Seit mindestens 16 Generationen zählt das Schwarzwälder Gasthaus Kalte Herberge die Familie Winterhalder als Besitzer. Bald sechs Jahrhunderte tragen die Wirte ununterbrochen den gleichen Namen.
VON KATHRIN ERMERT
Caspar hieß der erste 1525 urkundlich erwähnte Wirt namens Winterhalder, Peter heißt der aktuelle. Der 37-Jährige ist seit 14 Jahren Koch und seit einem Jahr Eigentümer der Kalten Herberge. Das Gasthaus, das auf 1030 Metern Höhe an der Gabelung von B500 und L180 liegt und heute zur Gemeinde Vöhrenbach gehört, taucht anno 1480 erstmals als Gaststätte in alten Dokumenten auf, der Name Winterhalder schon im Jahr 1370. Vielleicht währt die Geschichte also noch länger. Doch die Kirchenbücher, die darüber Auskunft geben könnten, sind während des Dreißigjährigen Kriegs abhandengekommen, berichtet Ernst Winterhalder, der Vater von Peter.
Er kennt sich gut aus in der Familien- und Firmenhistorie. Der 64-Jährige kann von Handelswegen erzählen, die zwischen den Zähringerstädten Freiburg und Villingen jahrhundertelang an der Kalten Herberge vorbeiführten, ehe die Höllentalstraße Ende des 18. Jahrhunderts diese Rolle übernahm. Er weiß um die Verbindung zwischen den Wirten und Uhrmachern der Winterhalders, die Anfang des 19. Jahrhunderts die gleichnamige Uhrenfabrik gründeten. Und er kann sich an die Geschichten seines Großvaters Emil Winterhalder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern, der zusammen mit seinen drei Brüdern musizierte und zu dessen Tanzfesten Leute aus einem Umkreis von 30 Kilometern kamen – „das war eine große Brautschau“.
Im Keller stehen noch mehrere Dutzend Holzbänke, die an diese Zeit erinnern. Überhaupt finden sich hie und da dezente Hinweise auf die Geschichte des Gasthauses: An die Fassade ist die Jahreszahl 1480 gepinselt, im Eingang hängt eine Urkunde der Brauerei Fürstenberg aus dem Jahr 2015 für die 300 Jahre währende Partnerschaft, und im Gastraum zeugen ein gemalter Stammbaum und ein hölzernes Familienwappen von der langen Zeit.
Das Eigentum wurde stets gewahrt
Zum Gespräch haben Ernst und Peter Winterhalder eine Familienchronik mitgebracht, die Pater Christoph Winterhalder, ein entfernter Verwandter, in den 1980er-Jahren geschrieben hat. Vater und Sohn sind beide hier aufgewachsen mit den alten Geschichten. Sie sind stolz darauf, doch zugleich vorsichtig. „Ich würde sie nicht im Fernsehen erzählen“, sagt Ernst Winterhalder. Einen daraus womöglich resultierenden Run will er seiner Familie ersparen.
Was ist das Geheimnis der vielen geglückten Generationswechsel – gibt es ein Wirte-Gen? „Nein“, sagt Ernst Winterhalder. „Es ist Traditionsbewusstsein.“ Es liege an der Mentalität und habe etwas mit Verantwortung zu tun. Man müsse zufrieden sein, Selbstverwirklichung stehe dem entgegen. Das Besondere bei der Kalten Herberge sei einfach, dass sie all die Jahrhunderte im Besitz der Familie blieb. Das Eigentum wurde stets gewahrt, nie verschachert, und wenn ein Eigentümer das Gasthaus nicht selbst betreiben konnte, hat er es verpachtet, nicht verkauft.
Ernst Winterhalder selbst war zum Beispiel nie Wirt, sondern Bankkaufmann. Er hatte sich einen eigenen Verdienst suchen müssen, weil seine Brüder das Gasthaus und den gegenüberliegenden Hof, zu dem auch der Skilift gehört, führten. Erst als einer seiner Brüder erkrankte, übernahm er 1989 den Familienbetrieb und verpachtete ihn zunächst. Ab 2002 sorgte seine Frau Tamara, gelernte Kauffrau und Allroundtalent, für die Bewirtung, seit 2008 schließlich Sohn Peter, der zuvor eine Kochlehre in Waldau und einige Wanderjahre absolviert hatte. Er ist der erste, der nicht im eigenen Haus gelernt hat. „Betriebsblindheit kann man sich heute nicht mehr leisten“, sagt er.
Es geht nicht mit Zwang
Das Gasthaus hat rund 80 Plätze und im Sommer eine Terrasse. Zum Betrieb zählen zudem ein kleines Hotel mit 25 Betten und drei Ferienwohnungen im Nebengebäude, das 2006 entstanden ist. Das Haupthaus ist auch vergleichsweise jung. Die Kalte Herberge ist mehrfach abgebrannt, der letzte Wiederaufbau war 1830. In den Nullerjahren wurde das Gebäude komplett modernisiert, inklusive Heizung, Isolierung und Energieversorgung.
Die Gäste der Kalten Herberge – vor allem Wanderer des sich hier kreuzenden West- und Mittelwegs sowie im Winter Skifahrer – müssen also sicherlich nicht frieren. Ob sich der Name überhaupt auf die Temperatur bezieht, ist unklar. Zwar ist es auf 1000 Metern selbst im Sommer oft kühl, und es gibt die Legende, dass in einem Juni vor mehr als hundert Jahren ein Handwerksbursche, der auf der Ofenbank übernachtete, erfroren ist. Doch als wahrscheinlicher gilt die Herleitung des Namens von „verkalten“, das im alten Schwarzwälder Dialekt „verstecken” bedeutete. Denn es ist überliefert, dass in unruhigen Zeiten Bauern aus der Nachbarschaft Vorräte und Wertsachen in den Kellergewölben des Gasthauses in Sicherheit brachten.
Peter Winterhalder führt die Kalte Herberge gemeinsam mit seiner Frau Hannah, die auch gelernte Köchin ist, in 16. Generation. Zwei seiner drei Geschwister sind auch in der Gastronomie gelandet, eine Schwester ist Uhrmacherin. Ein bisschen scheint die Tradition also doch in den Genen zu stecken.
Wird es noch an eine 17. Generation Winterhalder in der Kalten Herberge geben? Früher war das keine Frage, dass die Kinder den Betrieb der Eltern weiterführen. „Heute geht das nicht mehr mit Zwang“, sagt Ernst Winterhalder, der bislang acht Enkel hat und um den Druck der Verpflichtung weiß:
„So ein Stammbaum kann auch eine Belastung sein.“
ERnst Winterhalder