Ein Gespräch von Rudolf Kast mit Ulrich Prediger, der Gründer des bundesweit beachteten Leasing-Unternehmens Jobrad aus Freiburg.
Herr Prediger, vom Einmann-Start-Up zum mittelständischen Unternehmen mit 180 Mitarbeitenden: Wie waren die Anfänge?
Ich habe das Unternehmen 2008 gegründet und in den ersten 5 Jahren hatten wir nicht mehr als fünf bis sechs Beschäftigte. Unser Modell funktionierte anfangs nicht, weil wir vom arbeitgeberfinanzierten Modell des Fahrradleasings ausgingen, erst mit steuerlicher Akzeptanz der 1 Prozentige-Versteuerung von Leasingfahrrädern analog zum Firmen-PKW kam 2012 der Durchbruch und das Wachstum. Mit dem Steuererlass 2012 und den Pressemitteilungen explodierten die Anfragen der Medien, wir zu der Zeit hatten wir noch nicht mal eine Web-Site. Typisch für ein Start-UP: unser Web-Manager und der Marketingleiter produzierten dann in unserer kleinen Küche in 3 bis 4 Tagen eine Webseite.
Was ist von der Start-Up Mentalität geblieben?
Wir agieren und kommunizieren nach wie vor sehr informell, jeder redet mit jedem, Mitarbeitende direkt mit jeder Führungskraft, seit wir 2013 erste Führungsstrukturen eingezogen haben.
Was macht dieser Erfolg mit dem Menschen?
Ich hatte keine schlaflosen Nächte, auch wenn wir seit 2013 nur noch Wachstum managen. Dieses Wachstum hat mich zwar an persönliche Grenzen geführt, mit ist indes bewusst, ich darf Gründer sein und dieses Wachstum begleiten. Ich bin nicht der Unternehmer, der über alles Bescheid wissen will, Mitarbeitende sollen so viel wie möglich entscheiden.
Welche externen Impulse haben Sie genutzt?
Mit dem Wachstum haben wir externe Coaches eingesetzt, um unter anderem zu klären, was uns wichtig ist im Umgang mit den Menschen. Wir wollen zum Beispiel nicht, dass Überstunden geleistet werden. Bei Spitzenzeiten im Sommer werden Mehrstunden im Winter abgefeiert, wir schicken unsere Mitarbeiter auch abends mal nach Hause, wenn sie zu lange im Büro sitzen. In begleiteten Workshops haben wir festgehalten, dass uns ein fairer Umgang mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden sehr wichtig ist. Unsere Zielsetzung lautet: wir bauen das Unternehmen mit den Mitarbeitenden auf und um die Mitarbeitenden herum.
Wie verträgt sich Partizipation mit der dann doch gebildeten Hierarchie?
Mit der Bildung von drei Hierarchieebenen, Geschäftsführung, Bereichsleiter und Teamleiter, haben wir 2016 einen Leitbildprozess gestartet, Projektmanagement eingeführt und in einem Kulturworkshop in St. Peter an unseren Werten und Grundlagen gearbeitet. Wir sind überzeugt davon, dass wir nur mit Einbeziehung der Teams die besten Lösungen erzielen. Unsere Führungshaltung spiegelt sich darin, dass wir im Konsensprinzip arbeiten, d.h. Entscheidungen werden erst dann getroffen, wenn alle Fragen und Einwände geklärt sind. Hilfreich für die Einstellung zur Führung ist sicherlich, dass 50% unserer Führungskräfte in Teilzeit arbeiten, selbst Sabbaticals durchführen und 43% unserer Führungskräfte weiblich sind. In einer kürzlich erfolgten Umfrage zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit ihren Führungskräften erzielen diese Top-Werte.
Ist Führung für Sie möglicherweise deswegen einfacher, weil Ihre Mitarbeitenden alle Überzeugungstäter sind?
Das ist sicherlich so. In der Fahrradstadt Freiburg gewinnen wir Mitarbeitende, die ein großes Dienstleistungsverständnis für den Markt und eine hohe intrinsische Motivation haben. Alle sind nachhaltig orientiert und unsere gemeinsame Vision lautet: „Wir bringen die Menschen aufs Rad“. Die Geschäftsführung muss keinerlei Druck ausüben, im Gegenteil ist es unsere Aufgabe, Druck herauszunehmen. Wir regeln so wenig wie möglich.
Wie entwickeln Sie dieses Führungsmodell weiter?
Die Selbstautonomie fördern wir, die Teams sollen sich selbst führen. Deshalb benötigen die Mitarbeitenden selbstverständlich die für sie notwendigen Informationen. Alle haben aus diesem Grund Zugriff auf die aktuellen Tagesumsätze und in der Informationsgewinnung gilt generell der Grundsatz, dass Information Holschuld der Mitarbeitenden ist, allen steht alles zur Verfügung. Die Informationsvermittlung ist nicht nicht Aufgabe der Führungskräfte.
Wie erleben und leben dies neue Mitarbeitende?
Unsere einzige Konstante ist die Veränderung. Fast alles, was wir tun, ist neu. Alle drei Monate ziehen wir teilweise um, haben wir neue Produkte und viele neue Kunden. Insofern brauchen unsere neuen Kolleginnen und Kollegen mindestens sechs Monate Zeit zur Eingewöhnung. Wir wissen aber, dass die Veränderungsgeschwindigkeit nicht zu hoch sein darf. Die Konstante im Prozess ist die Führungskraft. Sie muss sich Zeit nehmen für Führung und nicht für operative Details. Unsere Führungsaufgabe lautet: „Befähige Dein Team.“
Was bleibt denn der Führungskraft in der Entscheidungsrolle?
Die Geschäftsführung und alle Führungskräfte agieren ausschließlich im Teamprozess. Die Förderung der intrinsischen Motivation, die Teilhabe in der Gestaltung und Mitverantwortung sorgt für einen angemessenen Umgang mit Ressourcen. Alle arbeiten am gemeinsamen Erfolg, es gibt keine politischen Machtspiele.
Welche Rolle spielt die Komponente der emotionalen Führung in Ihrem Unternehmen?
Wir leben das, wir wollen, dass alle ihre Persönlichkeit ins Unternehmen einbringen. Ein Beispiel: Mitarbeitende bringen häufig ihre Kinder mit ins Unternehmen, die dann bei Gelegenheit mit in Bewerbungsgepräche gehen. Wenn Bewerber damit nicht umgehen können, auf die Situation nicht eingehen können, passen Sie nicht zu uns.
Was erleben Sie persönlich als Ihre größte Veränderung seit der Gründung?
Ich habe sehr viel über Menschen gelernt. Mir ist es wichtig, Menschen zu begeistern und vor allem, ihre eigene Begeisterung zu entfachen.