Von Rudi Raschke
Der Weg zur jüngsten Neu-Auflage des Klassikers „Schwarzwald“ führt über eine alte Version: In Titisee kann man an der Seepromenade noch alles besichtigen, was der Tourismus hier zwischen Wirtschaftswunder-Idylle und Ballermann der Berge mit sich gebracht hat. Wer hier den Bus nach Lenzkirch nimmt, kann in Saig beim „Ochsen“ aussteigen und findet nach zehn Minuten Spaziergang eine Erneuerung, die so nicht zu erwarten war.
Im 780-Seelen-Ort Saig, dessen Gunstlage und -Ausbreitung der Autor Wolfgang Abel einmal mit „einer Katze, die in der Sonne liegt“ verglichen hat, fläzt sich mit Sicht auf Wiesen und Alpen heute die „Saiger Lounge“, die stellvertretend für ein neues Schwarzwald-Gefühl steht: Wo früher das „Café Alpenblick“ die Kniebundhosen-Brigaden verpflegte, steht jetzt ein zeitgemäßes Tagungshaus mit zehn Zimmern, in dem von der Vorstandstagung und Coaching über den Bike-Ausflug bis zum Yoga-Seminar neue Aussichten und Wohlbefinden zelebriert werden. Übrigens auch für private Wandergruppen.
Ulrike Peter und Udo Möbes haben sich hier einen Lebenstraum erfüllt, beide als Quereinsteiger und ohne den Hintergrund einer Gastro-Dynastie. Möbes, der selbst zwei Jahrzehnte für die Freiburger Firmen „Lexware“ und „Virtual Identity“ in der Welt von Tagungshotel und Flipchart unterwegs war, wollte einfach eine schönere Umgebung schaffen, als er sie selbst im Berufsleben bei vergleichbaren Anlässen erlebt hat. Mit modernen, aber einfachen Zimmern, einem Neo-Herrgottswinkel mit augenzwinkerndem „Stammtisch“ und großzügig designten Gesprächs- und Vortragsnischen drinnen und draußen. Dazu eine Küche, in der die beiden Gastgeber Frühstück und auf Wunsch auch Mittagessen zubereiten, aber auch das Miteinander-Kochen ein Gemeinschaftsgefühl bei den Gästen auslöst.
Wenn man so will, die Ablösung der Selbstversorgerhütte im 21. Jahrhundert, mit Quasi-Herbergseltern, die den Schwarzwald von Hagebuttentee und Schmelzkäseecke befreit haben. Knapp drei Jahre haben sie die Immobilie gesucht, ihre Freunde zu Tests an geeigneten Adressen vorbei geschickt und dank einer Umleitung den entlegenen „Alpenblick“ gefunden, für den es keine Nachfolgeregelung gab. Bei allen Sanierungsarbeiten haben sie selbst angepackt, den Betrieb führen sie ohne großes Personalaufkommen und ohne Silberhauben fürs Essen, aber wenn Führungskräfte anschließend beim Tischabräumen anpacken, erweist sich das alles als stimmiges Konzept. Nicht selten treffen am Tag nach der Abreise schon die ersten „wir vermissen Euch“-Mails ein, sagt Ulrike Peter, die auf persönlichen Kontakt statt Buchungssoftware setzt.
Nun könnte die „Saiger Lounge“, deren Name einen alten Ort und einem Raum aus der Welt von „Chillout“ und „Work-Life-Balance“ kreuzt, ja ein Einzelphänomen sein, während andernorts immer noch das „Schwarzwaldtöpfle“ und die Hits von DJ Ötzi die Magengruben der Touristen zum Brummen bringen. Tatsächlich gibt es viele weitere Belegexemplare, die auf einen Boom hinweisen.
Der „Süddeutschen Zeitung“ war dieser im Frühjahr sogar die Überschrift „Titisee statt Mallorca“ wert. Zentrale These: Wer sich früher eine Finca leistete, schaut sich heute vermehrt nach einem „Häusle“ um – inzwischen stehen mehr als die Hälfte des deutschen Ferienimmobilien-Besitzes im Inland, immer mehr davon zwischen Feldberg, Schauinsland und Co. „Die Region würde man auf den ersten Blick nicht als Eins-a-Lage bezeichnen, sie ist aber ein Touristenmagnet und mit Preisen von weniger als 3000 Euro pro Quadratmeter sehr attraktiv“, sagt Sascha Anspichler, der mit seiner FP Assetmanagement in Freiburg vor allem die Renditemöglichkeiten solcher Objekte bewertet. Längst sei eine vergleichbare Entwicklung auch im Kaiserstuhl zu beobachten, in Endingen habe sich beispielsweise ein stattlicher Markt für gehobene Ferienwohnungen und -Häuser entwickelt, stellt der Experte fest.
Die Gentrifizierung von Schwarzwälder Kirsch und Bollenhut mag nicht für alle erfreulich sein, für die Übernachtungen im Schwarzwald ist sie ein Gewinn: Häuser wie „La Maison“ in Dietenbach bei Kirchzarten und das gleichnamige Objekt am Titisee bringen gehobenes Publikum in die Region, für das es bisher wenig Betten gab – Hotels wie die „Halde“ auf dem Schauinsland oder die „Sommerau“ in Bonndorf waren mit ihrem Erneuerungsanspruch lange Zeit allein auf weiter Flur. Es schaut jedoch so aus, als kämen sich ein großstädtisch-anspruchvolles Publikum und ein Schwarzwald, der sich von Kitsch und Furnier befreit hat, gerade gewaltig näher.
Unter anderem im großzügigen „Herrenhaus“, mit 13 Betten, gelegen südlich der Schluchsee-Staumauer. Peter Dallmann, der es gemeinsam mit zwei Freunden ersonnen hat, vergleicht die Entstehung gern mit der touristischen „Evolution vom Camper zum Luxus-Wohnmobil: Es gibt eine große Anzahl von Gästen, die bewusst kein Hotel, sondern mehr Freiraum und Kommunikationsmöglichkeiten mit den Mitreisenden wollen, jedoch nur sehr bedingt eine angemessene Ferienunterkunft mit sehr gutem Komfort finden.“
Für ihn war dies bereits 2010 der Anlass, im Raum Freiamt den „Spielberg 5“ als „anspruchsvolles Ferienhaus“ zu eröffnen. Nach einer weiteren Suche bot sich die Gelegenheit zum Kauf des angeschlagenen Hauses am Schluchsee, das die Betreiber von Grund auf sanieren mussten. Die Gäste, sagt Dallmann (nicht verwandt mit dem Freiburger Tourismus-Chef), kämen „mehrheitlich aus Deutschland, danach Schweizer, gefolgt von Engländern.“ Zwischenzeitlich gäbe es auch zahlreiche Anfragen aus dem Nahen Osten und vermehrt Gäste aus Australien. Sie kommen über digitale Reisebüros von Plattformen wie „airbnb“ und „fewodirekt“, aber auch über die Website des Hauses. Trotz des eher teuren Ansatzes sei die Auslastung „hervorragend“, sagt Dallmann.
Es schaut so aus, als habe der Schwarzwald gerade die nächste Häutung hinter sich – nachdem durch den Nachkriegs-Heimatfilm mit niedlicher Romantik die erste Welle angekurbelt wurde, die biedere Wandervogel-Ära dort ihre Kulisse fand und mit allerhand Feldberg-Vermarktung und Schneekanonen zwischenzeitlich die Kauzigkeit eines badischen Ischgl herrschte, schaut es aktuell nach modernem Qualitäts-Tourismus aus.
Den Trend zur sanften Veredelung, zu „Qualität statt Quantität“ und „weniger ist mehr“ greift längst auch der offizielle Hochschwarzwald-Tourismus auf: Stück für Stück bietet er Vermietern von in die Jahre gekommenen Ferienimmobilien die Umwandlung zu einer bunten Übernachtungsmöglichkeit unter der Marke „Kuckucksnester“ an, aktuell sind es über 40. Mit zeitgemäßem Wandanstrich und postmodener Kuckucksuhr, aber vor allem Mobiliar, das die Gäste nicht mehr an die Eckbank der Großeltern erinnert, sondern ans eigene Zuhause.
Überdies hat auch das „Glamping“ bei der Hochschwarzwald-Touristik Einzug gehalten, eine weitere Idee von Geschäftsführer Thorsten Rudolph: ein Angebot zum glamourösen Camping, dass mit Tipi-Zelt und Co. mehr als nur den guten alten Wohnwagen bereit hält und auch internationale Belegungen für den Schluchsee beibringt.
Wer die Menschen sind, die inzwischen den Schwarzwald besuchen, kann vor allem Erhard Eckmann gut beurteilen: Der Grandseigneur der Kirchzartener Mountainbike-Szene sieht die Altersgruppen zwischen 25 und 45 Jahren auf dem Vormarsch. Für sie halte die Gegend „eine sehr gute Topografie, eine gute Streckenmischung und nicht zu steile Abfahrten“ bereit. Der Erlebnis- und Genussreisende habe den Kulturfreund abgelöst.
Der Schwarzwald besitze ein „riesiges Steigerungspotenzial“ sagt Eckmann, auch wenn er noch etwas Arbeit sieht: Gerade beim Image für die Radfahrer wirke die Region „schon noch verschroben.“ Die Stadt Freiburg mit ihren Rad-Trails um Kybfelsen und Rosskopf habe stattdessen gezeigt, was sich „Unheimliches“ bewegen lasse für die Szene. Dennoch sieht er die Region als Zweitdestination für alle, die mehrere Urlaube im Jahr mit dem Radl antreten, die Basisqualität sei von der Verpflegung bis zur Unterbringung deutlich gesteigert worden.
Besonders Gäste, die zur Mobilitäts-Generation zählen, finden hier mittlerweile ihr Dorado: Abends ein Bier in Freiburg, am nächsten Tag ein schönes Naturerlebnis im Wald, am übernächsten vielleicht noch in den Europa-Park. Die Vielschichtigkeit sei eines der Erfolgserlebnisse. Mit Bikereisen-Agenturen wie „Hirschsprung“ seien hier weitere Branchen am Blühen. Und auch der vermeintlich ausgestorbene Wanderer fühlt sich weiter wohl und setzt dieses Hobby nun in jüngeren Altersmilieus fort. Ein wenig flexibler vielleicht: Wenn Eckmann in seinem Geschäft heute entsprechendes Schuhwerk verkauft, reist es nach der Einweihung im Schwarzwald nicht selten beim nächsten Trip nach Neuseeland, sagt er.