Nils Cordell und Heiner Weigand zeigen mit ihrem neuen Buch „Nachhaltigkeit im Eventmanagement“, wie Veranstaltungen ökologisch, sozial verträglich und wirtschaftlich erfolgreich organisiert werden können. Ein Gespräch mit den Autoren.
INTERVIEW: CHRISTINE WEIS
Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Weigand: Das Buch ist ein praktischer Leitfaden für alle, die Events ausrichten. Damit sind zunächst Unternehmen angesprochen, die sich auf Messen präsentieren, Vertriebs- und Kundenveranstaltungen oder ein großes Firmenjubiläum ausrichten. Aber auch alle Akteure, die im Freizeit- und Kulturbereich regelmäßig Dienstleistungen in Auftrag geben. Der Band dient ebenso als Wegweiser und zur Standortbestimmung für die Profis in der Veranstaltungsbranche. Unsere Erfahrung zeigt, dass Letztere oft unter Zeit- und Kostendruck arbeiten müssen und das Thema Nachhaltigkeit daher häufig nachrangig angehen. Wir wollen allen Leserinnen und Lesern Mut machen, ihre Events nachhaltiger zu gestalten. Wichtig ist vor allem, jetzt damit anzufangen und die ersten kleinen Schritte zu gehen.
Welche Schritte sind das?
Cordell: Wir haben viele Beispiele für new and best Practices gesammelt, Checklisten erstellt und Handlungsempfehlungen entwickelt, mit denen man sofort loslegen kann. Eine gute Vorplanung muss sein, je früher hier schon auf Nachhaltigkeit geachtet wird, desto besser. Beispielsweise kann man schon bei der Auswahl der Location prüfen, ob Strom, Beleuchtung, Wärme oder Klimatechnik regenerativ erzeugt werden – und die Angaben der Locationsbetreiber gerne auch kritisch hinterfragen. Klassische Werbemittel wie Prospekte, Plakate, Give-Aways, Merchandise und Kongresstaschen können vielfach reduziert, nur bedarfsgerecht eingesetzt oder mit digitalen Elementen ausgestattet werden, um Mehrfachnutzung zu erlauben. Beim Catering sind saisonal in der Region angebaute Bio-Lebensmittel fast schon Standard.
Im Messebau gibt es mittlerweile viele Optionen, einen Stand ressourcenschonend zu betreiben – mieten und nicht nur einmalig aufbauen und dann entsorgen, wie es bisher üblich ist. Man kann auch sekundäre Standflächen, zum Beispiel Küche oder Lager oder das backoffice mit anderen Ausstellern teilen und so konstruieren lassen, dass Elemente mehrfach genutzt werden können.
Auf großen Festivals ist von Nachhaltigkeit oft nur wenig zu sehen. Die Besucher lassen Zelt samt Grill, Kühlbox und Schlafsack einfach dort. Wie motiviert man die Menschen, sich umweltverträglicher zu verhalten?
Weigand: Als Antwort möchte ich ein Gegenbeispiel nennen, das wir im Buch ausführlich beschreiben. In der Salzwüste von Nevada findet jedes Jahr das „Burning Man Festival“ mit bis zu 80.000 Menschen statt. Aus temporären Bauten entsteht für drei Wochen eine artifizielle Zeltstadt mit begehbaren Kunstwerken. Nach dem Event wird alles wieder abgebaut und die Gegend so verlassen, als ob dort nichts stattgefunden hätte. Nicht einmal der Metallstaub einer einzigen Bohrung bleibt zurück. Es geht also auch anders. Das Festival steht unter dem Motto „leave no trace“, alle identifizieren sich damit und ziehen das mit der Nachhaltigkeit konsequent durch. Wer andernorts noch nicht von der Nachhaltigkeit überzeugt ist, den kann man auf Festivals erstmal mit Pfandsystemen zur Kasse bitten und mit kluger Ansprache auf einen nachhaltigen Weg führen. So wachsen mittlerweile die Bereiche, in denen „Green Camping“ Gäste eigenmotiviert dazu beitragen, den Gedanken von „leave no trace“ fortzuführen. Im Übrigen gibt es inzwischen eine Reihe von Abnehmern für zurückgelassene Festival-Zelte, die daraus Upcycling-Produkte wie zum Beispiel Kongresstaschen herstellen. Schlafsäcke können gereinigt, wiederaufbereitet und karitativen Organisationen zur Verfügung gestellt werden.
Welcher Bereich hat den schlechtesten ökologischen Fußabdruck?
Cordell: Ganz eindeutig die individuelle Mobilität der Teilnehmenden. Als Auftraggeber oder Veranstalter kann man ja selbst entscheiden, welchen Caterer man engagiert, wie das Essensangebot aussieht, welche Werbemittel eingesetzt werden oder wie das Ticketing abgewickelt wird. Aber darauf, wie die Gäste anreisen, hat man meist nur wenig direkten Einfluss. Immerhin knapp 70 Prozent aller CO2-Emissionen auf Veranstaltungen entstehen in diesem Bereich. Daher ist das Kapitel „Mobilität“ das umfangreichste im Buch. Hier sehen wir erhebliche Potentiale für Verbesserungen. Man muss Anreize schaffen wie etwa das Kombiticket für Veranstaltung plus ÖPNV, was hier in Freiburg übrigens schon sehr früh eingeführt wurde – beim ZMF gilt es seit 1985. Auch der Teil der Reise außerhalb der ÖPNV-Nutzung, also die Fernreisen vom und zum Wohnort, kann bereits im Ticket enthalten sein. Beim Open Air St. Gallen zum Beispiel übernahm die Schweizer Bundesbahn in einem Pilotprojekt 50 Prozent der Kosten des Zugtickets. Nützlich sind hierbei Software-Tools, die den CO2-Ausstoß unterschiedlicher Reiseformen berechnen. Der Evangelische Kirchentag in Nürnberg führte 2022 mit der App „LogMob“ ein beeindruckendes digitales Projekt ein. Es bietet vielfältige Optionen für die Verknüpfung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und schafft dadurch vollständig integrierte Mobilität, und das für mehrere zehntausend Gäste gleichzeitig.
Nachhaltigkeit beinhaltet auch soziale Komponenten. Auf welche Weise werden diese im Kontext Eventmanagement realisiert?
Cordell: Das Thema ist sehr vielschichtig, steht aber leider noch weniger stark im Fokus als die wirtschaftliche oder ökologische Nachhaltigkeit. Diversität kann beispielsweise gefördert werden, indem Speakerlisten oder Panels beziehungsweise Diskussionsrunden stärker paritätisch besetzt werden, was sich hier unter anderem auf Geschlecht, geographische Herkunft oder auch das Alter der Personen beziehen kann. Zu den sozialverträglichen Arbeitsbedingungen zählen planbare Arbeitszeiten, gerechte Gehälter und Gesundheitsfürsorge. Wichtig ist hier der Blick hinter die Kulissen, gerade bei Messen oder anderen Großveranstaltungen, wo Zeitdruck bei Auf- und Abbau normal ist. Viele Gewerke im Bereich Licht-, Ton- und Videotechnik werden in der Regel von externen Dienstleistern, Messebauern und Freiberuflern verrichtet, die manchmal unter Bedingungen hart am Rande der gängigen Arbeitsschutzgesetze agieren. Wir sehen hier großes Potential in der transparenten und auch vorausschauenden Kommunikation zwischen Kunde, Veranstalter, Dienstleister. Wenn man sich rechtzeitig abspricht und koordiniert, können Stressphasen reduziert werden. Denn auch eine gesunde Arbeitsumgebung und „gute“ Arbeit sind im besten Sinne nachhaltig.
Sie stellen die These auf, dass sich mit Nachhaltigkeit Geld verdienen lässt. Inwiefern?
Weigand: Der Wettbewerb um knappe Ressourcen, Energie und talentierte Mitarbeitende wird sich verstärken. Unternehmen, die sich nicht nachhaltig aufstellen, werden daher zukünftig Wettbewerbsnachteile haben und sich schwerer im Markt positionieren können. Ebenso legen Investoren zunehmend Wert auf Umwelt- und Sozialaspekte. Um langfristig erfolgreich zu bleiben, müssen Unternehmen die ökologischen und sozialen Aspekte in eine ökonomische Gesamtstrategie einbinden, die alle Teilbereiche von den Lieferanten über die Produktion bis zum Vertrieb betrifft. Das Eventmanagement ist zwar nur ein Segment im Gefüge. Jedoch ein sehr wichtiges, weil Veranstaltungen meist eine große Außenwirkung entwickeln und vielfach auch im Kontext der Unternehmenskommunikation stehen.
Gibt es ein Businessevent oder eine Innovation, die für Sie ein Leuchtturmprojekt darstellt?
Cordell: Eines herauszugreifen fällt schwer, weil wir so viele spannende Ansätze und Beispiele im Zuge der Recherche kennenlernen durften. Wir haben Interviews geführt mit 26 Akteuren, die alle unterschiedliche Berührungspunkte mit dem Thema haben – und aus verschiedensten Berufen und Branchen stammen, da kommen Unmengen an Informationen zusammen. Was sich aber sagen lässt: Die wirksamsten Innovationen sind oft die „kleinen Dinge“; so hat ein unspektakulär wirkender Aufsteller an einer Catering-Ausgabestation einen positiven Effekt auf die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Die Beschilderung des Zelt-Musik-Festivals für Gäste, die mit dem Auto nach Freiburg kommen. Diese werden weggeleitet vom Gelände, hin zu den Park-and-Ride-Parkplätzen. Oder die Idee, auf Kongressen Sammelkörbe für nicht mehr benötigte Namensschilder am Abreisetag auch dort zu platzieren, wo ein Gast sich selbst im Spiegel sieht: Bei den Waschbecken in den Toilettenräumen.
Das sind konkrete praktische Tipps. Wie ist lautet Ihr Tipp in Bezug zur praktischen Nutzung Ihres Buches?
Weigand: Die Einteilung der Kapitel nach Modulen wie beispielsweise den Stufen der Werkschöpfungskette erlaubt, zielgenau nach Informationen zu bestimmten Bereichen zu suchen. Wir wünschen uns, dass das Buch auch Ausgangs- und Kristallisationspunkt für Netzwerk und Austausch wird. Unser Ziel ist, dass sich die Leserinnen und Leser mit unseren Interviewpartnern vernetzen, um sich auch gegenseitig zu unterstützen. Alle Akteure stellen wir in Kurzportraits vor. Ein QR-Code führt mit einem Klick zu deren jeweiligem LinkedIn-Profil. Und im Online-Portal „mybook+“ stellen wir weitere Materialien zum Download bereit, darunter ausführliche Checklisten und Ausschnitte aus den Interviews.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Wie sehen die Events von morgen aus?
Cordell (lacht): Das ist momentan die Gretchenfrage. Wir haben unseren Interviewpartnern genau diese Frage auch gestellt und sie in die Glaskugel blicken lassen. Und wir haben dazu aktuelle Studien ausgewertet. Klar ist: Live is back und online is here to stay. Aber die Geister scheiden sich schon an der Frage, was genau jetzt online beinhaltet, was hybrid bedeutet – und wie sich Kunden und Veranstalter positionieren sollen. Bei einigen Aspekten herrscht Konsens: In der Summe wird es pro Gast weniger Live-Event-Besuche geben, diese werden dann aber bewusster ausgewählt. Die verstärkte Verknüpfung von Stadtmarketing und Kongresswesen und die veränderten Arbeitsgewohnheiten erlauben es, Geschäftsreisen auszudehnen und zu verknüpfen mit Urlaub oder Workation. An einen Messebesuch gerade in einer Stadt, die nicht zentral auf der Landkarte liegt, schließt sich also immer öfter ein Kurzurlaub an. Das stellt im Übrigen ein riesiges Plus für die Standorte in Südbaden dar, die im Tourismus eh schon gut aufgestellt sind. Ein weiterer Trend, der sich fortsetzen wird, sind Inhouse-Messen beziehungsweise die wachsende Zahl der auf bestimmte Zielgruppen fokussierten Eigenveranstaltungen. Viele Firmen, die neue Gebäude bauen, wie etwa Jobrad oder die Sick AG, errichten multifunktionale Eventbereiche und richten Veranstaltungen selbst aus – dies wiederum stellt eine Herausforderung für klassische Locations dar.
Nils Cordell ist Geschäftsführender Gesellschafter der Cordell GmbH und der Tanzloft GmbH. Er ist zudem Projektleiter des Euro Dance Festival sowie der Initiator und Festivalleiter des Ladies Only Festivals im Europa-Park. Seit 2022 begleitet er die bundes-weite Expansion der Tanzloft.
Heiner Weigand ist Betriebswirt mit Schwerpunkt Marketing und Kommunikation sowie Geschäftsführender Gesellschafter der Karmacom GmbH. Der Fokus seiner Beratung liegt in der Entwicklung von Strategien, um aus unternehmerischer und sozialer Verantwortung wirtschaftlichen Erfolg zu generieren.