Die eigene Sterblichkeit und die Vorstellung, ob es nach dem Tod weitergeht, beschäftigen den Menschen seit jeher. Doch vom Sterben redet keiner gerne und der Tod wird oft totgeschwiegen. Denkanstöße zum Schluss.
VON CHRISTINE WEIS
Der Tod ist allgegenwärtig. Eine Million Menschen sind 2022 in Deutschland gestorben. Die meisten von ihnen starben nicht zu Hause. Im Schnitt ereignen sich vier Fünftel der Sterbefälle in Krankenhäusern, Hospizen und Pflegeeinrichtungen. Die Versorgung des Verstorbenen übernehmen die Bestatter. Diese Abwesenheit des Todes im Alltag sei der Grund für die Unsicherheit im Umgang mit sterbenden und kranken Menschen, das ist die Meinung des Soziologen Harald Welzer (Jahrgang 1958). Deshalb gäbe es kein Skript dafür, „wie über den Tod zu sprechen ist“. Welzer erlitt 2020 einen Herzinfarkt und erlebte dabei eine Nahtoderfahrung. Daraufhin schrieb er das Buch „Nachruf auf mich selbst“. Einen Nachruf zu Lebzeiten auf sich selbst zu verfassen, empfiehlt er jedem. Nicht als Rückschau, sondern auf die Zukunft gerichtet, verbunden mit der Frage: „Wer will ich gewesen sein?“ Diese Perspektive mache es möglich, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Wichtig ist dem Ökologen etwa eine Kultur des Aufhörens, dazu gehört das Beenden der Ressourcenverschwendung – und auch den Tod wieder in die alltägliche Lebenswelt zu integrieren.
Sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, macht den meisten Menschen Angst. Man weiß zwar um seine eigene Sterblichkeit, aber das Wissen macht die Schwere des Gedankens nicht leichter. Denn man „erlebt“ den Tod immer als Tod eines anderen und diese Erfahrung ist mit Trauer, Schmerzen und Verlust behaftet.
Religionen wie Christentum, Islam oder Judentum entgegnen der Todesfurcht mit dem Glauben an ein Leben danach. Demnach stirbt zwar der Körper, aber der Geist bleibt bestehen. Ludwig Feuerbach (1804–1872) widerspricht als einer der bekanntesten Religionskritiker der Glaubenslehre vom ewigen Leben: „Der Tod ist die ganze, die vollständige Auflösung deines ganzen und vollständigen Seins.“ Was für ihn im Umkehrschluss bedeutet: „Ohne Tod keine Religion.“
Die Angst vor dem Tod wollte vor über 2000 Jahren auch der griechische Philosoph Epikur entkräften. Sie hemme sinnlos die Lebensfreude. Er lehrte, dass sich mit dem Tod Körper und Geist gemeinsam auflösen. „Wenn wir sind, dann ist der Tod nicht da, wenn der Tod da ist, sind wir nicht.“ Religiösen Führern seiner Zeit warf Epikur vor, dass sie ihren Anhängern mit Strafen im Jenseits aus Machtstreben drohten.
Der Verzweiflung des Menschen über seine Vergänglichkeit könne nach Auffassung des amerikanischen Psychoanalytikers Irvin D. Yalom (Jahrgang 1931) der „Welleneffekt“ entgegentreten. Damit ist gemeint, dass Ideen und Taten Auswirkungen auf andere haben und so immer weitergetragen werden, „ähnlich den kleinen Wellen, die sich in einem Teich ewig kräuseln“. So beschreibt er es in seinem Buch „In die Sonne schauen“. In einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung rät Yalom, so zu leben, dass es am Ende wenig Grund zur Reue gäbe. Der Tod seiner Frau Marilyn (Jahrgang 1932) trifft Yalom schwer. Ungewöhnlich für einen Wissenschaftler ist die Tatsache, dass ihn die irreale Vorstellung tröstet, sich im Tod mit seiner gestorbenen Frau zu vereinen. Nachdem bei ihr im April 2019 Krebs diagnostiziert wurde, begannen die beiden gemeinsam ein Buch mit dem Titel „Unzertrennlich“ zu schreiben. Im November desselben Jahres starb sie, und er beendete das Buch allein. Marilyn verabschiedet sich im Laufe der Monate von Freunden und der Familie und akzeptiert den Tod als unvermeidliche Realität. Mit 87 Jahren zu sterben, sei keine Tragödie, schreibt sie.
Die Philosophin Svenja Flaßpöhler (Jahrgang 1975) regt an, den Tod als das anzuerkennen, was er faktisch ist: „ein ständiger Begleiter. Er ist immer möglich. Und mit jedem Tag, den ich lebe, komme ich ihm näher“, sagt sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Man solle sich mit ihm befreunden und ihn ähnlich wie bei Epikur nicht fürchten, weil er sonst „echte Lebendigkeit“ verhindere. Nach Lebendigkeit klingt auch ihre Vorstellung von einem guten Tod:
„Ich bin auf einer Party, unterhalte mich angeregt, tanze, trinke, man vergisst die Zeit, zählt die Biere nicht mehr, und irgendwann, wenn die Sonne aufgeht, werde ich sehr, sehr müde und sage: Leute, es reicht, macht mal ohne mich weiter, ich geh jetzt nach Hause. Und wenn die Party richtig gut war und alle Glieder bleischwer sind, das Gefühl kennen Sie doch, dann ist es sehr erleichternd, einfach einzuschlafen.“