Freiburg, du hast es besser. Manchmal. Der großartige Koch Hannes Eberhard hat die Stadt verlassen, weil es keine bezahlbaren Wohnungen gibt. Dafür hat jetzt Bad Dürrheim das Vergnügen.
Text: Pascal Cames • Fotos: Sebastian Bullinger
In Freiburg gilt wohl alles hinter Villingen-Schwenningen als Hinterland, für Hannes Eberhard nicht. Jetzt zelebriert der 38-Jährige sein Fine Dining im Kurhaus in Bad Dürrheim, das gerade wie ein Phoenix aus der Asche zum Höhenflug ansetzt. Seine Kochgeschichte beginnt mit der Oma, die wohl sehr fein gekocht hat. Die Senf Eier sind ihm in so guter Erinnerung geblieben, dass sie ihr Comeback auf der kleinen, aber feinen Karte des Kurhauses erleben. Darauf stehen auch Wurstsalat, Rinderrouladen und Ochsenmaulsalat. Dass hier aber keine Fernfahrkneipe läuft, versteht sich von selbst, wenn man die Vita des Kochs anschaut. Denn die hat’s in sich. Während andere mit 21 eine Weltreise unternehmen, stand er an seinem Posten und musste zwölf Stunden oder mehr schuften. In London. Wer das nicht glauben will, dem sei die Lektüre von Bill Bufords „Hitze“ empfohlen. Läden wo halbtags acht Stunden bedeutet, gib es dort wirklich.
Mit 16 Jahren beginnt die Geschichte klassisch mit einer Kochlehre im Konstanzer Barbarossa. Hier lernte er gutbürgerliche Küche in Reinkultur. Neben dem Effekt, dass er Bodensee Felchen mit Champignon wohl auch im Schlaf zubereiten könnte, blieb noch etwas anderes wie ein Tattoo für die Ewigkeit: „Hier habe ich das Schaffen gelernt.“ Immerhin gingen jeden Tag ein paar hundert Essen raus. Es folgte London. Fernweh und englisch hatte er nicht programmiert, fühlten sich aber gut an.
Frische! Frische! Frische!
Zwei Stationen waren an der Themse herausragend. Die erste dauerte anderthalb Jahre. Bei einem Edelitaliener erlebte Hannes Eberhard eine Art Exorzismus, der ihm die behäbige badische Küche austrieb. „Alles war schlanker, leichter, mit weniger Butter und Sahne. Die Pasta haben wir selber gemacht.“ Es folgte das bereits erwähnte Restaurant, wo jeden Samstag um die 160 Essen in Sternequalität über den Pass gingen. Acht Monate hat er ausgehalten. Da er keine Zeit hatte seinen Lohn auszugeben, war’s wenigstens lukrativ.
Der Liebe wegen ging Eberhard nach Barcelona und arbeitete dort zuerst in einer Pincho Beitz, wo keine Seele englisch konnte. Keine schlechte Voraussetzung, um die nächste Fremdsprache zu lernen. Als er Spanisch draufhatte, wechselte er in ein richtiges Restaurant und erkochte sich 24 Jahre jung im Alkimia einen Stern. Hier blieb er sechs Jahre und entwickelte seine Handschrift. Barcelona war ideal, sagt Eberhard, denn Meer und Berge liegen nah. Also wurden Pilze, Fisch, Meeresfrüchte und Gemüse zweimal täglich geliefert. Welcher Koch träumt nicht davon? Aber da war noch etwas: „So wenig manipulieren wie möglich und so viel wie möglich aus dem Produkt herausholen“, lautete die Ansage. Es ging um Kontraste und Konsistenzen, um Schärfe, Süße, Säure, um Salz, Zitronen, das Pickeln von Gemüse, ums Marinieren, Fermentieren. Interessant: Auch Essigauszüge sind leckere Geschmacksträger, denn die Säure zieht die Aromen aus Gemüse und wird so zum Aromaboost für Vinaigrette oder Soßen.
Freiburger Fusionküche
Corona war ein Bruch, aber wieder daheim in Deutschland lief’s weiter gewohnt spannend. In Steffen Dischs Kuro Mori in Freiburg war Eberhard Küchenchef und gehörte zu den Protagonisten der Schwarzwald-Asia-Fusion. Da aus den genannten Gründen Freiburg nicht das bieten konnte, was einer wie er braucht, kam der Ruf aus Bad Dürrheim zur rechten Zeit. Dass hier auch noch die Familien von ihm und seiner Frau leben, war ein Argument für ein back to roots. Jetzt also mittags Wurstsalat und nachmittags Kaffee und Kuchen?
Dafür wurde er definitiv nicht geholt. Der neue Stil des Kurhauses zeigt sich im Gastraum mit einer klaren Ordnung von zwei Tischreihen und mittig einer Gasse für den Service. Geräumig. Klar. Übersichtlich. Aber nicht kantinenkalt. Die Tische brauchen keine Decken. Ein Regal teilt den Raum, ein großer Blumenstrauß gibt dem Auge Freude. Bücher und übergroße Gläser mit eingelegtem Gemüse gehören mittlerweile zum guten Ton der neuen Gastronomie, so auch hier. Die Bücher sind keine Staffage, sondern in Gebrauch. „Kochbücher studieren ist meine Art mich fortzubilden“, sagt Eberhard. Dass hier Marco Whites Klassiker „White Heat“ im Regal steht, ist sicherlich kein Zufall. „Am Ende des Tages ist es nur Essen. Nur Essen“, lautet so ein typischer White-Satz.
„Da findet jeder was“
Auch die Karte gefällt durch Übersichtlichkeit, und was anfangs wie vom Team Sicherheit diktiert wirkt, entpuppt sich als gewagt. Das vegetarische Tagesessen ist mit zwölf Euro gut bepreist, mit einem Stück Fleisch dazu kostet es sechs Euro mehr. Zu den Überraschungen zählen warmer Ochsenmaulsalat und Rinderroulade als Carpaccio. Das Sauerkraut ist à la koreanisches Kimchi zubereitet, und der schnöde Wurstsalat wird durch ein Dressing aus Kraftbrühe mit zweierlei Senf interessant. Dazu gibt es Sauerteigbrot und wachsweiches Ei. An offenen Weinen stehen drei Rote und vier Weiße zur Auswahl. Überhaupt: Die von Hannes Eberhard konzipierte Weinkarte macht Lust auf einen Exzess. (Weingut Wöhrle Auxerrois!)
Ein etwas älterer Herr, Stammgast, sagt mit Blick auf die Speisekarte: „Ich komm scho‘ lang her. Ich bekomm‘ Knödel, aber kein Fleisch.“ Dann stellt er sich die rhetorische Frage: „Hat was gefehlt? Nein!“ Sein Fazit: „So eine Karte habe ich noch nie gesehen. Da findet man immer was.“
Probiert werden am Tag des Besuchs aber ganz andere Gerichte. Als Signature Dish empfiehlt Hannes Eberhard Kroketten, wie sie in Spanien gemacht werden. Die Füllung ist geschmortes Fleisch. Es schmeckt wie eine sentimentale Erinnerung an gutbürgerliche Familienfeste, wo ein Zuviel immer besser war als ein Zuwenig. Diese Portion ist genau richtig und superlecker. Es folgt eine Pastete mit grünen Pistazien, süßen Aromen, mariniertem Chicorée, dazu eine leichte Schärfe, die erst nach und nach wirkt. Der Wow-Effekt kommt doppelt: Zum einen die geschmorte Kalbsbrust, unendlich zart, dazu Karottenstifte, Chicorée und rote Zwiebeln. Knackig! Der zweite Bringer ist das Kartoffelpüree à la Robuchon und zugleich der Beweis, dass Hannes Eberhard der Butter nie abgeschworen hat. Jede Mutti wäre glücklich, denn genauso schmeckt‘s daheim im Süden, wenn ordentlich reingebuttert wird. Wobei die 50 Prozent Butter von Robuchon bewusst nicht erreicht werden. Der Schluss wird mit einem frisch zubereiteten Hybrid aus Schwarzwälder Kirschtorte und Tiramisu („Schwarzwald Misu“) gefeiert.
Hannes Eberhard hat keine fünf Leute in der Küche, er kauft bewusst regional ein und obwohl er zu den Naturpark- und Schmeck-den-Süden-Wirten gehört, ist die Horizonterweiterung massiv. Der Koch ist keine Spur überkandidelt. „Ich habe es gerne gesellig und lecker.“ So macht Essen Freude! Die Preise (alle Hauptgerichte unter 30 Euro) sind für diese Klasse eigentlich zu billig. Wer das Niemandsland hinter Villingen-Schwennigen kennen lernen will, hat jetzt endlich einen Grund.