Was ist überhaupt Luxus? Alles, was teuer ist? Alles, was einzigartig ist? Ein paar Gedanken über leisen und lauten Luxus, über Protz, Prunk und Preise, Designerlabels und die anspruchsvolle Klientel.
Text: Julia Donáth-Kneer
Im März dieses Jahres stand die US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow in Utah wegen eines Skiunfalls vor Gericht. Die Verhandlungsdetails blieben weniger hängen als ihre Outfits. Paltrow erschien Tag für Tag in ausgewählten Stücken vor dem Richter: Samtblazer, Kaschmirpullover, Lodenmantel. Schlicht, unscheinbar und ohne Logo offenbarte sich die teure Designerware erst auf den zweiten Blick. „Quiet luxury“ heißt der Trend, der spätestens nach Paltrows Auftritten die Modemagazine und Social-Media-Plattformen flutete. Beim „leisen Luxus“ geht es um das Produkt selbst, um Qualität und kostspielige Materialien, nicht um eine auffällige Logoschlacht.
Der leise Luxus ist ein Code für Menschen, die ihn als solchen erkennen. Er richtet sich explizit nicht an die breite Masse, sondern an einen kleinen, exklusiven Kreis, der auf ähnliche Weise kommuniziert. Neu ist nicht das Phänomen, sondern nur das Schlagwort für den Kleidungsstil sehr wohlhabender Menschen, der auch als „Old Money Style“ oder „Stealth Wealth“ (heimlicher Reichtum) bezeichnet wird. Es ist der Stil des alten Geldadels, der sich gegen das Bling-Bling der Neureichen absetzen will. „Wie jede Form des Luxus definiert sich aber auch der unauffällige durch Exklusivität und damit durch einen enorm hohen Preis, der in keinem Verhältnis zur Funktionalität des Produkts steht“, analysierte Fernando Fastoso für das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Fastoso ist Professor für Markenmanagement für Luxus- und High-Class-Marken an der Hochschule Pforzheim.
Luxuslabels machen sich diesen Hype zunutze. Einige haben sowohl eine leise als auch eine laute Version ihrer Produkte, verkaufen Sachen mit und ohne Logo. „Und wieder andere Marken setzen komplett auf den subtilen – und meist noch teureren – Luxus“, erklärt Fatoso. „Wir bewegen uns in ökonomisch unsicheren Zeiten, und Menschen, die sich zum Beispiel ein Poloshirt für 500 Euro leisten, wollen das zum Teil nicht breit kommunizieren.“
Dagegen, dass die Branche einen exklusiven Kreis ansprechen will, ist nichts zu sagen. Skandalös hingegen ist die gängige Praxis, Ladenhüter lieber zu zerstören als die Preise zu senken. Das tun Unternehmen, weil sie befürchten, ihr Image könnte Schaden nehmen, wenn ihre Produkte mit Rabatten verkauft würden, oder um zu verhindern, dass sie auf gefälschten Marktplätzen oder inoffiziellen Plattformen landen. Das britische Luxuslabel Burberry hatte zum Beispiel im Jahr 2018 nicht verkaufte Kleidung im Wert von rund 32 Millionen Euro verbrannt, das ging aus dem eigenen Geschäftsbericht hervor. Auch der in Genf ansässige Luxusgüterkonzern Richemont, zu dem unter anderem die Marken Cartier und Montblanc gehören, soll zwischen 2016 und 2018 Designeruhren im Wert von fast 500 Millionen Euro vernichtet haben.
Luxus boomt
Ob laut oder leise – Luxus boomt. Nie gab es mehr Millionäre und mehr Geld in privaten Vermögen als heute. Die Umsätze in der Luxusgüterbranche wachsen seit Jahren – weltweit, aber auch hierzulande. Der Umsatz in dem Markt für Luxusgüter in Deutschland wird laut Prognosen bis 2029 kontinuierlich um insgesamt 1,6 Milliarden Euro, und damit um mehr als zehn Prozent, steigen. 2023 lag nach sieben Anstiegen in Folge bei 15,3 Milliarden. Weltweit wird der Luxusgüterumsatz für 2024 auf etwa 439,5 Milliarden Euro geschätzt. Mit einem prognostizierten Marktvolumen von 94 Milliarden Euro steht China an der Spitze.
Wo Geld ist, wird es auch ausgegeben: In Indien feierten Anant Ambani und Radihka Merchant in diesem Sommer die wohl teuerste Hochzeit aller Zeiten. Die Gesamtkosten für das Megaevent, das sich über mehrere Wochen zog – unter anderem mit Konzerten von Rihanna und Justin Bieber, die jeweils eine Gage von rund 10 Millionen Euro erhalten haben sollen –, werden auf knapp eine Milliarde Euro geschätzt. Die spendierte der Vater des Bräutigams, Mukesh Ambani. Laut Forbes Liste gilt der 67-jährige Unternehmer und Vorstandsvorsitzender des Konglomerats Reliance Industries mit einem Vermögen von geschätzt 116 Milliarden Dollar als der reichste Mann Asiens.
Prunk und Protz
Von Prunk bis Protz, von zügelloser Zurschaustellung bis zu stillem Insiderwissen – die Spielarten sind vielfältig. Was für die einen Luxus ist, kann für die anderen eine Selbstverständlichkeit sein. Objektiven Luxus gibt es nicht, es ist ein Begriff wie Schönheit. Weder das eine noch das andere ist in irgendeiner Form messbar.
Per Definition ist Luxus etwas Übertriebenes, Überflüssiges, etwas, das man nicht zum Überleben braucht. Die mittelalterliche Kirche verurteilte mit dem Moralbegriff „Luxuria“ die Verschwendungssucht des Adels und prangerte deren üppige Lebensweise als Sünde an. Aber was angemessen ist und was üblich, ändert sich mit der Zeit. Im 19. Jahrhundert war fließendes Wasser im Haus ein Luxus, den sich nur der König leisten konnte. Heute hat jeder eine funktionierende Toilette in den eigenen vier Wänden. Ein anderes Beispiel: Noch vor einer Generation war ein privater Pool die totale Überdekadenz, etwas, das man nur aus Hollywoodfilmen kannte. Heute ist ein eigenes Schwimmbad im Garten zwar immer noch nicht die Norm, aber auch nicht mehr die exotischste aller Ausnahmen. Das heißt: Technischer Fortschritt und der materielle Reichtum einer Gesamtgesellschaft führen dazu, dass sich die Definition von Luxus ändert.
Luxus ist etwas, das sich außerhalb der persönlichen Normalität befindet. Das unterscheidet ihn zugleich vom Protz: Wer angeben will, braucht Zuschauende, wer eine Luxuserfahrung machen möchte, nicht.
Eine gängige Betrachtungsweise ist folgende: Luxus ist das, was sich nur wenige Reiche leisten können – teure Autos, ein Privatjet, eine Yacht. Der Begriff kommt mit einer gewissen Aura: Luxus ist etwas, das als knapp wahrgenommen wird. Wenn es jeder haben könnte, wäre es ja nicht Luxus, sondern normal. Deshalb ist das Empfinden so unterschiedlich. Für die einen ist es der größte Luxus, ein Wochenende mal ungestört entspannen zu können. Auch das ist zwar nicht völlig losgelöst von finanziellem Hintergrund, aber es ist nicht im klassischen Sinne ein materielles Bedürfnis.
Aber wer jedes Wochenende in die Sauna geht, für den ist es auch nichts Besonderes mehr. Und wer schon drei teure Armbanduhren hat, betrachtet die vierte vermutlich nicht als Luxusobjekt. Vielleicht kann man es so ganz gut fassen: Luxus ist etwas, das sich außerhalb der persönlichen Normalität befindet – egal, ob materiell oder nicht – und damit weit weg von dem ist, wie man sonst lebt. Das unterscheidet ihn zugleich vom Protz: Wer angeben will, braucht Zuschauende, wer eine Luxuserfahrung machen möchte, nicht.
Vieles ändert sich mit der Zeit, vor allem, was die Werte angeht. Luxus wird in Zukunft noch vielfältiger, eventuell differenzierter, vielleicht kommt er aus China, aus Indien oder Brasilien. Es wird neue Spielarten geben und eine neue Ästhetik. Unberührte Natur oder ein gesundes Klima sind die Luxusgüter von morgen. Aber auch im materiellen Segment sind neue Produktkategorien und neue Luxusnischen vorstellbar, veränderte Markenauftritte und angepasste Zielgruppenansprachen.
Millennials und die Generation Z, die bis 2025 vermutlich rund die Hälfte des Luxusklientels ausmachen dürften, haben andere Bedürfnisse als die Generationen vor ihnen. Verschwendung passt nicht in eine bewusste Lebensweise. Konsum, in welcher Form auch immer, ist nie nachhaltig. Die Luxuslabels merken, dass die Menschen insgesamt weniger kaufen und setzen mit spezialisierten, noch teureren Produkten oder noch exklusiveren Kauferlebnissen auf die besonders wohlhabende Zielgruppe. Denn der Umsatz von Luxusmarken mit Kleidung, Schuhen, Lederwaren und Parfüm steigt nach wie vor, vor allem ultraluxuriöse Produkte sind durch alle Kategorien hinweg gefragt. Diese werden dann immer teurer, um auszugleichen, dass insgesamt weniger umgesetzt wird. So entstehen neue Märkte, neue Zielgruppen, neue Angebote, ein neuer Über-Luxus. Was passiert, wenn es doch irgendwann zu viel wird, hat der Luxusforscher Klaus Heine vor einigen Jahren zusammengefasst: „Auch für Luxus gilt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen: Der erste Löffel Tiramisu ist himmlisch, jeder weitere Löffel ist weniger aufregend, und nach einem ganzen Eimer wird es zur Qual.“