Man kennt es vom Schuhkauf oder der Schneiderei: Fuß und Körper werden vermessen, damit der Stiefel oder Anzug richtig passt. Diese Idee hat ein Freiburger Unternehmen aufs Fahrrad übertragen: Radlabor bietet sogenannte Bike Fittings als Dienstleistung an und verkauft Systeme dafür an Fahrradgeschäfte sowie Onlineshops weltweit. Ein Wachstumsmarkt.
Von Kathrin Ermert
Als Björn Stapelfeldt im Frühjahr 2020 auf dem Sofa saß, konnte er seiner Firma beim Wachsen zuschauen. Die Nutzungszahlen seines erst kurz zuvor entwickelten Onlinetools, mit dem Webshops die Wahl des passenden Fahrrads unterstützen können, schwollen auf dem Laptopbildschirm an. Aufgrund des Coronalockdowns hatten die Menschen viel Freizeit, die Sonne schien, die Geschäfte waren geschlossen. Deshalb kauften sie im Internet Fahrräder, und bei vielen Käufen poppte ein Fenster auf, in dem sie Körpergröße, Arm und Beinlänge eingeben konnten, woraufhin ihnen die richtige Rahmengröße angeboten wurde. „Ich habe schnell mit unserem Host telefoniert, wir brauchten zusätzliche Serverkapazitäten“, erzählt Stapelfeldt. Seit der Pandemie erzielt seine Radlabor GmbH den Hauptumsatz online.
Der Firmenname erinnert an den Ursprung des Unternehmens, das 2007 als Uniausgründung gestartet ist. Stapelfeldt, selbst Fahrradfreak mit einem halben Dutzend Rädern im Keller, hatte in seiner Promotion in Sportwissenschaften eine Methode entwickelt, um Mensch und Fahrrad aneinander anzupassen. Für die optimale Ergonomie vermisst ein Laser Körper und Rad, ein Algorithmus verwandelt die Daten in Einstellwerte für Rahmen, Sattel, Lenker und Pedalen. Anfangs ging es darum, so die Leistung von Radprofis zu steigern. Während der Doktorarbeit betreute Stapelfeldts Forschungsgruppe dafür das damalige Team Telekom. Auch das Radlabor zielte zunächst auf Profis, weitete die Dienstleistung bald aber auf den Hobbysport aus. Mit der steigenden Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel kommen auch immer mehr Alltagsradlerinnen und -radler in die drei Filialen in Freiburg, Frankfurt und München.
„Wir merken zwar derzeit schon die Zurückhaltung des stationären Handels bei der Anschaffung neuer Geräte, aber das können wir online kompensieren.“
Björn Stapelfeldt
Parallel zur Kundschaft hat Stapelfeldt sein Angebot vom B2C- zum B2B-Geschäft ausgeweitet, indem er begann, das Vermessungsgerät mit dem Markennamen Smartfit auch dem Fahrradhandel zu verkaufen. Es entsteht in Kleinserien in einer eigenen Manufaktur im Freiburger Westen. Die Einzelteile liefern Handwerks- und Elektrobetriebe aus der Region. Mittlerweile nutzen mehr als 600 Fahrradgeschäfte in 45 Ländern die Smartfit-Technik samt der zugehörigen Software, die die Rumpf-, Arm- und Beinlänge der Kundschaft mit dem Sortiment des Ladens abgleicht. „Das hilft Händlern, mehr Fahrräder zu verkaufen, vor allem solche, mit denen die Kunden glücklich werden“, sagt Stapelfeldt selbstbewusst. Als Sportwissenschaftler kennt er die anatomischen Problemstellen. Einschlafende Hände, verspannte Nacken, schmerzende Knie ließen sich mit der richtigen Einstellung des Fahrrads vermeiden, betont der Unternehmer.
Seiner Mission – „Smartfit soll weltweit beim Fahrradkauf unterstützen“ – ist er mit der Onlinevariante ein Stück nähergekommen. Durchschnittlich 50.000-mal pro Tag öffnet sich ein Smartfit-Fenster. Wenn an Ostern die Sonne scheint, kommt das Tool sogar auf gut 100.000 User täglich, mehr als 25 Millionen sind es pro Jahr. An jedem einzelnen verdient die Firma Radlabor ein paar Cent. Die zahlen die Webshops – oft sind es Fahrradgeschäfte, die das analoge Smartfit im stationären Handel nutzen – als Gebühr für die Nutzung der Software. Die Technologie verringert laut Stapelfeldt die Zahl der Retouren. Damit sei sein Unternehmen Marktführer und blicke sehr positiv in die Zukunft. „Wir merken zwar derzeit schon die Zurückhaltung des stationären Handels bei der Anschaffung neuer Geräte, aber das können wir online kompensieren.“ Stapelfeldt macht sich keine Sorgen um die Zukunft. Im Gegenteil: Er sieht noch viel Potenzial für seine Technologie. Seit Kurzem testet er sie beispielsweise für den Onlinekauf von Skiern. Und er arbeitet an Möglichkeiten, die große Menge anonym gespeicherter Daten aus den vielen Jahren Körpermessung sinnvoll zu nutzen.
Dabei geht es dem Unternehmer mehr um die Freude am Fahrradfahren, denn um schnelles Wachstum, das merkt man beim Gespräch in den Räumen in der Heinrich-von-Stephan-Straße. 2017 ist Stapelfeldts Unternehmen vom Sportunicampus hierhergezogen. Aus dem Fenster seines Showrooms sieht er den großen Nachbarn Jobrad, der seit gut drei Jahren dort seinen Hauptsitz hat. Das Gründungspaar Ulrich und Sandra Prediger kennt Stapelfeldt noch aus der Startphase. Die Predigers haben sich ein Jahr nach ihm selbstständig gemacht. Es gebe lose Ideen für eine Zusammenarbeit, sagt Stapelfeldt. Schließlich arbeiten seine Kunden aus dem Fachhandel mit Jobrad zusammen. Zudem trage Smartfit dazu bei, die Zahl der Fahrradumtausche und damit die aufwendige Rückabwicklung von Leasingverträgen zu minimieren.
Im Vergleich zu Jobrad, das mittlerweile circa 850 Menschen beschäftigt, ist die Firma Radlabor klein geblieben. Sie zählt rund 40 Mitarbeitende, darunter zwei weitere Geschäftsführer. In Freiburg arbeitet etwa ein Dutzend, fünf sind es in München und drei in Frankfurt. Die restlichen verteilen sich auf mehrere Länder. „Wir haben eine ausgeprägte Remote-Kultur“, sagt Stapelfeldt. Das sei nötig, um im Kampf um die besten Bewerbungen zu bestehen. Viele seiner Beschäftigten haben ebenfalls Sport studiert, einige kommen aus dem Kaufmännischen und der IT, neuerdings arbeitet auch eine Physiotherapeutin im Freiburger Radlabor. Jetzt soll das Verkaufsteam aufgestockt werden, um das neue, KI-basierte Smartfit-Modell voranzutreiben, das aus einem Foto Messdaten generieren kann. Und in der Folge wächst wahrscheinlich auch die Produktion.