Aus der Lahrer Firma Farben Feuerstein seiner Eltern machte Jürgen Feuerstein die Marke Molotow. Und wurde ein Name in der weltweiten Urban-Art-Szene. Der Chef ist Unternehmer und Idealist zugleich.
VON DANIEL RUDA
In einem Ranking, welche Ortenauer Unternehmen ihre Waren in die meisten Länder liefern, wäre die Firma Feuerstein aus Lahr vermutlich ziemlich weit vorne. „In über 60 Länder, verstreut über die ganze Welt, verschicken wir unsere Sprühdosen, drei Millionen pro Jahr“, seien es, erzählt Firmenchef Jürgen Feuerstein an einem sonnigen Vormittag Anfang März.
Die Laune ist da allerdings gedrückt, aufgrund des Kriegs in der Ukraine werden es nun erstmal zwei Länder weniger sein, in die Spraydosen und verschiedene Stifte aus dem Hause Feuerstein und der Marke Molotow geliefert werden. Gerade eben musste der Unternehmer die Nachricht verdauen, dass eine Lieferung an einen russischen Kunden nicht über die Grenze kommen wird. Noch mehr aber denkt der 56-Jährige an die Opfer in der Zivilbevölkerung und kommentiert das Kriegstreiben mit dem Spruch aus seinem Metier: „Make Art, Not War.“
Das Thema lässt ihn in der nächsten Stunde nicht los in einem Raum seiner Galerie K31, die zum Firmenareal zählt. Hier ist der Mittelständler Feuerstein und mit ihm seine in Urban-Art-Künstlerkreisen weltbekannte Marke Molotow zu Hause. Früher waren hier kanadische Soldaten stationiert, „jetzt werden hier Ideen produziert“. Und zwar solche für den Künstler, „da stecken wir unsere ganze Energie rein“. Der Kunde, über den Feuerstein spricht, ist einerseits einer aus dem Bereich Graffiti und Urban Art, „da kommen wir her“, andererseits soll sich der Kunstbegriff mitunter auch durch Molotows Marker öffnen. Mit den speziellen Stiften können ja auch Kinder zeichnen, die natürlich noch nicht mit einer Atemmaske und Spraydose in der Hand vor einem Graffiti stehen können.
Irgendwann in den Neunzigern war es, vielleicht auch schon in den Achtzigern – Feuerstein weiß es nicht mehr so genau –, als er mit Graffiti erstmals in Kontakt kam. Er hörte Musik etwa von James Brown und landete so auf Partys in Offenburg, wo Graffiti ein Thema war. Warum es denn keine Dosen speziell für Graffitkünstler gebe, wurde er, „der Farbenfuzzi“ damals immer mal wieder gefragt. Er wusste keine Antwort und machte sich selbst dran, welche zu erfinden, nachdem er Ende der Neunziger das Geschäft seiner Eltern, den Farben Feuerstein, übernahm und mit der Graffiti-Sache anfing.
Und hier wird das Ganze quasi zur Wissenschaft: Es sprudelt aus Feuerstein heraus, der beim Erzählen ohnehin ständig auf dem Stuhl hin und her rutscht und mit den Armen gestikuliert. Da geht es einerseits um den Deckungsgrad von Farben, andererseits um die Aussprührate und viele andere Details. Molotow ist keine Massenware, betont Feuerstein, sondern Arbeitsgerät für den Künstler. Bei den Sprühdosen angefangen und bei den Markern geht es weiter, hier ist ihm vor allem die Nachhaltigkeit der Produkte wichtig. Man kann Tinte nachfüllen oder Patronen austauschen. „Da setzen wir im Kunstbereich weltweit Maßstäbe“.
Überhaupt, die Kunst. Der Unternehmer und Chef von 38 Angestellten sieht sich auch in der Rolle eines Beschützers der Subkultur Graffiti, die er vehement verteidigt. Wer darin nur Schmiererei sieht, der habe etwas nicht verstanden. „Graffiti ist keine Schmiererei, sondern Buchstabenarchitektur“, ist ein Satz, den Feuerstein in den Raum stellt und ein Lächeln dazu so wirken lässt, als wären es die sogenannten Outlines eines Graffitis. Ein anderer Satz, mit dem Feuerstein die Herangehensweise an das eigene Thema beschreibt: „Wir sind als Firma zu Gast bei Graffiti, und wir wollen, dass es unserem Gastgeber gut geht“, denn gehe es Graffiti gut, gehe es auch Molotow gut.
Heute sei die Subkultur lebendiger denn je und habe sich heraus aus dem Underground bis teilweise in den Mainstream bewegt. Man muss zum Beispiel nur mal durch irgendeine Metropole laufen und die Chance ist groß, dass man auf Häuserwänden riesige sogenannte Murals findet, Auftragsarbeiten von Graffitikünstlern. „Diese Kunst findet eine immer größere Akzeptanz und diese Kraft gilt es mitzunehmen.“ Feuerstein denkt, dass Molotow daran auch seinen Anteil hat, zum einen durch die jahrelange Arbeit, zum anderen durch das Zurschaustellen solcher Kunst auch in den eigenen Räumen der Galerie, die aber größtenteils ruht. „Noch eine Galerie richtig zu führen, dazu fehlt die Zeit.“
Als er durch die Räume führt, vorbei an akkurat aufgehängten Graffiti-Bildern, entdeckt er eine alte Ausgabe des Wohn- und Architekturmagazins Architectural Digest. Sie stammt vom September 2007 und liegt aufgeschlagen mit dem Artikel da, der sich darum dreht, wie die beiden Graffiti-Künstler Dare und Toast für Gunter Sachs die Räume eines Schlosses am Wörthersee neu gestalteten. Feuerstein liest den ersten Absatz laut vor, so begeistert ist er davon, wenn es seine geliebte Kunst über den Tellerrand schafft und gewürdigt wird.
Die Größen der Szene kennt er, Banksy zum Beispiel sehe auch nur wie ein Mensch aus, so viel dazu. Ihn hat Molotow schon Anfang der Zweitausender in Form von Ausstellungen unterstützt, dazu kommen viele weitere Größen der Szene. Ob Banksy allerdings mit Molotow-Dosen unterwegs ist, „das muss man ihn selber fragen“.
Molotow, das stehe für die zündende Idee, sagt Feuerstein und erzählt, wie er damals Anfang der Zweitausender mit seinem ersten Mitarbeiter auf den Namen kam. Der Mitarbeiter hieß Stefan Strumbel. Noch so eine Anekdote. Feuerstein erzählt, wie das Sortiment mit der Zeit immer mehr wuchs: Waren es anfangs nur Spraydosen, hält es sich heute die Waage mit Markern. 500 unterschiedliche Spraydosen und 600 unterschiedliche Marker gibt es mit dem Molotow-M drauf.
Im Hof vor den Lagerhallen steht seit zwölf Jahren ein alter Zugwaggon auf Schienen, den regelmäßig unterschiedliche Graffiti-Künstler besprühen dürfen. Nach der langen Corona-Pause geht es bald wieder los, es gibt auch ein Buch zum Projekt. „Legal Trains“, heißt es. Feuerstein ist es derweil auch gewohnt, sich mit der Deutschen Bahn über Graffiti zu kabbeln. Das gehört für ihn dazu.
Die 38 Angestellten arbeiten für das mittelständische Unternehmen vor allem in Lahr. Hier wird entwickelt, getüftelt, vermarktet und organisiert. Produziert wird „Made in Germany“, allerdings nicht direkt vor Ort. Feuerstein arbeitet dafür eng mit drei Partnerunternehmen zusammen, eines davon ist die Schwarzwälder Firma Schneider Schreibgeräte aus Schramberg-Tennenbronn.
Der lokale Aspekt ist Feuerstein wichtig. Zwar sind seine Produkte auf der ganzen Welt zu Hause, sich und seine Firma sieht er in der Ortenau aber am besten aufgehoben. Er bezeichnet sie als „Gegend der Erfinder, Freidenker und Macher“, gerade die positive Einstellung der Menschen hier gefällt ihm. Der geborene Lahrer (Feuerstein: „Es heißt Looohrer“) kennt es nicht anders, er lebt schon sein gesamtes Leben hier. Aber er ist viel unterwegs, kommt viel rum, „und ich freue mich immer wieder hierher nach Hause zu kommen“.