Wie transformiert man ein im Aussterben begriffenes Sortiment in ein klares Einzelhandelskonzept? Vor allem, wenn man kein Kaufhaus betreibt, sondern einen überschaubaren Laden? Frank Ernst kann mit seinen „Tabakwaren Holderied“ als Vorzeigemodell bezeichnet werden.
Von Rudi Raschke
Dass sich die Dinge ändern, konnte man während der vergangenen Jahre in dem kleinen Geschäft an der Freiburger Herrenstraße ganz schlicht an der Regalnutzung ablesen: Von einem einst wandfüllenden Zeitschriftenregal ist ein knapper Meter geblieben, Lotto beschränkt sich ohnehin auf ein Kugelschreiberbrettle im Eck, den Rest nehmen stattliche Whiskey-, Rum- und Gin-Köstlichkeiten ein, die Flaschen ab 20, aber auch bis 7000 Euro. Vordergründig ist klar, dass sich edle Alkoholika heute besser verkaufen als „Spiegel“ und „Bild“, aber es war keineswegs selbstverständlich, als Frank Ernst den Laden vor mehr als zwei Jahrzehnten übernahm: „Damals hieß es, wenn Du Tabak und Lotto übernimmst, hast Du für die Zukunft ausgesorgt.“ Es sollte anders kommen, vor etwa 12 Jahren hat er die ersten Regalumbauten vorgenommen und dem Whiskey, eigentlich sein Hobby, mehr Platz verschafft, den Zeitungen weniger. Ernst erzählt im Plauderton von der Praxis, wie er zu einem der beliebtesten regionalen Händler für keltische und kubanische Spirituosen wurde. Kein Referat im alles-richtig-gemacht- Stil. Dabei würde er ganze Einzelhandelstagungen mit kluger Leichtigkeit aufwerten. Die Theorie, die er intuitiv einsetzt:
Für jedermann zugänglich sein:
Ernst hat das Sortiment auf den Kopf gestellt, aber nicht alles Alte verworfen. Mit Zeitungen (Umsatzanteil noch zwei bis fünf Prozent), Tabak und Lotto bleibt er seiner Traditionskundschaft verbunden: Er freut sich, wenn Senioren aus einem der benachbarten Heime auf den Kauf der „Badischen“ und ein Schwätzchen vorbei kommen. Er verkauft den Obdachlosen vom Rand des Münsterplatzes ihren Drehtabak und hält für alle ein paar Nettigkeiten bereit: „Ein Laden lebt von der Vielfalt der Kunden“, sagt Ernst, der die Umtriebigkeit und die soziale Komponente gegenüber leerer Luxus-Atmosphäre vorzieht. Aus eigenen Kunden-Erfahrungen lernen: „Ein ‚nein‘ gibt es als Antwort nicht“, sagt Ernst, wenn es um ausgefallene Fragen nach Bestellungen geht. Seinem Ruf als Spezialitäten-Fachhändler wird er gerecht, indem er so viele Raritäten wie möglich zu bestellen versucht. Hier geht die Zufriedenheit der Kunden über Gewinn-Marge. Weitere Sätze, die er selbst als Kunde gehört hat und deshalb nie sagen wird: „Das müssen Sie online bestellen“ und „Da hinten haben wir günstige Angebote für Sie“.
Service gibt’s auch in der kleinsten Hütte:
Obwohl der Laden die Größe einer halben WG-Wohnküche bietet, liefert Ernst Dinge, die gerade in diesem Rahmen und mit kleinem Team nicht selbstverständlich sind. Allen voran eine hervorragende Beratung, für die er sein Personal regelmäßig schult. Bei ihm existiert der online-informierte Kunde, der den Handel aufsucht, tatsächlich: Im Internet sieht er, dass Ernst über die digitalen Möglichkeiten, sein Knowhow und die Spezialisierung reale Preise anbieten kann, die mit denen im Kaufhaus mithalten können. Nur: In Ernsts Laden stehen rund 250 Flaschen zum Probieren offen. Das Team ist auch zum Studenten freundlich, der vielleicht ein Glas zuviel probiert und (vorerst noch) im Budget-Segment einkauft. „80 Prozent der Leute, die wir beraten haben, kaufen anschließend etwas“, sagt Frank Ernst. Dem es Spaß macht, auch am vollen Samstag von der Kasse nach vorne zu eilen, um die Ladentür zu öffnen. Oder einen größeren Flaschenabsatz persönlich zum Parkhaus zu tragen.
Lage, Lage, Lage:
Mit seinem Laden will er heute an keiner anderen Adresse in der Stadt sein – in der oberen Altstadt hat sich nach kleineren Tiefs eine Nachbarschaft für die Genießer der Stadt etabliert, es gibt Feinkost, ein Sterne-Restaurant, Sortimentfachhandel von Craft Beer bis Werkzeug und Fisch. Ernst sagt, dass diese Ecke im Osten der City auch zwischenzeitliche Innenstadtverlagerungen überstehen wird. Weil er von der Ansammlung inhabergeführter Geschäfte überzeugt ist. Er kennt nicht nur die Betreiber, sondern teilweise auch die Hausbesitzer. Was den nächsten Punkt enorm erleichtert:
Eigene Netzwerke bilden:
Frank Ernst verzichtet auf Mitgliedschaften in Einzelhandelsverbänden und Innenstadtgemeinschaften. Weil er sein Engagement lieber auf die kleinere Einheit verwendet, die direkte Nachbarschaft. Er beliefert das Sterne-Restaurant und die anspruchsvolle Bar in 100 Metern Umkreis. In die bürgerlichen Restaurants gegenüber im „Schwarzwälder Hof“ lädt er zu Probierabenden wie „Burger & Bourbon“, zu denen nun schon im sechsten Jahr regelmäßig rund 60 Gäste kommen. Für Raritäten-Tastings reisen Gäste aus Zürich und Stuttgart an, es geht heiter zu. Ernst setzt nicht auf Powerpoint-Präsentationen, wenn er Fakten zu Herkunft und Geschmack erklärt, sondern auf die Zusammensetzung einer „schönen Runde“, meist mit 25 Teilnehmern: überdurchschnittlich viele Frauen nehmen das in Anspruch, aber auch eine gemischte Männerschar vom Arbeiter bis zum Professor. Dank seiner eigenen Events verzeichnet Frank Ernst zwar eine „volle 6-Tage-Woche“, wenn er früher auch mal 10.000 Kilometer jährlich im Radsattel verbracht hat. Er kann aber auch unabhängig von Mega-Samstagen und Messe-Präsenzen seine Umsätze planen. „Ich muss nicht alles mitnehmen“, sagt er gelassen.
Ein Sortiment klar positionieren:
Bei „Tabakwaren Holderied“ gibt es neben einigen Obstbränden von Florian Faude im Wesentlichen die drei Spirituosen Whiskey (etwa 800 Sorten), Gin (170) und Rum (150). Frank Ernst verzichtet zugunsten dieser besonderen Auswahl auf eine Aufweichung: keine Liköre, kein Cognac, kein Mezcal. Flexibel ist er bei Mitnahme-Artikeln, wie dem richtigen Tonic-Water zum Gin – für manche eine Raketenwissenschaft, bei ihm derzeit etwa zwei Quadratmeter Verkaufsfläche. Zur Kunst der Reduktion gehört für ihn auch, besondere Raritäten eben nicht online anzubieten, sondern sie als Impuls zum Besuch im Laden zu setzen. Und auf keinen Fall der Verlockung einer Filialisierung zu erliegen. Hier hat der Instinkt-Händler Ernst doch einen externen Rat befolgt, es war der seines Vaters: „Betreibe ein Geschäft richtig“.