Corona hat unser Konsumverhalten beeinflusst: Auf der einen Seite wird zwar vermehrt online eingekauft, auf der anderen wollen viele gezielt die kleinen regionalen Anbieter unterstützen. Schon vor der Pandemie wurde nicht erst durch „Fridays for Future“ eine neue Verbraucher-Sensibilität geschaffen – hin zum bewussteren Konsum, mehr Upcycling statt kopflose Wegwerfwut. Und wer sein Liebstes pflegt, lernt es zu schätzen: die Qualität und die Unität. Wir stellen in unserer Fotostrecke Menschen vor, die nachhaltige Unikate herstellen und gebrauchten Dingen neues Leben geben und fragen, wie sie dieses Jahr in ihrem Handwerk erlebt haben.
TEXT: ANNA-LENA GRÖNER
FOTOS: ALEXANDER DIETRICH
Silvia Obergfell, Polstereibetrieb in Staufen
Die gelernte Raumausstatterin Silvia Obergfell verleiht alten Möbeln neuen Glanz. Am liebsten polstert sie nach ganz traditioneller Art: mit Federn, Afrik (Palmfasern) und Rosshaar. Das sei aber auch die teuerste Variante, sagt die 44-Jährige. Daher werden Erb- und Lieblingsstücke in ihrer Werkstatt in Staufen auch mit Schaumstoff auf Vordermann gebracht – gut versteckt hinter der gewünschten Stoffauswahl. Seit 15 Jahren ist Obergfell selbstständig, letztes Jahr hat sie ihre kleine Werkstatt erweitert, da bereits seit einigen Jahren vermehrt Anfragen kommen. „Es sind vor allem Leute zwischen 25 und 50 Jahren, die Stühle oder das alte Sofa von der Oma herrichten lassen. Bekannte Möbelhäuser sind eben auch nicht mehr der Renner und viele wollen ein ganz besonderes Unikat, einen Hingucker.“ Nach einer anfänglichen „Schockstarre“ im ersten Lockdown laufen ihre Geschäfte inzwischen wieder wie zuvor, sagt sie.
Marion Lerner und Roland Witt, Korbflechterei Witt in Freiburg-Herdern
Eine feste Institution im Freiburger Norden: die Korbflechterei Witt in der Hauptstraße in Freiburg. Im Fachwerkhäuschen befinden sich Laden und Werkstatt, die in der zweiten Generation von den Geschwistern Gaby und Roland Witt betrieben werden. Nächstes Jahr feiert die Flechterei am 1. April ihr 60-jähriges Bestehen. Ob Schaukelstühle, Körbe, Stühle, Lampen oder Sofas – hier wird alles geflochten, was dekorativ oder nützlich ist, aus Weide, Rattan, Rohr und Binsen. Hochwertig im Material und aufwändig in der Fertigung. „Wir merken seit einiger Zeit, dass die Leute wieder vermehrt Wert auf das Handgemachte legen und sich Zeit nehmen, um sich beim Material beraten zu lassen“, sagt Gaby Witt. Auch die erste Lockdown-Zeit sei für ihren Betrieb gut verlaufen, „vor Ort und regional haben wir gerade dann wieder einen hohen Stellenwert erfahren.“
Annette und Joachim Reinke, Bürstenmacherei Reinke in Alpirsbach
Seit 30 Jahren ist Joachim Reinke Bürstenmacher. In seiner Werkstatt in Alpirsbach entstehen in Handarbeit Staubwedel aus Ziegen- und Rosshaar, Besen und Handfeger, Rasierpinsel und etliche andere Besonderheiten, die man im normalen Handel vergeblich sucht. Reparaturen gebe es selten, manchmal, wenn es um Erbstücke gehe, sagt Reinke. „Unsere Sachen halten in der Regel sehr lange. Sie zeichnen sich durch Qualität, Langlebigkeit und ökologische Verträglichkeit aus.“ Aktuell ein gesteigertes Interesse an ihrem Handwerk und ihren Produkten erfahren Joachim Reinke, seine Frau und seine 31-jährige Tochter, die ebenfalls im Betrieb mithilft. „Die Menschen kaufen gerne wieder etwas Vernünftiges, wissen oft nur nicht, woher sie es bekommen“, sagt der 63-Jährige. Corona habe sie dennoch schwer getroffen, da die Haupteinkünfte normalerweise über Messen und Märkte erzielt werden.
Feri Braun, Schuhmacherei in Freiburg-Vauban
Er ist seit über 35 Jahren selbstständiger Schuhmacher und das aus absoluter Überzeugung und Leidenschaft. Feri Braun hat seinen Laden und seine Werkstatt im Freiburger Stadtteil Vauban, hier verkauft er vor allem hochwertige Schuhe nach Maß, bietet aber auch Reparaturen an. „Ich repariere oft Schuhe, die über zwanzig Jahre alt sind“, sagt der 64-Jährige. Das seien vor allem die eigenen Kreationen. Wer sich Schuhe vom Meister anfertigen lässt, der muss zwar erst investieren, doch durch die Qualität und die lange Lebenserwartung würde sich das allemal rentieren. Diesen ökonomischen wie ökologischen Vorteil wüssten immer mehr Menschen zu schätzen. „Was mich sehr freut, ist, dass sich viele junge Leute für meine Schuhe interessieren“, sagt der 64-Jährige. Brauns großes Anliegen: sein Handwerk an die junge Generation weiter zu geben. Neun Azubis hat er bereits ausgebildet, neue Bewerbungen liegen schon auf seinem Schreibtisch. Durch die Pandemie sei er bisher „gut durchgekommen“ und hofft, dass das auch im neuen Jahr so weiter geht.
Ally Dolle, Fahrradwerkstatt in Freiburg-Herdern
„Wir bieten seit über 30 Jahren eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt an, in der viele Fahrräder, die sonst Schrott wären, am Leben erhalten wurden und werden“, sagt Ally Dolle aus dem Team der Fahrradbastler. Mit dem schnellen Konsum hatten er und seine Kollegen schon immer wenig zu tun. Vielmehr sind sie die richtige Adresse, um das geliebte Bike immer wieder fit zu bekommen – auch in Auftrags-Reparatur ohne Do-it-yourself. „Weil unsere Räume in der Pandemiezeit nicht für die öffentliche Nutzung bereit stehen – zu eng und zu wenig Lüftungsmöglichkeiten – findet seit März leider keine Selbsthilfe statt. Wir bieten aber weiterhin gebrauchte Teile zum Verkauf an, die wir von nicht mehr reparierbaren Fahrrädern ‚ernten‘.“ In diesem Jahr wären es mehr Nachfragen nach Reparaturen und Instandsetzungen gewesen als in den vergangenen Jahren. „Wir führen das darauf zurück, dass gerade mehr Menschen ihre Fahrräder nutzen oder wieder nutzen“, sagt Dolle.
www.radgeber-freiburg.de/selbsthilfe
Norbert Eckert, Sattlerei und Täschnerei Eckert in Freiburg
Seit 1951 versteckt sich im Granatgässle in Freiburg die Sattlerei und Täschnerei Eckert. Norbert Eckert hat den Betrieb vor 30 Jahren von seinem Vater übernommen. Hier ist der Sattlermeister vor allem mit Reparaturen beschäftigt: Geldbeutel, Designertaschen, Motorradbekleidung und Instrumentenkoffer macht er wieder fit. Aber auch die Sitzbänke einer Fastfood-Kette. Zudem verkauft Eckert eigene Lederkreationen. „Das Schöne an meinem Beruf ist das Kreative. Es ist keine Fließbandarbeit, sondern jede Reparatur hat ihre eigenen Herausforderungen.“ Außerdem mache er mit seiner Arbeit Menschen glücklich, die ihre „Schätzchen“ in seine Hände geben. Die Pandemie spürt der Sattler deutlich. Reisegepäck wird nicht genutzt, Aktentaschen verwaisen im Homeoffice und auch die Instrumentenkoffer gehen wenig auf Reisen. Es gebe insgesamt weniger zu tun. Meister Eckert hofft, auch diese Herausforderung meistern zu können.