Spaß im Glas und auf dem Teller, das ist heutzutage umworbener, aber auch umstrittener denn je. Bewusst zu genießen, ist nicht zuletzt in unserer Region ein sehr vielschichtiges Unterfangen.
VON RUDI RASCHKE
Nur kurz hinterfragt: Wie glücklich waren wir als Gäste in diesem Jahr? Wir durften zwischenzeitlich ein wenig reisen, wir haben es wieder schätzen gelernt, wenn ein belegtes Focaccia-Brot auf der Gasse in Florenz oder ein Fisch am Mittelmeer in Südfrankreich intensiv schmeckt. Haben den umwerfend kompetenten Service eines zeitgemäßen Restaurants in Berlin-Wedding (!) noch für ein paar extra-Fragen zu uns an den Tisch gebeten. Den grandiosen Spaß der Bars im Pigalle in Paris erlebt. Und es vielerorts feiern dürfen, in der besonderen Situation während der Pandemie Platz nehmen zu dürfen und liebevoll verarbeitete Erzeugnisse freundlich serviert zu bekommen. Genuss kann so leicht sein.
Dass dies nicht überall selbstverständlich ist, zeigte sich hin und wieder nach der Rückkehr in die Region hier. Wo beileibe nicht alles so kulinarisch durchdrungen ist, wie allgemein getan wird. Und im Angebot wie in der Darreichung durch den Service einiges eher wie Gästeabwehr erscheint statt als herzliches Willkommen.
Chancen und Krisenherde
An diesem Punkt seien die besonderen Umstände erwähnt, gegen die hier offenbar härter gekämpft werden muss als an anderen touristischen Hotspots in Westeuropa: Lockdown und Pandemie haben vielerorts für eine regelrechte Personalflucht in der Gastronomie gesorgt, die immer noch nicht konkurrenzfähigen Arbeitsbedingungen dürften dazu beigetragen haben. Darüber hinaus sind mit horrenden Pachten und nicht familien-getragenen Betrieben häufig die Existenz von Gastwirten in Frage gestellt worden. Mancher musste sich in der Pandemie neu erfinden, als es um die bestmögliche Verpackung, Gestaltung und (idiotensichere) Anleitung von to-go-Essen im Lockdown ging. Und sich danach ein weiteres mal neu erfinden, um in die tägliche Arbeit mit Gästen nach dem Lockdown zurückzukehren. Sowohl ambitioniert, aber auch arbeitnehmerfreundlich.
Stellvertretend sei hier das Restaurant Drexlers in der Freiburger Innenstadt genannt, vielleicht der letzte Vertreter der gehobenen Mitte in einer 230.000-Einwohner-Stadt: Vor Corona eine sichere Bank beim Mittagstisch und abends. In der Zeit der Restaurantschließungen ein verlässlicher Lieferant von vier Gängen zum Mitnehmen. Aktuell mit neuem Anspruch bei fixen Menüs am Abend aktiv. Der Mittagstisch wurde zum Bedauern vieler zugunsten besserer Schichtplanung eingestellt. Was ist die derzeitige Herausforderung bei der klaren, etwas mehr Gourmet-orientierten Ausrichtung? Das ist nicht die Beschaffung von gutem Fisch oder Wild, es sind die sogenannten „No-Show“-Gäste, die für sechs Personen bestellen und zwei Stunden vorher absagen. Wie kann ein Restaurant im Jahr 2021 ähnlich wie ein Theater eine Leistung bezahlt bekommen, wenn Menschen mit Reservierung sich fürs Fernbleiben entscheiden?
Der Koch oder Wirt als Social-Media- Könner, Website-Bastler, Human-Ressources- Jongleur und Innenarchitekt: Das scheint zum erweiterten Aufgabenfeld zu gehören, wenn es darum geht, wie wir in Zukunft essen werden. Und natürlich die Beschäftigung mit dem, was gutes Essen und Trinken seit jeher ausmacht: anständige Produkte, gern regional, vernünftige Weine, ein gutes Konzept. Gerade mit letzterem tun sich viele hier schwer, die Gäste erstaunlicherweise nicht.
Wie uns Genuss beschäftigt
Nie zuvor gab es eine eingehendere Beschäftigung mit guten Erzeugnissen wie nach der Pandemie: ein Teil der Verbraucher ist nicht nur bereit, mehr Geld für gute Lebensmittel auszugeben, sondern will auch die Erzeuger kennen und nimmt Wege auf sich. Auf Messen und Symposien wie der diesjährigen „Food Zürich“ geht es längst nicht mehr darum, wer den schönsten Instagram- Kuchen bäckt.
Sondern um Produzenten, die auf besondere Böden achten; um gehobenes veganes Essen, das endlich aus der Schnellimbiss-Ecke finden sollte, gern auch mit Weinbegleitung; um das Zusammenspiel von Hightech-Küche und Traditionsessen. Aber auch darum, wie Einkauf, Gastronomie und Landwirtschaft sich künftig gegenseitig beeinflussen können, wenn es nicht nur besser schmecken, sondern auch nachhaltiger werden soll. Möglichst im Sinne einer Kreislaufwirtschaft von der Farm bis zum Essen (und wieder zurück, wenn die Aufbereitung von Resten den Kreis schließen soll.)
Wie werden wir in Zukunft essen?
Es gibt in der Region durchaus Ansätze, die die klassische Nutztier-Landwirtschaft mittels Direktvermarktung überlebensfähig gestalten. Genusshandwerker, die nicht nur Masse, sondern auch Klasse produzieren. Produzenten, die sich um gänzlich neue Lebensmittel für die nächsten Jahrzehnte verdient machen.
Aber auch jene Orte der Begegnung, wo ganz altmodisch geplaudert, gezecht und gespachtelt werden darf, wenn die Qualität stimmt und die Idee klar ist. Vor allem, und das scheint uns wie bei jeder Art von Wirtschaft nicht ganz unerheblich: um Menschen, die das was sie machen, auch gern machen. Die ihr Produkt lieben, ihre Kunden oder Gäste. Darum soll es in dieser Ausgabe gehen. Genuss kann so leicht sein.