Das alte Normal ist zurück. Und auch wieder nicht. Denn das Reiseverhalten vieler Menschen hat sich nach der Pandemie verändert. Was regionale Reisebüros und -veranstalter berichten und wie es ihnen geht.
Text: Susanne Maerz
„Die Reiselust ist extrem groß. Die Menschen schieben ihre Träume nicht mehr auf die lange Bank, sondern erfüllen sie sich“, sagt Aron Stiefvater, Geschäftsführer des familiengeführten Reisebüros Stiefvater mit Hauptsitz in Weil am Rhein. Das bestätigt auch Margit Boschert, Derpart-Vertriebsbezirksleiterin Südwest und damit auch verantwortlich für die Derpart-Reisebüro Rade GmbH aus Offenburg: „Es gibt nach wie vor einen sehr großen Nachholbedarf.“ In der Pandemie hätten die Menschen gemerkt, wie schnell sich alles ändern kann. „Daher sagen sie: Wenn nicht jetzt die Traumreise machen, wann dann?“
Also alles wieder wie vor 2020? Nicht ganz. Denn die Wunschziele für den Traumurlaub liegen meist nicht in Spanien oder Italien. Immer mehr Menschen als noch vor der Pandemie reisen in ferne Länder und geben dementsprechend mehr Geld aus. Zum Beispiel für eine Rundreise durch Japan, eine Safari in Afrika, ihren Traumaufenthalt auf den Malediven oder in der Karibik. Diese Reiseziele sind in den fünf Standorten des Reisebüros Stiefvater in Weil am Rhein, Lörrach und Freiburg derzeit besonders gefragt, wie der Chef des Familienunternehmens mit rund 50 Mitarbeitenden berichtet. Ebenso beliebt: Weltreisen sowie Kreuzfahrten mit einem Segelboot oder auf die Galapagosinseln. „Die Menschen suchen das Außergewöhnliche“, sagt er. Familien mit kleineren Kindern blieben zwar nach wie vor meist in Europa – „aber sie gönnen sich einen teureren All-Inclusive-Urlaub zum Beispiel in Griechenland, auf den dortigen Inseln oder in der Türkei.“
Gerne ein Zimmer mit Meerblick
Dass die Menschen über alle Altersgruppen hinweg höherwertig buchen, eine andere Hotelkategorie als früher wählen oder das teure Zimmer mit Meerblick statt zum Hof, davon berichtet auch Margit Boschert. In den vier Touristikreisebüros, die das Unternehmen in der Ortenau betreibt, ist ebenfalls Japan als Reiseziel besonders gefragt. Gleiches gilt für Südafrika oder Tansania. Und dabei wird häufig eine Kombination aus Rundreise und Strandurlaub gebucht. Oder eine Schiffsreise mit der Hurtigruten entlang der norwegischen Küste. „Es geht um das Besondere und um das Erlebnis“, sagt auch sie.
Nicht immer stecken die Erfahrungen aus der Pandemie dahinter, wo vieles nicht mehr möglich war. Gerade bei Jüngeren komme der Einfluss von Social Media wie Instagram und Tiktok dazu, wo viele ihre Bilder aus der Ferne posten, berichtet Boschert. Das rege zum Nachahmen an. „Reisen bekommt wieder einen höheren Stellenwert“, sagt sie und beobachtet: Auch junge Leute geben jetzt für Fernreisen mehr Geld aus.
Das ist nicht nur in der Region so: Laut dem Deutschen Reiseverband (DRV) sind die Bundesbürger im vergangenen Jahr für knapp 96 Milliarden Euro gereist. Ein neuer Rekord. 2019, ein Jahr vor der Pandemie, waren es 83,3 Milliarden Euro gewesen. Natürlich kostet angesichts von Inflation und Preissteigerungen auch alles mehr. Gleichwohl wird während der Pandemie gespartes Geld verstärkt für Urlaub ausgegeben. In der Branche nennt man dieses Phänomen „Revenge Travel“, auf Deutsch Rachereisen.
Das hilft auch der in der Pandemie besonders gebeutelten Branche: Die Umsätze der Reiseveranstalter in Deutschland lagen laut dem DRV 2023 bei 37,3 Milliarden Euro und damit sogar über dem Jahr 2019 (35,4 Milliarden). Die Reisebüros erwirtschafteten mit Privat- und Geschäftsreisen 20,7 Milliarden Euro – das ist indes noch etwas weniger als im Jahr 2019 (24,5 Milliarden Euro). Etwa ein Drittel davon entfiel vergangenes Jahr auf Geschäftsreisen.
Dieser Bereich holt auch beim Reisebüro Rade mit seinen 27 Mitarbeitenden auf, das einen eigenen Standort für Business-Travel betreibt. „Wir bekommen viele Neukunden“, berichtet Boschert, und die Umsätze seien gestiegen. Also durchweg gute Geschäfte für die Reisebüros in der Region? „Wir sind wieder auf dem Vor-Corona-Niveau“, sagt Aron Stiefvater mit Blick auf dieses Jahr. Und Margit Boschert berichtet: „Diese Jahr ist die Nachfrage sehr gut, und wir sind sehr zufrieden.“
Nicht nur die Stammkunden sind zurück, auch viele neue, vor allem jüngere sind dazugekommen, erzählen beide. „Je unsicherer die Welt und je unübersichtlicher das digitale Angebot, umso wichtiger wird der persönliche Kontakt im Reisebüro“, sagt Margit Boschert. Das habe man auch nach der Insolvenz des Branchenriesen FTI Anfang Juni dieses Jahres gemerkt, berichtet Aron Stiefvater. Da seien alle die froh gewesen, die im Reisebüro gebucht hatten. Denn die Mitarbeitenden hätten dort sofort nach Eintreffen der Insolvenznachricht das Krisenmanagement übernommen. Für diese bedeute dies nach wie vor „jede Menge mehr Arbeit“, sagt er. Wie man damit umgehe, wisse man zwar seit der Insolvenz des Reisekonzerns Thomas Cook im Jahr 2019, aber „wieder Normalbetrieb wäre auch schön gewesen“.
Neue Krise statt Normalbetrieb
Normalbetrieb hätte sich auch Manuela Wagner, Geschäftsführerin des Reiseveranstalters Canada Dream Tours aus Schramberg, gewünscht. Bis zur FTI-Pleite sah es auch danach aus, liefen die Geschäfte nach der Zwangspause in der Pandemie seit vergangenem Jahr doch so gut wie nie. Ihre hochwertigen Wohnmobil- und Mietwagenrundreisen in Kanada für zahlungskräftige Paare oder Kleingruppen boomten. Canada Dream Tours kommt nun auf bis zu 350 Reisen im Jahr – 40 Prozent mehr als vor Corona und enorm viele für einen kleinen Veranstalter mit fünf Festangestellten und neun Minijobbern. Die Kundinnen und Kunden sind meist Best Ager aus ganz Deutschland, die genügend Geld, aber nicht die Zeit haben, sich den individuellen Urlaub, den sie sich wünschen, selbst zu organisieren.
Was Manuela Wagner 2023 erwirtschaftete, investierte sie beispielsweise in Messe- und Social-Media-Auftritte. Dieses Jahr, so der Plan, wollte sie nicht nur den Umsatz, sondern auch den Gewinn steigern. Doch nun steht sie vor einer neuen Herausforderung: Denn Canada Dream Tours hat bislang alle Flüge sowie fast alle Camper und Pkw über den Reisekonzern FTI gebucht und abgewickelt, der nicht nur Reisen veranstaltete, sondern auch als sogenannter Consolidator, also Ticketgroßhändler für kleinere Veranstalter fungierte.
Für Wagner und ihr Team bedeutete dies, dass sie seit Juni für die meisten ihrer Kunden neue Camper und Autos bei anderen Anbietern organisieren und für gebuchte, aber noch nicht ausgestellte Tickets sehr schnell einen neuen Consolidator finden mussten. All dies war und ist nicht nur ein immenser personeller, sondern auch finanzieller Mehraufwand. Zum einen, weil sie die gebuchten Leistungen bereits zum Teil an FTI gezahlt hatten, zum anderen, weil kurzfristige Buchungen deutlich teurer sind als langfristige. Von den 50.000 Euro extra Aufwand hofft Manuela Wagner etwa die Hälfte über den staatlichen Sicherungsfonds zurückzubekommen. Der Betrag, auf dem sie sitzen bleibt, ist für sie gleichwohl „eine enorme Summe“.
Trotz allem gibt sich Wagner optimistisch: „Zu 70 Prozent kommen wir mit einem blauen Auge davon“, sagt sie. Auch, weil der Verkauf für 2025 schon in vollem Gange sei. Immerhin habe sich wieder einmal gezeigt, wie gut die Branche zusammenhalte, als man sich gegenseitig half, neue Großhändler zu finden. „Schließlich ist es für uns alle am wichtigsten, dass unsere Kunden reisen und sich ihre Träume erfüllen können“, sagt sie.
In Kuba kann es erst jetzt wieder losgehen
Viele Kundinnen und Kunden des Freiburger Reiseveranstalters Aventoura zögern derzeit noch, wieder in ihr Lieblingsland Kuba zu reisen. Das Unternehmen ist auf nachhaltige Individual- und Gruppenreisen nach Mittel- sowie Südamerika spezialisiert und beschäftigt etwa ein Dutzend Mitarbeitende. Etwa 70 Prozent des Umsatzes erwirtschafteten Gründer und Geschäftsführer Gerd Deininger und sein Team vor der Pandemie mit Reisen nach Kuba. Das Land stürzte jedoch 2022/23 in eine größere Wirtschaftskrise als viele andere Länder der Region, die neben einer hohen Inflation unter anderem häufige Stromausfälle sowie eine extreme Benzinknappheit zur Folge hatte. „Das hat dazu geführt, dass auch der Tourismus in Mitleidenschaft gezogen wurde“, sagt Deininger. Berichte von Urlaubenden auf Social Media über den Mangel vor Ort hätten ebenfalls dazu beigetragen, dass viele bereits geplante Reisen abgesagt wurden.
Inzwischen sei das nicht mehr nötig, erklärt Deininger, der selbst im Juni wieder vor Ort war, unter anderem bei der eigenen Niederlassung in Havanna mit 15 Mitarbeitenden: „Dem Land geht es zwar nach wie vor nicht gut, aber jetzt können wir Mietwagenrundreisen wieder empfehlen.“ Denn inzwischen gebe es wieder Treibstoff, wenn er auch teurer sei als zuvor. Und auch die Restaurants bieten wieder alles an, was auf der Speisekarte steht. Für Einheimische nach wie vor sehr teuer, für Touristen aber bezahlbar. Zudem gehe es an den vor der Pandemie überlaufenen touristischen Highlights derzeit ruhig und entspannt zu. „Jetzt ist eigentlich eine ideale Zeit, Kuba zu bereisen“, wirbt er und hofft, dass das Geschäft wieder anzieht. So, wie es nach der Pandemie bei Costa Rica geschehen ist, der zweitwichtigsten Destination von Aventoura.
„Das Land liegt voll im Trend“, sagt Deininger. Er berichtet von seiner sehr guten Nachfrage nach hochpreisigen Reisen nach Costa Rica ebenso wie in südamerikanische Länder wie Chile, Peru oder Kolumbien. Ecuador laufe indes angesichts der sozialen Unruhen weniger gut. „Unterm Strich sind wir noch nicht ganz auf dem Niveau von 2019, aber wir kommen allmählich wieder dorthin“, sagt Deininger. Auch Kuba, so ist er sich sicher, werde wiederkommen. „Schließlich gehört es weiterhin zu den ganz besonderen Reisezielen dieser Welt.“