Die Freiburger Unternehmerin Stephanie Maertin hat fünf Jahre nach der Übernahme des väterlichen Fachhandels noch einmal nachjustiert. Und einen externen Geschäftsführer angestellt.
VON RUDI RASCHKE
Gäbe es den Preis für die ehrlichste Pressemitteilung Südbadens, das Freiburger Großhandelsunternehmen Maertin & Co. wäre durchaus ein Kandidat. Dabei hat das Unternehmen drei Tage vor Heiligabend 2021 nur offen mitgeteilt, was die Leitung um Stephanie Maertin und ihren Ehemann Stephan umtreibt: Es ging um Wachstumsschmerz, aber auch Fragen der Vereinbarkeit in einem mittelgroßen Familienbetrieb.
Es sind selten gehörte Sätze von Firmeninhabern: „Was Prozessoptimierungen, Neubaupläne und Digitalisierungsprojekte angeht, hatte ich einfach nicht genug Zeit, mir Gedanken zu machen und diese dann auch umzusetzen“, schreibt Stephanie Maertin als Vorstand in diesem Text. Die Konsequenz, die ihr Betrieb daraus zog, war die Bestellung zweier langjähriger Mitarbeiter zum weiteren Geschäftsführer und Prokuristen.
Grund sei auch die rasante Steigerung des Umsatzes von 12 auf 20 Millionen Euro in den vergangenen zehn Jahren. Fast genau einen Monat später spricht Stephanie Maertin im neuen Bürogebäude im Freiburger Norden über die Hintergründe ihrer Entscheidung: „Allein, dass es ihn gibt, ist eine Erleichterung“ sagt sie über die Funktion des neuen Geschäftsführers Christian Schirm, der seit 18 Jahren im Unternehmen arbeitet.
Rasant gewachsen
Ihr sei klar geworden, welcher beschleunigten Zeit ihr Unternehmen im Vergleich zu früher ausgesetzt ist. Was Ihr Vater Axel, Chef in dritter Generation, einst in einer Jahresbilanz abbildete, sei heute ein Quartal. Allein in ihrer Zeit im Unternehmen sei die Zahl der Mitarbeiter von 50 auf 90 angewachsen.
„Ich schaff’s nicht“, sagte sie über die Vielzahl der Aufgaben eines Tages beim Spaziergang im vergangenen Jahr zu ihrem Vater Axel Maertin. Der habe gelassen zugehört und sich an den Überlegungen zur Neuordnung beteiligt. Das 72 Jahre alte Unternehmen handelt mit technischem Material aus Kunststoff für Industrie und Handwerk, auch der Arbeitsschutz ist ein Schwerpunkt. Zuletzt kam ein kleinerer regionaler Kunststoffverarbeiter zum Portfolio hinzu.
Das Unternehmen ist stabil, gerade weil es abseits der großen Standorte und „rauchender Schlote“ eine gute Nische besetzt. Für Stephanie Maertin war es als Kind gesetzt, dass der Vater zwar ständig im Unternehmen besucht werden kann, aber abends erst gegen 19 Uhr bei der Familie ist. Sie selbst will ihren eineinhalb Jahre alten Sohn anders aufwachsen sehen – an drei Tagen verlässt sie das Büro mittags um 14 Uhr, an den zwei übrigen ihr Mann.
Der Anspruch ist, dass die Arbeit sich dann nur in Notfällen meldet. Ihr Vater hatte den Vorteil, dass es keine ständige Erreichbarkeit gab und nicht immer alles sofort erledigt werden musste. Sie sagt, dass sie eines Tages auch wieder drei Wochen verreisen möchte, ohne E-Mails lesen zu müssen.
Auf mehrere Schultern verteilt
Die Ziele der Umstrukturierung an der Spitze sind breit gefächert, deutet Stephanie Maertin an. Zunächst wolle sie das Unternehmen unabhängiger von ihrer Person machen, sagt sie. Bis auf die Bereiche Finanzen und Marketing hat sie im Kern viel abgegeben, bleibt aber fürs Gesamte verantwortlich. Entscheidungen treffe sie keine mehr ohne den Geschäftsführer Christian Schirm.
Sie habe aber auch das Gespräch mit ihrem Mann gesucht, um ihm Arbeit zu erleichtern. Was vielleicht einfacher klingt als es ist, wenn privater Haussegen, Verantwortlichkeiten, aber eben auch das Abnehmen von Tätigkeitsfeldern in Balance zu halten sind. Für die Entscheidung, die Geschäftsführung um nicht-Familienmitglieder zu erweitern, habe sie keine großen Ratschläge eingeholt, sagt Stephanie Maertin.
Neben den turnusgemäßen Gesprächen mit einem Berater war es vor allem ein Austausch mit der Denzlinger Schreinerei Kiefer, deren externes Modell ebenfalls in dieser Ausgabe von netzwerk südbaden beschrieben ist. Arbeit auf mehrere Schultern verteilen, auch wenn der Vater den Laden 40 Jahre allein managte, Externe zur Familie hinzuziehen, um das Wachstum zu bewältigen – all diese Themen der Firma Maertin dürften bei vielen Mittelständlern hier eine Rolle spielen.
Auch nach einer geordneten, schrittweisen Übergabe stellen sich solche Fragen nach dem Feinjustieren. Wenngleich es nicht jeder so offen zugeben wird wie Stephanie Maertin. Für die Zukunft geht es dabei übrigens gar nicht so sehr um noch steilere Wachstumsanstiege. Es sei jetzt viel mehr wichtig, die bestehenden Kunden zu halten und zufriedenzustellen.
Und damit einen Zustand herzustellen, der nach 24 Monaten Pandemie „gut fürs Klima“ sei – und damit für jeden einzelnen Mitarbeiter.