Das Southside Festival im südbadischen Neuhausen ob Eck besuchen jedes Jahr weit über 50.000 Musikbegeisterte. Der Gewerbepark der kleinen Gemeinde wird dann zu einer künstlichen, autarken Kleinstadt. Wie Gemeinde und Veranstalter diese organisatorische Hochleistung gelingt.
Von Anna-Lena Gröner
Am 22. Juni kommen sie wieder in Scharen in die kleine Gemeinde Neuhausen ob Eck. Ausgerüstet mit Dosenbier, Wurfzelt, Bandshirts und Einweggrill. Ein Wochenende lang abschalten und abfeiern. Seit mittlerweile 19 Jahren verwandelt sich der take-off GewerbePark, ein ehemaliges Militär- und Flugplatzgelände, in eine Hochburg für Rockfans, Feierwütige und Festivalfreunde. Über 60.000 werden in diesem Jahr erwartet. Auf vier Bühnen spielen dann hochkarätige Bands, aber auch aufstrebende Musiker. Die Fans werden pogen, hüpfen und ihre Musikhelden feiern, egal ob bei sengender Hitze oder knietief im Matsch – man ist gewappnet und erprobt. Zeitgleich dasselbe Szenario in Niedersachsen. In Scheeßel findet auf einer Motorrad-Sandrennbahn das Zwillingspendant, das Hurricane Festival, mit über 70.000 Feierwütigen statt. Zwei Provinzen im Ausnahmezustand.
Damit die Festivalbesucher ein reibungsloses, sicheres und unvergessliches Wochenende in einem nach Bier, Rauch und Schweiß duftenden Paralleluniversum verbringen können, bedarf es einer gut durchdachten und Monate vorausgegangene Planung. Für den Festival-Veranstalter, die FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH, ein tägliches Business. Für die 4.000 Seelen Gemeinde Neuhausen ob Eck eine große Herausforderung, der man sich alle Jahre wieder stellt. „Wir sind als Ortspolizeibehörde tätig, da das Festivalgelände zum größten Teil auf unserer Gemarkung liegt“, so Bürgermeister Hans-Jürgen Osswald. „Die ganze Genehmigung des Festivals trägt meine Unterschrift. Dazu sind ordnerweise Anlagen und Anforderungen notwendig. Das alles ist ein sehr großer Aufwand für uns.“ Immerhin zum 14. Mal nimmt der 52-Jährige in seiner Aufgabe als Bürgermeister diesen Aufwand in Kauf, auch wenn sich die Gemeinde dafür nicht viel kaufen kann. „Anfangs hat vor allem der örtliche Einzelhandel davon profitiert. Damals gab es noch keine so gute Infrastruktur auf dem Gelände und die Besucher sind eher in den Ort gelaufen, um etwas einzukaufen“, so Osswald. Heute würden die Festivalbesucher das Gelände nicht mehr verlassen, da man dort alles erhält. „Für uns ist das Festival mehr eine positive Imagegeschichte, als dass Euro und Cent im Gemeindesäckle bleiben. Unterm Strich ist der monetäre Nutzen gegen Null.“
Keine vollen Taschen, dafür viel Arbeit und Verantwortung und alles nur fürs Image? Immerhin ist der Zweckverband Neuhausen ob Eck/Tuttlingen Eigentümer des take-off GewerbeParks. An dieser Organisation sind die beiden Kommunen zu 50 Prozent beteiligt. Das operative Geschäft, also Entwicklung, Vermarktung und Verwaltung, übernimmt die Tochtergesellschaft, die take-off GewerbePark Betreibergesellschaft mbH. Auch deren Geschäftsführerin, Heike Reitze, bestätigt, dass von der fünf-stelligen Mietsumme, die der Southside Veranstalter an den Zweckverband zahlt, am Ende nicht viel übrig bleibt. Schließlich kostet die Organisation nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld. Die Hauptaufgabe der Betreibergesellschaft ist die Kommunikation mit den im Gewerbepark ansässigen Unternehmen und dem Flugplatz. Letzterer wird für das Southside Festival insgesamt 14 Tage stillgelegt (10 Tage davor und vier Tage danach). „Aber auch die Wasserversorgung muss von uns gewährleistet sein“, sagt Reitze. „Das Wasser wird vorab erprobt und auf Sauberkeit geprüft. Dabei arbeiten wir mit einem regionalen Wasserwerk.“ Auch die Durchfahrtsscheine für die über 60 ansässigen Firmen im Gewerbepark müssen organisiert werden. Bei vielen Unternehmen geht das Geschäft am Wochenende und trotz Festival weiter. Die Durchfahrt sei jedoch vor allem beim An- und Abreisetag sehr erschwert. Trotzdem seien die Firmen sehr kooperativ, so Reitze. „Im vergangenen Jahr gab es sogar ausdrückliches Lob von den Unternehmen.“
Auch Bürgermeister Osswald lobt die Professionalität und die gute Organisation des Veranstalters, gerade in Bezug auf die Sicherheit. Die Angst vor Terror bei Großveranstaltung sei zwar mehr Gefühl als Realität, trotzdem steht das Thema mittlerweile ganz klar im Vordergrund und die Gemeinde Neuhausen ob Eck ist hierbei als Genehmigungsbehörde mitverantwortlich. Bisher war der größte Feind des Freilufthappenings das Wetter. 2016 musste das Festival erstmals in seiner Geschichte aufgrund von Unwettern abgesagt werden. Für die Konzertbesucher traurig, für den Veranstalter tragisch. „Das war natürlich ein herber Schlag. Gleichzeitig sind wir froh, dass wir die Situation gemeinsam mit unseren Besuchern sehr gut gemeistert haben“, sagt Stephan Thanscheidt, Geschäftsführer der FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH. Dieses Jahr meistert das Draußen-Festival Southside immerhin schon seinen 20.Geburtstag. Dafür hat der Veranstalter ein Line-up aufgefahren, das die musikalische Rock- und Alternativszene schon in freudiges Kopfnicken versetzen wird: Arctic Monkeys, The Offspring, Arcade Fire, NOFX, The Kooks… über 80 Bands treten an diesem Juni-Wochenende auf. Waren es beim ersten Southside 1999 rund 15.000 Zuschauer (damals noch auf dem ehemaligen Fliegerhorst Neubiberg bei München), hat sich die Veranstaltung inzwischen als eines der größten Open-Air Festivals Deutschlands etabliert. Auch das Musikspektrum des anfangs reinen Rockund Alternative-Festivals hat sich mit den Jahren an die Wünsche des Publikums angepasst. Die White Stage mit Electro- Acts ist nur ein Beispiel dafür.
Für die inzwischen über 60.000 Besucher entsteht eine künstliche Kleinstadt, in der rund 7.500 Mitarbeiter für das Wohl der „Bewohner“ sorgen. Und die werden immer anspruchsvoller. „Wir beobachten in unseren Besucherumfragen, dass sich viele Menschen neben immer komfortableren Abläufen neue Unterkünfte und Service wünschen“, sagt Thanscheidt. „Diesen Anspruch erfüllen wir unter anderem durch komfortable Camping-Optionen und ein breites gastronomisches Angebot. Bei allem ist uns wichtig, dass wir weiterhin für jedes Portemonnaie ein passendes Angebot bereitstellen.“ Immerhin zwischen 179 und 219 Euro kostet ein einfaches Wochenend-Festivalticket. Für besagte komfortable Camping- Optionen in den „Resorts“ zahlt man sogar 359 bis 589 Euro. Dafür steht die Unterkunft schon, die Duschen und Toiletten sind sauber, der Müll wird täglich abgeholt und man entspannt fernab des Mob. Was sich an einem Festival-Wochenende erwirtschaften lässt, darüber schweigt der Veranstalter. „Es ist aber weniger als man annehmen mag, da sich die Produktions- und Gagekosten in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt haben.“ Natürlich, verdienen tut am Ende keiner etwas. Im Internet kursieren Zahlen, die von Einnahmen zwischen fünf bis zehn Millionen Euro sprechen.
Ähnlich komplex wie das Finanzielle, jedoch weniger geheimnisvoll, ist die Organisation zwischen den Zwillingsfestivals, dem Hurricane und dem Southside. Die gleichen Bands treten auf beiden Festivals auf und werden dabei mit Tour-Bussen – quasi rollenden Hotels – von Norden nach Süden oder umgekehrt gefahren. Schiefgehen kann dabei jede Menge. „Es haben schon mehrere Bands einzelne Mitglieder auf deutschen Raststätten vergessen oder die Abfahrt zum nächsten Gig verpasst, weil sie auf dem Campingplatz Flunkyball gespielt haben“, sagt Thanscheidt. „In beiden Fällen sind wir dann für kreative Rettungsaktionen gefragt und haben so schon mehrere Konzerte gerettet.“ 2020 läuft der Vertrag zwischen dem Veranstalter und der Gemeinde Neuhausen ob Eck aus. „2019 beginnen die neuen Verhandlungen, bei denen es vor allem um den Flächennachweis gehen wird, den wir verlangen müssen“, so Bürgermeister Osswald. Doch genau dieser Nachweis könnte in Zukunft Schwierigkeiten bereiten. Denn nur noch 50 Prozent der genutzten Festivalfläche gehört dem take-off GewerbePark. „Wir werden kleiner, da immer mehr Grundstücke veräußert werden“, spricht auch Heike Reitze das Problem an. Ob der Veranstalter mit den anderen Grundstückbesitzern einen Deal hinbekommt, bleibt abzuwarten, wenn auch wahrscheinlich, waren doch bisher alle Beteiligten und Betroffenen sehr kooperativ. Bisher funktioniert’s, wenn auch keiner reich wird.