Die Coronapandemie hat unser Bewusstsein für Hygiene verändert. Was ist nach wie vor an Hygiene wichtig und sinnvoll? Und wo lauern besonders viele Bakterien, Viren oder Keime? Damit beschäftigt sich Ernst Tabori, Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg.
Interview: Susanne Maerz
Gründlich Händewaschen, in die Ellenbeuge husten, Hände regelmäßig desinfizieren – in der Coronapandemie galten Hygienestandards wie diese. Welche sind nach wie vor sinnvoll?
Ernst Tabori: Wir haben ja weiterhin die typischen Erkältungskeime und auch das Coronavirus. Nur die Immunitätslage gegenüber diesem damals neuen Virus hat sich geändert, nicht aber die Übertragungsart. Auch die Menge der Keime und das Ansteckungsrisiko sind nicht weniger geworden. Daher gilt, was wir auch vor Corona schon empfohlen haben: darauf achten, dass die Hände sauber sind, sprich wie gewohnt gewaschen werden. Im üblichen Hausgebrauch reicht es vollkommen, wenn man sich die Hände mit Wasser und Flüssig- oder Stückseife wäscht. Ein zusätzliches Desinfizieren ist dann überflüssig.
Gilt das gleichermaßen fürs Büro?
Tabori: Ja, denn im Büro halten sich in aller Regel gesunde Menschen auf, die sich hoffentlich, wenn sie auf der Toilette waren oder bevor sie essen, die Hände mit Wasser und Seife waschen. So wie sie es schon als Kinder gelernt haben sollten. Ein Desinfektionsmittel ist nur in Bereichen angesagt, in denen man kranke Menschen pflegt oder versorgt, die eine höhere Anfälligkeit für Infektionskrankheiten haben. Darüber hinaus sind jedoch Desinfektionsmittel eine gute Alternative, wenn man unterwegs ist und keine Möglichkeit hat, sich die Hände zu waschen. Zum Beispiel in Einkaufszentren oder der Bahn. So wie zu Pandemiezeiten. Es ist bedauerlich, dass man dort meist nicht mehr die Möglichkeit hat, die Hände zu desinfizieren. Man muss aber sagen, beim Desinfizieren inaktiviert man die Keime, entfernt aber nicht Schmutz oder Schweiß von der Haut. Diese werden naturgemäß nur beim Waschen entfernt.
Stichwort Schmutz. Wie wichtig ist es, dass man mit sauberer Kleidung und Schuhen ins Büro kommt?
Tabori: Im Büro kann man mit der normalen üblichen Alltagskleidung arbeiten. Von Kleidern geht im Alltag keine Gefahr aus. Ebenso spielen die Schuhe jenseits vom Schmutz, den man ins Büro hineinträgt, keine Rolle. Das sind lediglich ästhetische Aspekte.
Wie sieht es mit erkälteten Mitarbeitenden in Großraumbüros aus – sollten die wie in Pandemiezeiten zu Hause bleiben?
Tabori: Ich empfehle grundsätzlich immer, in der akuten Phase einer Erkältung zu Hause zu bleiben und so wenig Kontakt wie möglich zu anderen zu haben. Schließlich möchte niemand erkältet sein. Und virale Infekte übertragen sich durch direkten Kontakt, über Kontaktflächen sowie mittels Tröpfchen oder sogar über die Luft. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Influenza. Daher ist es dringend angeraten, wenn man sich nicht gut fühlt, schnieft, niest und hustet oder sogar leichtes Fieber hat, nicht seine Kolleginnen und Kollegen oder die Leute in Bus und Bahn anzustecken. Inzwischen können die meisten Bürobeschäftigten ja ziemlich gut Homeoffice machen.
Und wenn man in einem Einzelbüro arbeitet und mit dem Auto zur Arbeit kommt?
Tabori: Auch dann sollte man in der akuten Phase zu Hause bleiben. Wer ein Einzelbüro hat, geht ebenfalls auf die Toilette oder in die Kaffeeküche und fasst dabei die Kühlschranktür oder die Türklinke an. An die greifen natürlich auch die anderen im Büro, und wenn die sich dann ins Gesicht fassen oder die Augen reiben, rollen sie den Keimen und Viren den roten Teppich zu ihren Eintrittspforten aus.
Stichwort Kaffeeküche: Wie gefährlich ist der Spülschwamm?
Tabori: Der ist eine Keimschleuder – wohlgemerkt nicht der frische oder gewaschene Küchenschwamm, sondern der, der über Wochen oder viele Tage in angenehmer Temperatur feucht dalag. Es gibt Untersuchungen zur Keimbelastung von Gegenständen, da war der Küchenschwamm der absolute Gewinner. Dazu muss man allerdings wissen, dass die meisten Bakterien und Keime natürlich harmlos sind, manche brauchen wir sogar. Ohne bakterielle Unterstützung hätten wir auch keine Nahrungsmittel wie Joghurt, Käse oder Sauerkraut. Das Problem bei den untersuchten Küchenschwämmen war aber, dass darauf zu drei Vierteln coliforme Keime angefunden wurden, die aus dem Darm kommen und die jemand von der Toilette mitgebracht hat. Daran ist nicht der Küchenschwamm schuld, sondern die fehlende Hygiene seiner zweibeinigen Benutzer.
![Der promovierte Mediziner Ernst Tabori ist unter anderem Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Infektiologe sowie Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er ist seit der Gründung des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene (BZH) in Freiburg vor über 26 Jahren dabei und seit 17 Jahren dessen Ärztlicher Direktor, seit sechs Jahren zudem Geschäftsführer.](https://www.netzwerk-suedbaden.de/wp-content/uploads/2025/01/08_Hygiene_02-1160x1547.jpg)
Sind viele nach der Pandemie zu nachlässig geworden?
Tabori: Das befürchte ich – zumindest zu einem gewissen Teil. Auch wenn das Hygienebewusstsein in Teilen größer geworden ist, beobachten wir zwei Phänomene. Das eine ist ein übertriebenes, von Panik oder Angst getriggertes Verhalten, bei dem man alles Mögliche unnötigerweise desinfiziert, zum Beispiel Toiletten oder Fußböden. Das andere ist weiterhin eine gewisse Nachlässigkeit: dass man die Hände nicht vor dem Essen, nach der Toilette oder wenn man nach Hause kommt, wäscht. Ich habe das Gefühl, dass viele, die von den empfohlenen Hygienemaßnahmen während Corona genervt waren, nun froh sind, dass die Pandemie zu Ende ist und dabei vergessen, dass die krank machenden Keime weiterhin um uns herum sind und nur auf ihre Chance warten, sich bei uns einzunisten.
Beobachten Sie in Krankenhäusern Veränderungen seit der Pandemie?
Tabori: Nein. Grundsätzlich gelten heute im Krankenhaus keine anderen Regeln als davor, um behandlungsassoziierte Infektionsübertragungen zu vermeiden. Nach wie vor stellen multiresistente Keime, also Mikroorganismen, die gegen Antibiotika Resistenzen entwickelt haben, ein großes Problem dar. Daher müssen die empfohlenen Strategien zur Sicherung eines rationalen Antibiotikamanagements, das es übrigens schon vor der Pandemie gab, konsequent umgesetzt werden. Zum Beispiel sollten Antibiotika nur gezielt eingesetzt werden und nicht beispielsweise bei gewöhnlichen Atemwegsinfektionen mit klassischen Erkältungssymptomen, auch wenn das manche Patienten gerne hätten. Denn gegen virale Infektionen, die die Hauptverursacher der Erkältungen im Herbst oder Winter sind, hilft ein Antibiotikum nicht. Eine antibiotische Therapie hat nur Sinn, wenn sich auf die Viren zusätzlich Bakterien aufgepfropft haben.
Welche Hygienevorkehrungen sind im Gewerbe, beispielsweise in Bäckereien oder Metzgereien, nötig?
Tabori: In der gesamten lebensmittelverarbeitenden Branche ist die Handhygiene das Entscheidende, desinfizieren ist aber anders als im medizinischen Bereich nicht nötig. Es muss jedoch arbeitsplatznahe Möglichkeiten zum Händewaschen mit Seife geben, wenn man zur Arbeit kommt, nach der Toilette und nach der Pause und auch wenn man beispielsweise etwas angefasst hat, was kontaminiert sein könnte, sollte es die Möglichkeit zum Händewaschen geben, bevor man die Brote oder Brötchen berührt. Dass man andere Kleidung trägt, liegt in Bäckereien, Metzgereien oder Schlachtereien primär daran, dass man seine private Alltagskleidung schonen will. Apropos Fleisch: Vielen ist nicht bewusst, dass dies auf keinen Fall keimfrei ist. Eine Schlachterei ist kein OP-Saal. Häufig wird unter Zeitdruck gearbeitet, und es ist durchaus keine Ausnahme, dass am Fleisch, das wir kaufen, Darmkeime der Tiere sind. In Fleisch von Hühnern oder anderen Tieren, die häufig mit Antibiotika behandelt werden, können zudem auch multiresistente Keime enthalten sein.
Wie müssen wir uns verhalten, damit sie uns nicht schaden?
Tabori: Man muss das Fleisch gut durchbraten, dann sterben die Keime ab. Entscheidend ist zuvor jedoch der Umgang mit rohem Fleisch. Wenn man es angefasst und mit dem Messer auf einem Brett geschnitten hat, sind überall Keime, die in den eigenen Körper gelangen können. Daher sollte man mit dem Messer oder auf dem Brett danach keine Tomaten oder Salat schneiden und sich zwischendrin immer wieder die Hände waschen. Und man sollte den Wasserhahn oder Kühlschrankgriff nicht mit Fleisch beschmutzten Händen anfassen. Denn sonst gelangen die Keime wieder an die gewaschenen Hände. Viele Keime aus Schlachtereien sind resistent gegen Antibiotika. Daher ist das Bewusstsein für Hygiene wichtig.
Wo ist Hygienebewusstsein sonst sinnvoll und wo nicht?
Tabori: Viele Menschen kaufen unsinnige sogenannte Hygieneprodukte wie zum Beispiel Desinfektionsmittel für Toiletten, Oberflächen im Haushalt, Hygienespüler für die Waschmaschine oder antibakteriell beschichtete Müllbeutel, Anstreichfarbe, Matratzen, Socken oder Unterwäsche. Die sind allesamt überflüssig, schaden nur der Umwelt und dem Geldbeutel. Den Kühlschrank oder zumindest die Bereiche, die eklig aussehen, regelmäßig zu putzen, ist viel wichtiger. Denn Butter, Fett und Eiweiß, die schnell mal dort kleben bleiben, sind ideale Nährstoffe für Bakterien oder Pilze. Und Pilze lieben es dunkel, kalt und feucht, also so, wie es im Kühlschrank ist.
Das Deutsche Beratungszentrum für Hygiene (BZH) wurde 1994 am damaligen Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Uniklinik Freiburg vom „Hygienepapst“, dem Medizinprofessor Franz Daschner, gegründet, der es bis zu seinem Ruhestand wissenschaftlich leitete. Seit 1999 firmiert das BZH als GmbH. Es hat Pionierfunktion auf seinem Gebiet und ist heute eine der größten Einrichtungen seiner Art in Europa. Rund 100 Mitarbeitende, vor allem klinisch erfahrene Ärzte für Krankenhaushygiene, Mikrobiologie und Naturwissenschaftler sowie Hygienefachkräfte, sind deutschlandweit beschäftigt. Etwa ein Viertel von ihnen arbeitet in der Zentrale in Freiburg. Sie beraten und betreuen vor allem Krankenhäuser sowie andere Einrichtungen im Gesundheitswesen zu allen Fragen der Infektionsprävention, zu Ausbruchsmanagement und zur rationalen Antibiotikatherapie, und sie entwickeln mit ihnen Hygienekonzepte für deren Einrichtungen. Außerdem veranstaltet das BZH jedes Jahr den Freiburger Infektiologie- und Hygienekongress mit über 1300 Teilnehmenden und rund 60 Ausstellern aus der Industrie.