Das Waldhaus Freiburg will mit seinem inklusiven Projekt Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebensumständen an das Thema biologische Vielfalt heranführen. Wir durften zuschauen.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Dominik schwitzt. Sein rotes T-Shirt sieht man schon aus der Ferne. Der 18-Jährige hat eine riesige Schaufel in der Hand, hackt in regelmäßigen Abständen mit großer Kraft Erdbrocken aus dem Boden. Er hat sich etwas von der Gruppe separiert. „Ich arbeite hier“, sagt er. „Ich bin der Lochbuddler.“
Dominik geht auf die Richard-Mittermaier-Schule in Freiburg, eine sonderpädagogische Einrichtung für Kinder mit besonderem Bildungsanspruch im Bereich geistige Entwicklung. Heute ist seine Klasse auf dem Maierhof in Kappel, um Obstbäume zu pflanzen. Die fünftägige Projektwoche ist Teil des Programms „Naturrefugien schaffen – Vielfalt fördern“, das 2017 von der Umweltbildungseinrichtung Waldhaus Freiburg ins Leben gerufen wurde. Mit Kooperationspartnern wie dem NABU, dem Umweltamt und dem Kinderabenteuerhof werden an grünen Orten in Freiburg und Umgebung Projektwochen veranstaltet.
Zielgruppe sind hauptsächlich die Vorbereitungsklassen für Flüchtlinge und Migranten. „Das sind Klassen für Kinder und junge Menschen, die nicht genug Deutsch für den Regelunterricht können“, erklärt Projektleiter Fynn Zimmermann. Wenn sie zu ihm in die Projektwochen kommen, spielt das aber keine Rolle. Erklärt wird notfalls mit Händen und Füßen, es geht ja vor allem darum, mit der praktischen Arbeit zu beginnen. Und zu tun gibt es genug: Bäume pflanzen, Teiche anlegen, Hecken pflegen, Beete bauen – je nachdem, wo die Projektwoche ansteht, wird das umgesetzt, was gebraucht wird. Der Grundgedanke ist immer derselbe: biologische Vielfalt fördern.
In Kappel werden Obstbäume für eine Streuobstwiese eingepflanzt. Dafür muss gebuddelt und gesägt, gehämmert und umzäunt werden. Für viele ist es eine völlig neue Erfahrung, mit Werkzeugen und den eigenen Händen zu arbeiten. Die Jugendlichen, die heute hier sind, kommen nicht aus einer Flüchtlings-, sondern aus einer Förderklasse. „Seit rund drei Jahren arbeiten wir verstärkt mit Förderklassen aus dem inklusiven Bereich“, erklärt der Projektleiter. „Das wird als Berufsförderungsmaßnahme angesehen. Ziel ist es, die Schüler und Schülerinnen für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren.“
Überraschend cool
Nicht alle sind dabei so aktiv unterwegs wie Dominik mit seiner riesigen Schaufel. Weiter oben am Hang sägen und werkeln Konstantin (21) und Randa (17). Randa, tiefschwarz getuschte Wimpern, Kapuze auf dem Kopf, wurde in Deutschland geboren, ihre Familie stammt aus dem Libanon. So etwas wie hier hat sie noch nie gemacht. „Ich hab gedacht, es ist voll doof“, erzählt sie. „Es ist aber voll cool.“ Ist sie denn sonst auch mal draußen in der Natur? „Ja, klar: Im Park, mit Freunden, Bilder machen für Insta und so.“ Hier hat sie zum ersten Mal eine Säge in der Hand. Ein erhebendes Gefühl, dass das „die Mädchen dürfen“. Sie war auch völlig baff, als sie die Jungbäuerin auf dem Traktor sah – eine junge Frau auf einer schweren Maschine. Es sind solche Vorbilder, die im Alltag der jungen Leute häufig fehlen.
Bei Konstantin – groß, athletisch, Baseballkäppi – kommt vor allem die Freiheit der Umgebung gut an. „Es ist doch perfekt, draußen zu arbeiten“, sagt der 21-Jährige. Das finden die meisten. Nach drei Tagen hier draußen haben sie sich sogar an den Landgeruch gewöhnt. Denn dass ein Kuhstall nun mal nach Kuhmist riecht, war für viele eine eher unangenehme Überraschung. Nur Nechirvan kannte das. Der 17-jährige Iraker hat schon als Achtjähriger auf dem Bauernhof der Familie mitgeholfen, vor vier Jahren kam er nach Deutschland. Ob er mal was mit Landwirtschaft machen möchte? „Nö, das kenne ich ja.“ Er will lieber Friseur werden, genau wie Randa.
Nach den fünf Tagen werden die Teilnehmenden insgesamt 21 Obstbäume gepflanzt haben. „Es ist sehr wichtig, dass wir etwas Konstruktives machen. Etwas, das man hinterher sehen und anfassen kann“, sagt Fynn Zimmermann. Es geht um den Vorher-Nachher-Effekt: „Am Ende gibt es ein spannendes Ergebnis. Es ist für die Teilnehmer eindrucksvoll zu erleben, etwas Sinnhaftes geschaffen zu haben – für die Natur und für die Gesellschaft.“ In dieser Woche hat Zimmermann Unterstützung von Fenris. Der Forstwirtschaftsstudent ist 23 Jahre alt und macht ein Praktikum im Waldhaus. Mit Kappe und Shirt sieht er aus wie einer der Schüler. „Es ist ganz praktisch für mich, dass ich nicht viel älter bin, so können wir auf einer Ebene arbeiten“, meint er, während er den anderen dabei hilft, die Zentimetermaße korrekt vom Zollstock abzulesen.
Mit eigenen Händen
Längen berechnen können die allermeisten, die heute da sind, nicht. Aber das macht nichts. „Die Idee ist es, dass sich die Schüler und Schülerinnen mal mit anderen Fähigkeiten und Talente erleben. Dass sie Werkzeuge ausprobieren, etwas mit den eigenen Händen erschaffen“, erklärt der Pädagoge. Das sei vor allem für die Flüchtlingsklassen wichtig: „In der Schule erfahren sie oft erstmal nur, was sie alles nicht können: die Sprache, die Fächer, die Regeln. Aber hier können sie sich ganz anders zeigen.“ Im Alltag erleben die meisten viel Ablehnung. Polizeikontrollen sind an der Tagesordnung, häufig fehlt die Wertschätzung, hinzu kommt bei vielen ein unsicherer Aufenthaltsstatus. Positives Feedback fehlt ganz oft, und genau da setzen die Projektwochen an. „Wir versuchen auf Augenhöhe zu sein, den Teilnehmenden zu zeigen, dass sie akzeptiert und angenommen sind und gleichzeitig einen schönen Beitrag für die Natur leisten können.“
40 Projektwochen hat das Waldhaus bereits durchgeführt, gefördert wird das Ganze von der Heidehof-Stiftung in Stuttgart, auch das Biosphärengebiet Schwarzwald stellt Gelder zur Verfügung, etwa 300 bis 500 Euro zahlen die kooperierenden Schulen für die Projektwoche. Für die Schüler selbst ist die Maßnahme kostenlos.
Mittags wird gemeinsam gekocht. Zum Konzept gehört, dass ein Verpflegungsteam einkauft und in der Feldküche für alle das Essen zubereitet. Es sei ein interessanter Blick in die vielfältige internationale Küche, berichtet Fynn Zimmermann. Oft decken die Teilnehmenden den Tisch nach kulturellen Vorbildern, neulich gab es an einer langen Tafel mit weißem Tischtuch viele Töpfe mit verschiedensten Speisen – „es sah aus wie in einem syrischen Restaurant“.
Jeder kann was
Heute, bei der Förderklasse, kümmert sich die Lehrkraft ums Essen. Marion Vomstein ist eine jener resoluten Sonderschullehrerinnen, der man lieber nicht in die Quere kommt. Streng, aber stolz auf ihre Schützlinge. „Die Schüler machen das super, bei einigen merkt man, dass sie körperliche Arbeit weniger gewohnt sind. Für manche ist es motorisch eine Herausforderung, für andere ist es weniger anstrengend als der Schulalltag.“ Niemand schwänzt, die Teilnahmequote sei ungewöhnlich hoch. Ein gutes Zeichen, dass die Schüler wirklich Lust drauf haben . „Sie stehen das gemeinsam durch, weil sie merken, dass sie zusammen richtig viel schaffen können“, sagt Vomstein. „Und vor allem ist es schön, dass hier alle erleben: Jeder kann etwas, und jeder kann etwas anderes gut.“
Zum Beispiel Löcher buddeln. Dominik sagt: „Ich mag die körperlich anstrengende Arbeit in der Natur.“ Landschaftsgärtner werden, das sei sein Traum. Den ersten Schritt dafür hat er bereits getan.