem von der Haltung lebt, dass jedes Team es selbst in der Hand hat, geeignete Ziele und Handlungen als Beitrag zum Großen und Ganzen festzulegen. Und das funktioniert auch ohne aufwendiges System in einfacher Form für nahezu jedes Unternehmen.
Veränderungen der Unternehmenskultur – ein paar Grundprinzipien
Damit Veränderungen einer bisher gelebten Kultur möglich werden, ist es hilfreich, verschiedene Prozesse von der Bewusstseinsbildung über den aktuellen Zustand und die Entwicklung eines Zukunftsbilds der gewünschten künftigen Kultur bis hin zu konkreten Umsetzungs- und Lernprozessen in den Blick zu nehmen. Wichtig ist, gewünschte Leitbilder auf die konkrete Handlungsebene zu übersetzen: Was bedeutet ‚Wertschätzung‘ für uns, an welchem konkreten Verhalten machen wir sie fest? Woran erkennen wir ‚gute Kooperation‘ mit Abteilung XY, welche konkreten Handlungen sind dann anders als heute? Das kann mühsam sein, doch ohne sie auf die Ebene der Handlungen zu bringen, bleiben Leitbilder Worthülsen. Ebenso wichtig ist es, die tatsächliche Motivation der gewünschten Veränderung zu kommunizieren – kein Verstecken von eigentlichen Gründen. Dazu gehört es, auftretende Widerstände und Konflikte auszuhalten. Wo Widerstand ist, gibt es Information über das System, die für den Prozess eine Bedeutung haben kann. Häufig ist es dann einfacher, erstmal Konsens über einen erforderlichen Unterschied herzustellen. Ein weiteres wichtiges Grundprinzip ist Geduld. Veränderung der Kultur heißt immer Veränderung von Verhalten und meistens auch von Haltungen. Das ist in der Regel anspruchsvoll und braucht Zeit und Raum zum Ausprobieren und Lernen. Auch der Fokus ist dabei wichtig, nicht alles auf einmal ändern zu wollen.
Des Weiteren sollte der Charakter der gewünschten Unternehmenskultur in dem Entwicklungsprozess selbst bereits spürbar sein. Also beispielsweise lieber Dialogformate statt Rundmails‚ generationenübergreifende Teams zur Gestaltung des Transformationsprozesses oder auch die explizite Aufnahme der kulturellen Kriterien im Stellenbesetzungsprozess, insbesondere von Führungspositionen. Und last but most braucht es für eine zukunftsfähige Unternehmenskultur Management und Führungskräfte, die mit Offenheit und ehrlichem Interesse Entwicklungsprozesse selbst wollen, sie selbst leben und beherzt angehen. Frei nach einem Satz von Johann Wolfgang von Goethe: „Es muss von Herzen gehen, was auf Herzen wirken soll!“
Sonja Reidel hat als Führungskraft in kaufmännischen und strategischen Managementfunktionen bei der Siemens AG, in der Fraunhofer Gesellschaft und im Mittelstand zahlreiche Change Prozesse initiiert und begleitet. Seit drei Jahren arbeitet sie selbstständig als Trainerin im Bereich Integrative Organisationsberatung für Zukunftsfähigkeit und Kooperation. www.bateau-b.de
1 Kommentar
Sehr wertvoller Artikel! Tatsächlich wird bei vielen Transformationsvorhaben eher der Focus auf äußere Faktoren gerichtet. nachhaltiger Wandel kann nur gelingen, wenn auch Aspekte wie Kultur, Verhalten und Mindset ganzheitlich wahrgenommen und bei der Transformation berücksichtigt werden. Danke Dir, Sonja, für diesen treffenden und inspirierenden Artikel!