Wenn man sich nicht an der Kaffeemaschine trifft, leidet die kollektive Kreativität. Das merkt der Messtechnikspezialist Endress+Hauser, bei dem sich eine eigene Abteilung mit 31 Beschäftigten um Erfindungen und Patente kümmert.
VON KATHRIN ERMERT
Jedes Jahr feiert Endress+Hauser (E+H) seine Erfinder. Mehrere hundert Männer und Frauen kommen beim großen „Innovatorentreffen“ zusammen. Das Unternehmen würdigt ihre Erfolge und vergibt Preise für wirtschaftlich wichtige Patente. Im Mittelpunkt des Treffens steht der Austausch der Innovatoren untereinander. Das geht seit zwei Jahren allerdings nur digital, die beiden jüngsten Treffen fanden pandemiebedingt online statt.
Die Zahlen der zum Patent angemeldeten Erfindungen lagen 2020 und 2021 denn auch unter dem Wert des Vorjahrs. Dafür gibt es allerdings mehrere Ursachen. Eine ist, dass 2019 patentmäßig ein absolutes Rekordjahr für E+H war, und die Entwicklung von neuen Produkten oft zyklisch verläuft. Es kann also einfach eine normale Delle sein. Andererseits verzeichnete man just während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 einen deutlichen Einbruch an Einreichungen. Corona scheint also einen Einfluss zu haben. „Viele Erfindungen kommen von Entwicklerteams“, sagt Angelika Andres. Wenn die Kommunikation abnimmt, vor allem der informelle Austausch an der Kaffeemaschine, mache sich das bemerkbar.
Andres war mehr als 20 Jahre Leiterin der Endress+Hauser IP-Abteilung. Wenn sie sich im März in den Ruhestand verabschiedet, kann die 64-Jährige trotz Coronadelle auf eine stattliche Bilanz blicken. Mehr als 4.000 Erfindungen hat sie als Abteilungsleiterin betreut. Ob eines ein Renner wird oder nicht, lasse sich nicht immer vorher abschätzen, sagt Andres. Sie hat ihre Arbeit auch als Übersetzerin gesehen: „Ich habe immer versucht, jede Erfindung mit Begeisterung in Worte umzusetzen, als sei es eine Topinnovation.“ Ihr Anspruch: dass die Erfinder die für Patentanmeldungen nötige spezielle Sprache verstehen. Dabei helfe der persönliche Kontakt, der Vorteil einer internen Patentabteilung. Manchmal können sie schon Prototypen besichtigen, manchmal bekommen sie bloß eine Handskizze.
„Gute Ideen kann man auch mit einfachen Mitteln darstellen“
Angelika Andres, scheidende Patentdirektorin von Endress+Hauser
Innovationen sind die DNA von Endress+Hauser
Seit 1999 betreibt E+H eine eigene Abteilung für Erfindungen und Patente. Deren mittlerweile 31 Beschäftigte (26 in Weil am Rhein, 5 in den USA), kümmern sich ausschließlich um das geistige Eigentum des Unternehmens. Innovationen sind dessen DNA. Schließlich fußt der Erfolg des 1953 in Lörrach gegründeten deutsch-schweizerischen Unternehmens auf einer disruptiven Innovation: der elektronischen Messtechnik, die die bis dahin manuelle oder mechanische Füllstandsmessung ablöste. 1955 erhielt das junge Unternehmen sein erstes Patent.
Heute zählt E+H rund 8900 aktive Patente sowie Patentanmeldungen. Jährlich kommen um die 300 hinzu. Das Unternehmen ist mit seinen Geräten für Durchfluss-, Füllstands-, Druck- und Temperatur- sowie analytische Messungen in etlichen Branchen präsent, etwa im Energiesektor, im Bergbau sowie in der Chemie-, Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Alle Coronaimpfstoffe kommen beispielsweise auf irgendeine Art mit E+H-Produkten in Berührung.
Wie arbeitet die Patentabteilung von Endress+Hauser?
„Wir recherchieren viel“, sagt Abteilungsleiterin Andres. Sie ist Physikerin, ihre Nachfolgerin Christine Koslowski (47) hat in physikalischer Chemie promoviert, und beide haben die Zusatzqualifikation zur Patentanwältin absolviert.
Ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium ist Voraussetzung, und es ist wichtig für die Arbeit. Denn Patentanmeldungen beschreiben, wie Erfindungen funktionieren. Dafür muss man sie verstehen. Wichtig ist auch, die Schutzrechte anderer Firmen im Blick zu haben.
Ehe sie eine Erfindung zum Patent anmelden, durchforsten die Patentanwältinnen viel Fachliteratur. Sie prüfen, ob die eigene Idee wirklich neu ist, oder ein Wettbewerber sie schon hat patentieren lassen. Dann lassen sie die Finger davon.
„Wenn man ein Produkt fünf Jahre lang entwickelt, will man es nicht gleich wieder vom Markt nehmen müssen.”
Christine Koslowski, Leiterin Intellectual Property-Abteilung Endress+Hauser
Mit der Patentabteilung zugleich startete ein Anreizprogramm, das den Erfindergeist der Mitarbeiter ermuntern soll. Regelmäßig finden kleine und größere Workshops statt, zu bestimmten Projekten oder Themen wie neuen Techniken und Materialien. Manche Themen kommen immer wieder, etwa Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.
Oft geht es um die Weiterentwicklung bestehender Produkte. „Wir erfinden nicht einfach ins Blaue hinein“, sagt Koslowski. „Wir schauen, was Kunden, vor allem Schlüsselkunden, benötigen.“Generell sind alle aufgerufen, Erfindungen zu melden. Und es kommen auch aus nahezu allen Abteilungen Ideen – aus Fertigung, Service, Marketing und sogar schon mal aus der Patentabteilung selbst. Das Gros der Patente geht indes auf Ideen der Entwicklungsabteilungen zurück, denn da steckt viel Manpower drin.
Rund 1100 der insgesamt knapp 15.000 E+H-Beschäftigten arbeiten in der Forschung und Entwicklung (F&E). Das Unternehmen gibt jährlich etwa 7,5 Prozent des Umsatzes für F&E aus, 2020 waren das etwa 195 Millionen Euro. Die „Manpower“ der Erfindungen ist tatsächlich männlich dominiert. Der Frauenanteil liegt im Moment bei etwa zehn Prozent und spiegelt das Geschlechterverhältnis in den produzierenden Entwicklungsabteilungen wider. „Den Frauenanteil will Endress+Hauser bis 2030 eklatant erhöhen“, sagt Koslowski.