Durch extremen Druck und gigantische Hitze wird aus Kohlenstoff der härteste Rohstoff der Welt. Dieser Prozess lässt sich auch im Labor nachahmen – in einem Bruchteil der Zeit. Synthetische Diamanten waren lange nur in der Industrie von Bedeutung, nun sorgen sie auf dem etablierten Schmuckmarkt für Aufsehen.
Text: Julia Donáth-Kneer
Natürliche Diamanten entstehen mindestens 150 Kilometer unter der Erdoberfläche. Es dauert Millionen Jahre, bis der Stein an die Oberfläche kommt und geschürft werden kann. So exklusiv wie dieser Entstehungsprozess ist auch der Preis – daher galt der Diamantenmarkt lange als relativ krisensicher. Bis vor einigen Jahren eine neue Entwicklung die alte Ordnung durcheinanderbrachte: synthetisch hergestellte Diamanten. Seit Jahrzehnten schon in der Industrie angewendet, drängen sie zunehmend auf den Schmuckmarkt.
Der globale Markt wächst rasant und hat sich in fünf Jahren vervierfacht: 12 Milliarden Dollar des Weltumsatzes mit Diamantenschmuck entfielen 2023 auf künstliche Diamanten, 2018 waren es nur 3 Milliarden. Das Hauptgeschäft findet bisher in Nordamerika statt – vor allem im Segment der Trau- und Verlobungsringe. Die in wenigen Wochen gezüchteten Steine kosten dort ein Bruchteil des Originals. Guido Grohmann ist Hauptgeschäftsführer des BSVU (Bundesverbands Schmuck, Uhren, Silberwaren und verwandte Industrien) und war letztes Jahr auf der Schmuckmesse in Las Vegas, einer der größten ihrer Art. Im Videotelefonat erzählt der 49-Jährige von einem absurden Preiskampf: „Dort wurden die synthetischen Steine regelrecht verkloppt“, berichtet Grohmann. „99 Dollar das Karat, so etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Zum Vergleich: Ein natürlicher Diamant kostet je nach Reinheit, Farbe und Schliff das Sieben- bis Neunfache.
Hierzulande ist von einem solchen Preisruck deutlich weniger zu spüren. „In Deutschland war das Geschäft mit den künstlichen Diamanten bis letztes Jahr ein absolutes Nischenthema“, sagt Grohmann. Der Markt sei so gut wie nicht messbar gewesen. Das liegt auch daran, dass sich viele Big Player weigern, künstliche Steine ins Sortiment zu nehmen. Von Kim-Eva Wempe, Inhaberin der gleichnamigen Juwelierkette, die zu den größten in Europa gehört, heißt es auf Anfrage des Managermagazins: „Wir haben uns mit den Diamantsynthesen eingehend auseinandergesetzt und uns gegen ihre Verwendung entschieden.“ Der 62-Jährigen sei die Wertbeständigkeit wichtig: „Synthetische Diamanten haben sich in der Preisentwicklung sehr volatil gezeigt. Wir sehen die Zukunft von Diamantsynthesen daher eher bei Modeschmuck.“ Auch bei den Schweizer Edeljuwelieren Chopard und Bucherer gibt es ausschließlich natürliche Diamanten. Marktführer Christ jedoch führt eine eigene Linie mit künstlichen Diamanten und nennt sie „grünen Schmuck“.
Solche Bezeichnungen machen Guido Grohmann fuchsteufelswild. Denn viele Hersteller und Händler bewerben den Schmuck mit im Labor gewachsenen Steinen als nachhaltiger und ethisch unbedenklicher. Das sei falsches Marketing, schimpft Grohmann. Denn einerseits sei die Diamantenbranche nicht so schlecht wie ihr Ruf, und andererseits sei die Herstellung von synthetischen Diamanten mitnichten umweltfreundlicher.
Wie entstehen synthetische Diamanten?
Natürliche Diamanten entstehen im Laufe von vielen Millionen Jahren, hunderte Kilometer unter der Erdoberfläche. Ihr Vorkommen ist begrenzt, das Schürfen mühsam, der Markt umkämpft. Trotz medialer Aufmerksamkeit und Bemühungen der Branche um Zertifizierungen sind die Arbeitsbedingungen teilweise schlecht, das Risiko für Zwangsarbeit in den Minen hoch.
Im Labor hingegen wächst ein Diamant binnen weniger Wochen. Wie genau das geht, weiß Peter Knittel. Der promovierte Chemiker ist Gruppenleiter beim Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik (IAF) in Freiburg. Seit Anfang der Neunzigerjahre produziert das IAF künstliche Diamanten – allerdings für Forschung und Industrie, nicht für Juweliere. Knittel hat in seinem Büro mehrere Diamanten vorbereitet: monokristalline, die nur aus einem Kristall bestehen, und polykristalline, bei denen viele Kristalle zu sogenannten Wafern kreisrund bis zu einem Durchmesser von 150 Millimetern zusammenwachsen. Nichts davon sieht aus wie die Klunker, die man im Kopf hat. Für Knittel sind Diamanten einfach eine Verbindung aus Kohlenstoff. „Es gibt keine guten oder schlechten Diamanten“, sagt der 36-Jährige. „Nur Variationen. Sobald es ein Diamant ist, bewegen wir uns strukturell auf demselben Niveau.“ Das heißt: Ein synthetischer Stein hat die gleiche chemische Struktur wie ein natürlicher. Für Wissenschaftler Knittel liegt der einzige Unterschied in der Entstehung.
Das Freiburger Institut arbeitet mit menschengroßen eiförmigen Vakuum-Reaktoren, in denen ein eingebrachter Keimkristall durch die Zugabe von Kohlenstoff größer gezüchtet wird – das sogenannte CVD-Verfahren (Chemical Vapor Deposition). „Das kann man sich ein bisschen vorstellen wie die Kristallzuchtsets, mit denen Kinder experimentieren“, erklärt der Wissenschaftler. Schritt für Schritt wächst ein Diamant auf einer Keimzelle. Das zweite Verfahren für die Synthese nennt sich HPHT (High Pressure High Temperature). Es imitiert mit extrem hohen Temperaturen und immensem Druck die natürliche Entstehung von Diamanten, verkürzt sie aber auf wenige Wochen. HPHT kommt im Fraunhofer IAF nicht zur Anwendung, da es deutlich schlechter zu kontrollieren sei. „Damit könnten wir die Eigenschaften der Diamanten nur bedingt verändern, das hat für uns keinen Sinn“, erläutert Knittel.
Und was ist mit dem Nachhaltigkeitsargument? Das lässt sich so nicht halten, wenn man Profis fragt. „Die Synthese – egal, mit welchem der beiden Verfahren gearbeitet wird – ist nie energiearm“, betont Peter Knittel. Schätzungen zufolge braucht man für die Herstellung eines Karats circa 750 Kilowattstunden Strom, etwa so viel wie ein deutscher Zweipersonenhaushalt in drei Monaten verbraucht. Die CO2-Intensität relativiere sich aber, wenn man mit erneuerbaren Energien produziert und zumindest muss man nicht tief ins Erdreich graben.
„Es gibt keine guten oder schlechten Diamanten. Nur Variationen. Sobald es ein Diamant ist, bewegen wir uns auf demselben Niveau.“
Peter Knittel, Gruppenleiter Fraunhofer-Institut IAF
Peter Knittel und sein Team erzeugen Diamanten für definierte Anwendungen: Zum Beispiel für magnetische Sensoren, die fehlerhafte Festplatten identifizieren können. Oder für elektronische Bauelemente, die hohe Spannungen von mehr als 1000 Volt aushalten müssen, sowie für den industriellen Gebrauch, wenn Materialien mit höchster Robustheit nötig sind. „Die Wärmeleitfähigkeit entspricht dem Fünffachen von Silber und der Kompressionsmodul ist mehr als doppelt so groß wie der vom besten Stahl“, sagt Knittel. Trotzdem wiegt ein Diamant fünfmal weniger als Gold.
Durch die Zugabe bestimmter Stoffe wie Stickstoff oder Bor können die Wissenschaftler die Eigenschaften des Diamanten kontrolliert manipulieren. „Wir beginnen im luftleeren Raum und setzen gezielt die Gase ein, die wir brauchen“, erläutert Peter Knittel. Auf diese Weise entstehen künstliche Diamanten, die beliebig oft in exakt derselben Zusammensetzung reproduzierbar und damit dann doch so etwas wie das Gegenteil von natürlich gewachsenen Diamanten sind, von denen jeder einzelne ein Unikat ist.
Was sind sie wert?
„Das ist ja das Besondere am Diamanten“, schwärmt Jeanette Fiedler, selbst mit Echtschmuck an Hals, Fingern und Handgelenken ausgestattet. Die 69-Jährige ist Geschäftsführerin der Stiftung des Deutschen Diamanten Instituts (DDI) in Pforzheim, das Steine auf seine Echtheit prüft. „Ein Naturstein ist immer einzigartig. Einer seiner Werte liegt darin, dass er eben nicht beliebig oft reproduzierbar ist. Daher wächst bei natürlichen Diamanten der Wert langfristig, weil ihre Seltenheit von Natur aus gegeben ist.“ Sie habe generell nichts gegen im Labor gezüchtete Steine, im Gegenteil: „Synthetische Diamanten werden seit Jahrzehnten für die verschiedensten Industriezweige hergestellt, vor allem, weil deren Bedarf das natürliche Vorkommen bei weitem übersteigt.“ Und auch im Uhren- oder Schmuckmarkt seien künstliche Edelsteine keine Seltenheit: Synthetische Rubine oder Saphire gehören seit vielen Jahren zum Sortiment. „Doch beim Diamanten tut man sich schwer“, findet Fiedler, die sich als vereidigte Sachverständige auch mit dem Wert von Edelsteinen beschäftigt. Es sei eine persönliche Philosophie: „Der eine möchte ein hübsches, bezahlbares Schmuckstück haben, und hat sonst keine Anforderung daran, dann ist er mit einem synthetischen Diamanten perfekt bedient.“ Dann gibt es aber noch die anderen – sowohl bei der Kundschaft als unter Herstellern und Händlern –, die befürchten, dass das Angebot verwässern könnte. „Ich gehe davon aus, dass der globale und auch der deutsche Markt für synthetische Steine mengenmäßig wachsen wird, aber wertmäßig noch weiter fällt“, sagt Fiedler.
“Schmuck mit synthetischen Diamanten könnte die Lücke zwischen den sehr teuren natürlichen Diamanten und den günstigen Glassteinen schließen.”
Guido Grohmann, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Schmuck, uhren, Silberwaren und verwandte Industrien
Sicher ist: Synthetische Diamanten haben das Potenzial, neue Kundengruppen zu erschließen, als Geldanlagemöglichkeit sind sie jedoch keine Option. „Das ist aus unserer Sicht die Quintessenz“, sagt Guido Grohmann. „Dieses Produkt hat über den reinen Materialwert hinaus keinen weiteren Wert.“ Er würde sich wünschen, dass der synthetische Diamant nicht als Alternative des natürlichen gehandelt wird, sondern als ein weiteres und zusätzliches Element in der Juwelierauslage: „Schmuck mit synthetischen Diamanten könnten die Lücke zwischen den sehr teuren echten Diamanten und den günstigen Glassteinen schließen.“ Doch dafür sei es unbedingt nötig, lupenrein zu kommunizieren. Und das tun nicht alle Händler, bemängelt Grohmann. In Belgien, Frankreich, England gebe es bereits Verbraucherschutzgesetze, die festlegen, welche Begriffe verwendet werden dürfen. Sei das nicht geregelt, verliere man sich ja völlig zwischen Begriffen wie Biodiamant, Labordiamant, Kulturdiamant, grüner Schmuck und so weiter. „Ein Beispiel: Wenn es in der Überschrift ,Diamantring‘ heißt und ein Käufer dreimal klicken muss, bis irgendwo steht, dass es sich bei dem angebotenen Schmuckstück um einen synthetischen Stein handelt, halten wir das nicht für rechtens“, betont Grohmann.
Denn mit bloßem Auge erkennen lässt sich der Unterschied nicht. Selbst Profis tun sich teilweise schwer, meint Jeanette Fiedler, deren Institut immer wieder Anfragen zur Echtheitsprüfung bearbeiten muss. Das geht recht schnell und kostet nur wenige hundert Euro, sei aber wichtig: „Wer einen echten Diamanten kauft, kauft auch immer ein Stück Emotion und Vertrauen“, sagt Fiedler.