Zwischen digitalem Arbeitsalltag und futuristischen Visionen. In einer Podiumsdiskussion bei United Planet haben Referenten und rund 70 Gäste darüber gesprochen, wie die Realität am „digital workplace“ aussieht.
Von Katharina Müller
Stifte, eine ToDo-Liste, hier und da ein Blätterhaufen, dann eine Tastatur, ein Bildschirm, eine Kaffeetasse von gestern und daneben das Smartphone. Genau im Blickfeld positioniert, für ankommende WhatsApp Nachrichten. Die Digitalisierung hat uns schon verändert, keine Frage und sie wird es auch in Zukunft tun. Aber nicht als Revolution, sondern als Transformation. Nicht überrumpelnd, sondern sanft, schleichend, in kleinen Schritten. Auch im Arbeitsalltag kommt sie an.
Ein riesen Thema, ein Mega-Trend mit Visionen und Chancen und möglichen Gefahren, wenn die Geschäftsfelder nicht rechtzeitig angepasst und strategisch ausgerichtet werden. Exemplarisch für diese Situation ist der Arbeitsplatz: Ein Mix aus analog und digital, aus Mails – hier und da ein PDF, die Ordner im Regal werden weniger, aber der Drucker, der läuft trotzdem noch.
Dieses Szenario ist bei vielen Unternehmen Realität, vom digital workplace wie Bildwelten der Stockfotografien zeigen keine Spur: Selten wird man wie dort diese leergefegten Schreibtische und papierlosen Büros antreffen, möglicherweise wird das auch nie so werden, vielleicht wird aber inzwischen bei einigen Unternehmen immerhin der Urlaubsantrag digital bearbeitet und eingereicht.
Ein reelles Bild, untermauert mit konkreten Unternehmensbeispielen, zeichneten die Referenten bei einer Veranstaltung von United Planet, einem Anbieter von intelligenten Unternehmensplattformen aus Freiburg und der bwcon, einer Wirtschaftsinitiative zur Förderung des Hightech-Standortes Baden-Württemberg.
IBM war an diesem Abend mit vertreten, einer der ganz Großen. Denn dort scheint die Digitalisierung angekommen zu sein, im Arbeitsalltag, am Arbeitsplatz und in den Geschäftsfeldern des Unternehmens, wo sich einiges verändert hat. Das jedenfalls berichtet Sven Semet, Teamleiter Personal bei IBM. Das Softwareunternehmen wisse beispielsweise, dass seine Mitarbeiter kündigen könnten: Auf Grundlage gesammelter Daten werden Verhaltensmuster erkennbar, der Vorgesetzte kann das Gespräch suchen, vielleicht Angebote vorschlagen zur Weiterbildung oder Gehaltserhöhung und für neue Herausforderungen. Das Ziel ist, talentierte Nachwuchskräfte zu halten, dafür zu sorgen, dass keiner dem Betrieb entgeht. Wo auch sonst soll die Digitalisierung, wenn nicht dort, sichtbar sein?
Das Publikum schwankte zwischen kritischem Blick und Faszination: ob auch Kameras in Kantinen installiert seien, war eine Frage an Semet – der gläserne Mitarbeiter, Überwachung zum Wohle des Unternehmens und der eigenen Karriere? Nur, dass heute keine Kameras mehr notwendig sind: Algorithmen reichen aus, um jeden Klick, jede digitale Bewegung aufzuzeichnen und zu verwerten.
Als Beispiel für eine gelungene Mitarbeiterkommunikation stellte Semet zudem eine App vor, die ein bisschen wie Xing funktioniert. Ein Social Network, eine Plattform für alle Angestellten des Unternehmens mit dem jeweiligen Tätigkeitsprofil der Mitarbeiter und entsprechendem Knowhow: In Bruchteilen von Sekunden werden alle relevanten Personen für eine, in das Suchfeld getippte Problemstellung angezeigt. Im Fallbeispiel beeindruckend: Effizientes Arbeiten durch strukturierte Daten- und Wissensorganisation, denn die Ansprechpartner können ihre Erfahrungen gezielt an Kollegen weitergeben.
IBM investiert in solche Bereiche, insbesondere in das Feld der künstlichen Intelligenz, zum Beispiel auch, um Mitarbeiter zu rekrutieren. Was die sogenannte Watson Technologie, ein von IBM entwickeltes Computerprogramm kann, übersteigt das menschliche Leistungsvermögen und ist nicht allein im Kontext von Unternehmen wichtig, es helfe inzwischen auch in der Medizin. Zwar müsse auch das System noch viel lernen, aber es gibt erste Fälle von konkreten Erfolgen: Diese Maschine schlug bereits erfolgreich Krebstherapien vor.
Fälle, die durch Medien bereits bekannt geworden sind. Ein Programm, das lernfähig ist und stets mit neuesten Erkenntnissen und unzähligen Studien und Behandlungsformen gefüttert wird. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft, aber nicht nur Vision, sondern ein konkretes Beispiel. Sehr genau im Detail vorhersagen werde man die Entwicklung aber dennoch nicht können, betonte auch Christian Steiger von der Haufe Gruppe. Der einstige Verlag mit Sitz in Freiburg hat die Wandlung vollzogen: Mit 1.650 Mitarbeitern ist er heute digitale Mediengruppe und damit Anbieter von digitalen Arbeitsplatz- und Unternehmenslösungen und erwirtschaftet inzwischen 95 Prozent des Umsatzes mit solchen Produkten. Steiger sagt aber, dass auch Steve Jobs sich mit manchen Prognosen irrte. Dieser prophezeite 2003: „Das Abonnement-Modell für den Kauf von Musik ist gescheitert“, Plattformen wie Spotify florieren aber derzeit.
Ein Umdenken sei aber dennoch angesagt. Das Prinzip des Darwinismus wurde an diesem Abend durch ein Dinosaurierskelett veranschaulicht – nicht nur böses Omen, sondern ein Mahnmal der Vergangenheit, übertragen auf aktuelle Entwicklungen in der Arbeitswelt. Schnelle Veränderungen mit unvorhersehbaren Folgen, denn wer verpasst, sich neuen Rahmenbedingungen anzupassen, könnte eben auch selektiert werden. Andreas Seltmann, Vertriebsleiter beim Brandschutzexperten Hekatron, ein großer Mittelständler aus Sulzburg, stellte daher ein ehrgeiziges strategisches Unternehmensziel vor: Bis 2020 sollen nicht mehr 92 Prozent Umsatz mit reinem Produktverkauf gemacht werden, sondern 40 Prozent auch mit Services. Er ist überzeugt: „Ein digitales Geschäftsmodell-Denken muss einsetzen. Das ist eine Herausforderung, dabei müssen nämlich auch die Mitarbeiter mitziehen“. Und nicht zuletzt müsse man auch die eigenen Kunden mitnehmen, ein Weg, der nur über gute Kommunikation gehe und über die entsprechenden Lösungen, digital und mit echtem Mehrwert.