Führungskultur, New Work, Nachhaltigkeit: Der Unternehmer und Autor Detlef Lohmann sieht zentrale Themen voraus. Wie macht er das?
VON KATHRIN ERMERT
Detlef Lohmann hat stets ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das seine Gedanken zu verraten scheint. „Redet Ihr nur“, meint man da zu lesen. „Ich weiß es eh besser.“ Dennoch wirkt der 64-Jährige nicht überheblich, tritt eher zurückhaltend und nicht besserwisserisch auf. Er hat sich etwas Bübisches bewahrt. Schelmisch, verschmitzt erzählt er im Besprechungsraum seiner Firma Allsafe in Engen seine Geschichte, die man getrost als Erfolgsgeschichte bezeichnen kann. Ein separates Büro hat der Chef nicht. Er arbeitet im gleichen Raum mit seinem Team.
Allsafe stellt mit seinen etwa 240 Mitarbeitenden (200 in Engen und 40 in Fürstenwalde bei Berlin) Zurrgurte, Netze und Sperrstangen zur Ladungssicherung sowie Sitzschienen für Transporter und Fittinge für Flugzeugsitze her. Der Umsatz hat sich, seit Lohmann 1999 als geschäftsführender Gesellschafter eingestiegen ist, etwa versiebenfacht auf zuletzt rund 70 Millionen Euro. Darauf ist der „Unternehmer aus Leidenschaft“ (Lohmann über Lohmann) stolz, und er genießt die Bestätigung, die er – oft erst spät – für seine Leistung erfährt. Über seine Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen, hat Lohmann ein Buch geschrieben. Die Onlineplattform Managementbuch.de kürte den Titel „… und mittags geh ich heim“ zum Buch des Jahres 2012. Für ein Sachbuch verkaufte es sich außerordentlich gut– etwa 15.000 mal. Dem Erstling über Führungskultur folgte 2016 ein Werk über New Work. Und im Mai hat Lohmann sein drittes Buch veröffentlicht. „Mit gutem Gewissen“ heißt es, und es geht um gesundes Wirtschaften, um Nachhaltigkeit.
Nutzen statt besitzen
Das Thema treibt Lohmann schon viele Jahre um, seit er erstmals über den CO2-Fußabdruck von Produkten gelesen hatte und das im eigenen Unternehmen umsetzen wollte. Damals wusste er nichts über die verschiedenen Umfänge, „Scopes“ von Emissionen. Scope 1 schaut nur auf Primärenergieverbrauch im Unternehmen, Scope 2 auch auf Sekundärenergie, also Stromverbrauch, doch erst Scope 3 nimmt die gesamte Lieferkette in den Blick. Dafür fehlen zwar viele Daten, doch Lohmann nutzte Schätzungen und kam so zu einer „brutalen Erkenntnis“. Denn der CO2-Ausstoß pro Kilo verkauftem Produkt, der in Scope 1 und 2 bei etwa 60 Gramm lag, vervielfältigte sich bei der Betrachtung der gesamten Lieferkette auf 11 Kilo. Vor allem der Ressourcenverbrauch haut so rein. Denn um etwa Eisen aus Eisenerz zu erzeugen, braucht es unglaublich viel Energie.
„Wenn man verstanden hat, dass die Art unseres Wirtschaftens das Problem ist, dann kann man nicht mehr so weitermachen wie vorher“
Detlef lohmann, Geschäftsführender Gesellschafter Allsafe
Diese Erkenntnis war ein Weckruf für Lohmann: „Wenn man verstanden hat, dass die Art unseres Wirtschaftens, also immer mehr vom Gleichen zu verkaufen, das Problem ist, dann kann man nicht mehr so weitermachen wie vorher“, sagt er. Dieses Dilemma des kapitalistischen Systems, das Wachstum zur Maxime macht, frustrierte ihn. Es spornte ihn aber zugleich an, die Weichen im eigenen Unternehmen umzustellen. Wie lässt sich die Geschäftstätigkeit so verändern, dass der Ressourcenverbrauch nicht immer so weitergeht?
An dieser Frage haben Lohmann und sein Team einige Jahre gearbeitet, ehe die ersten praktischen Lösungen herauskamen. Deren Grundidee: nutzen statt besitzen. Die Musikindustrie dient als Vorbild. Kaum jemand kauft heute noch CDs, Streaming hat sich durchgesetzt. Das ist zwar nicht direkt auf die Transportbranche übertragbar, denn solange Produkte nicht gebeamt werden können, müssen sie physisch von A nach B kommen und das möglichst sicher. Allsafe-Produkte braucht es also weiterhin, aber sie sollen extrem lang halten.
Wenn der Verkauf von immer mehr produzierten Gütern also nicht mehr für Umsatz sorgt, braucht es ein anderes Geschäftsmodell. Das besteht aus Mieten und Reparieren und soll sich mit Software, Sensorik und künstlicher Intelligenz immer weiter verselbständigen. Sein System der Kreislaufwirtschaft nennt Lohmann „Blueserve“, in Anspielung auf den „Bluetooth“-Standard. Er kann es sich weit über das eigene Unternehmen hinaus vorstellen. Teilen ist ohnehin kein Problem für den Unternehmer. Sein privat genutztes Dienstauto hat er schon vor Jahren abgegeben und teilt sich die Elektroflotte nun mit seinen Mitarbeitenden.
Energie aus Enttäuschung
Damit die Wirtschaft sich ändert, muss einer anfangen und vorausgehen, meint Lohmann, der diese Pionierrolle gern übernimmt: „Ich sehe die Dinge, die in fünf bis zehn Jahren kommen.“ Beispiel New Work: Bei Allsafe arbeitete man schon agil, als die meisten den Begriff noch nicht mal kannten. Beispiel China: Allsafe hat Anfang der Nullerjahre seine Lieferketten umgestellt und ist längst unabhängig von China. Und die Kreislaufwirtschaft beschäftigt Lohmann nicht erst, seitdem Klimawandel und Zeitenwende die Schlagzeilen dominieren.
„Ich sehe die Dinge, die in fünf bis zehn Jahren kommen.“
Detlef Lohmann, Unternehmer & Buchautor
„Sparsames Wirtschaften war schon immer meine Idee“, sagt er. Im Betrieb hat er sich für teures, langlebiges Mobiliar und immer wieder variabel verwendbare Trennwände entschieden. Privat lebt er genauso: „Wir sind als Familie nicht konsumorientiert.“ Die Möbel, die seine Frau und er vor vierzig Jahren gekauft hatten, haben sie heute noch. An den wachsenden Sperrmüllhaufen in der Nachbarschaft beobachten sie verwundert, wie Dinge, die für dauerhaften Gebrauch entwickelt wurden, zu Konsumgütern werden und als Wohlstandsmüll auf der Straße landen.
Sparsamkeit lernte er früh. Lohmann hat mithilfe von Bafög Maschinenbau und Fahrzeugtechnik studiert. Die ersten 15 Jahre seines Berufslebens arbeitete er in der Automobilindustrie, kam dort aber mit seinen Ideen nicht an. „Ich war ein schwieriger Mitarbeiter für meine Chefs. Deshalb bin ich auch nie befördert worden.“ Bei einer Auslandstätigkeit verdiente er allerdings genug Geld, um sich 1999 in den Engener Hersteller von Sicherungstechnik, der damals noch Jungfalk hieß, einkaufen zu können. Die Familie kratzte alle Ersparnisse zusammen, verkaufte das Reihenhaus in Stuttgart und zog zunächst in eine Mietwohnung in Engen.
Das Wagnis zahlte sich aus – aber erst mittelfristig. Zunächst eckte der Quergeist auch an neuer Wirkungsstätte an. Nicht bei den Mitarbeitenden, das ist ihm wichtig zu betonen, aber beim Mehrheitsgesellschafter. Mit der Folge, dass dieser Lohmann seinerseits ärgerte und 2004 die Anteile nicht ihm, sondern einem schwedischen Konkurrenten verkaufte. Der gescheiterte Management-Buy-out konfrontierte ihn mit der brutalen Form des Kapitalismus: Wenn der Preis stimmt, spielt die Ethik keine so große Rolle.
Das stachelte Lohmanns Trotz („Nichts gibt mehr Klarheit als ein klares Feindbild“) an. Seine Reaktion: Er richtete das Unternehmen 180 Grad konträr zur Konzernstrategie aus. So freundlich und entspannt, wie er heute über diese Zeit erzählt, kann man sich kaum vorstellen, was für ein Hitzkopf er wohl gewesen sein muss: „Ich kann schon richtig böse, unangenehm und gemein sein.“ Rückblickend sei es aber so, wie es gekommen ist, genau richtig gewesen. Denn erst die Enttäuschung habe die Energie für Neues freigesetzt. „Meine Lebensleistung wäre ohne diese Niederlage nicht möglich gewesen“, sagt Lohmann.
Er ist jetzt mit sich und der Welt im Reinen – will sie aber weiter verbessern und seine Idee von Nachhaltigkeit verbreiten. Der Unternehmer ist bereit für die große, gerne auch bundesweite Bühne. Ein bisschen kennt er die mediale Aufmerksamkeit schon. Brandeins hat ihn porträtiert („Der Beta-Chef“), der Spiegel besuchte ihn schon mehrmals in Engen („Per Du mit dem Chef“, „Wie es uns gefällt“). Auf eine Einladung von Anne Will warte er noch, sagte Lohmann lachend bei der Pressekonferenz zur Vorstellung seines jüngsten Buchs. Da steckt sicher ein Funken Wahrheit drin.