Was bleibt, wenn die Form geht? Wir haben bei unserem Shooting ganz genau hingeschaut – und Stoffe aus der regionalen Industrie, Mode, Fertigung unter die Linse gelegt.
FOTOS: ALEX DIETRICH • PRODUKTION: JULIA DONÁTH-KNEER
In der Region behaupten sich einige Spezialisten, die sich in ihrer Nische unverzichtbar gemacht haben. Die Firma Gerriets aus Umkirch etwa, deren Vorhänge in Theater- und Opernsälen rund um den Globus hängen, oder die Freiburger Firma Madeira, Weltmarktführer für Stickgarn. Es gibt traditionsreiche Familienunternehmen wie Formesse aus Löffingen, spezialisiert auf Spannbettlaken, oder Maryan Beachwear aus Murg am Hochrhein, die ihre Kollektionen in dutzende Länder verkaufen. Daneben haben wir kreative Köpfe gefunden, die auf reine Handarbeit setzen: Kim Schimpfle von Schwarzwald Couture entwirft die Stoffe und fertigt alle Dirndl und Blusen selbst, ebenso wie Designerin Evgeniya Scherer aus Lahr, deren Kreationen es bis zu den Fashionweeks in Paris und New York geschafft haben. Auch das Schwarzwälder Unternehmen Fischerkleidung setzt auf Maßarbeit – in der Kleidermanufaktur im Schuttertal wird alles selbst produziert. Diese und weitere Unternehmen haben wir um Stoffproben gebeten, die wir mit der Makrolinse fotografiert haben. Herausgekommen ist eine beeindruckende Strecke voller Struktur.
Gerriets: Vorhangstoffe aus Umkirch
Contra H
Dieser handgelegte Stoff wurde berühmt, da er im Vorspann des „Tatort“ auftaucht – direkt nach dem Fadenkreuz. Heute wird er hauptsächlich als Dekostoff oder im Messebau eingesetzt. Mehr über den Hersteller Gerriets aus Umkirch, der mit Theatertextilien zum Weltmarktführer wurde, lesen Sie HIER.
Dos Caballos: Fahrradmode aus Freiburg
High Intensity Ultra Light Kurzarm Radtrikot, ca. 89 Euro
Der ehemalige Profirennradfahrer Marc Hanisch (48) hat mit Dos Caballos das geschaffen, was er sich selbst immer gewünscht hat: funktionale Radbekleidung, die den spezifischen Anforderungen des Sports gerecht wird. Shirts, Hosen, Trikots – unter der Marke Dos Caballos vertreibt die vor zehn Jahre gegründete GmbH Damen- und Herrenfunktionskleidung für Mountainbike, Rennrad, Triathlon und Gravelbike. Fünf Festangestellte und eine Handvoll Aushilfen arbeiten in Beratung, Verkauf, Design, Reparatur. Gefertigt wird in Asien und Italien, versendet aber aus Freiburg. In der Innenstadt findet sich ein kleiner Shop, der größere liegt in der Oltmannstraße. Hier ist ein echter Treffpunkt für Radsportbegeisterte aus der Region entstanden – mit Waschanlage für Fahrräder und hauseigenem Café mit Cappuccino, Schorle und (alkoholfreiem) Bier sowie drei Spots für Indoortraining. Outdoor geht es mit dem DCCC (Dos Caballos Cycling Club), der mittlerweile fast 700 Mitglieder hat und sich in der Saison alle zwei Wochen zu gemeinsamen Ausfahrten trifft. Start- und Endpunkt natürlich: die Oltmannstraße. Eine runde Sache.
Formesse: Heimtextilien aus Löffingen
Bella Donna Sommer decke, Jacquard-Jersey mit Rautenmuster, 150 x 220 cm, Farbe arktis, ca. 100 Euro
Faltenfrei schlafen. Der Heimtextilhersteller Formesse aus Löffingen setzte als einer der Ersten auf Spannbettlaken mit Elasthan und prägte damit den Markt entscheidend mit. Die bekannteste Marke ist „Bella Donna Jersey“, ein Spannbettlaken für Matratzen jeder Art. Die Produktion von Spannbettlaken ist Kernkompetenz der Schwarzwälder Firma, daneben fertigt sie weitere Schlaftextilien wie Schon- und Kopfkissenbezüge sowie die abgebildete Sommerdecke. Heute führt Matthias Jaschke (48) das 1947 gegründete Familienunternehmen in dritter Generation. An zwei Standorten sind ca. 60 Mitarbeitende beschäftigt. Gestrickt, veredelt und ausgerüstet wird auf der Schwäbischen Alb und in Sachsen. Genäht werden die Textilien in Süd-Deutschland, im Elsass und in einem kleinen Familienbetrieb in der Slowakei.
KBC: Textildruck aus Maulburg
Stoff mit Paisleymuster und Effekten im Patchdessin
Die Textildruckerei KBC, die Anfang 2022 von Lörrach nach Maulburg zog, gehört zu den ältesten Unternehmen der Branche überhaupt. Sie wurde 1753 gegründet und bedruckt Stoffe, vor allem für Damenoberbekleidung, Kleider, Röcke, Blusen. Kunden sind Modehäuser aus der gehobenen Mittelklasse, in Deutschland zum Beispiel Marc Aurel und Cinque, in Italien Intimissimi und Calzedonia. Das Unternehmen gehört seit 2017 zur Mailänder Imprima-Gruppe, seit 2018 Jahren läuft die gesamte Produktion über Italien. Nur Kreation und Verkauf sitzen in Maulburg, wo noch rund 20 Mitarbeitende beschäftigt sind. Hier befindet sich auch das KBC-Museum mit den berühmten, in schweres Leder gebundenen Musterbüchern. „Drucken können heutzutage alle“, sagt Chefdesignerin Martina Hoischen. „Aber wir haben Zugriff auf ein Archiv, das es so kein zweites Mal auf der Welt gibt.“ Im Museum lagern Stoffmuster aus mehreren Jahrhunderten, Originale aus den 1970er und 1960er-Jahren ebenso wie 200 Jahre alte Muster. Sie können digital aufbereitet und recht unkompliziert auf die Druckmaschinen gegeben werden und kommen daher vor allem kreativ zum Einsatz – als Inspirationsquelle für die Designer oder als Vorlage für die Wiederverwendung alter Muster.
Fischerkleidung: Maßarbeit im Schuttertal
Maßgeschneiderte, individuell bestickte Weste aus Jacquard-Wollstoff, Preis auf Anfrage
Made im Schwarzwald: Bei Fischerkleidung finden alle Produktionsschritte – vom Maßnehmen, Besticken bis zum Nähen des Anzugs – direkt in der Manufaktur in Schuttertal statt. Wir haben die Kleiderfabrik besucht, mehr dazu lesen Sie HIER.
Maryan Beachwear: Bademode aus Murg
Bikini „Dopamin“ von Water Cult. Triangeltop mit Häkelbordüren, ca. 109 Euro, passende Hose, ca. 70 Euro
Strandfeeling vom Hochrhein. Maryan Beachwear aus Murg wurde 1946 als Miederwarenhersteller gegründet und hat sich ab den 1960er-Jahren auf Bademode spezialisiert. Heute leitet Maya Mehlhorn (41) den Familienbetrieb in dritter Generation gemeinsam mit Dominik Bossert und Trudel Koch-Estelmann. Er beschäftigt insgesamt 350 Mitarbeitende im Designzentrum und in der Verwaltung in Murg, in der Logistik in Laufenburg sowie in den eigenen Produktionsstätten in Tschechien und China. Maryan Beachwear produziert unter den vier Marken „Maryan Mehlhorn“, „Watercult“, „Lidea“ und „Charmline“ jährlich sieben Kollektionen mit rund tausend Modellen. Die Badeanzüge, Bikinis und Beachwear gehen an 4000 Handelskunden in 56 Ländern, werden in den 14 eigenen „Body & Beach“-Filialen sowie in eigenen Onlineshops verkauft.
Groundies: Barfußschuhe aus Freiburg
„Nova Mid“ Barfußschuh, ca. 150 Euro
Nischenprodukt Barfußschuh: Die junge Freiburger Marke Groundies möchte ihn aus der Gesundheitslatschen-Ecke rausholen und zeigen, dass diese Art der Fußmode auch mit Stil in Vereinbarung zu bringen ist. Rund vier Jahre lang war Groundies dabei auf einem guten Weg. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe kam jedoch die ernüchternde Nachricht: Insolvenz für die Marke unter dem Dach der Firma EOD, die für Groundies umstrukturiert wird. Es soll aber weitergehen für die Marke und ihre 120 Mitarbeitenden. Wir haben uns entschieden, Groundies in unserer Fotostrecke zu belassen.
Madeira: Stickgarn aus Freiburg
Goldgarn
Die Logos von fast allen bekannten Fashion- oder Sportlabels haben eins gemeinsam: Sie werden mit Garn von Madeira gestickt. Wie sich das Freiburger Unternehmen damit weltweit an die Spitze gesetzt hat, können Sie HIER nachlesen.
Schwarzwald Couture
Dirndl, salbeifarben, aus Wolle und Seide, ca. 1200 Euro, Bluse aus Spitze, ca. 190 Euro
Alles, was sie kann, hat sich Kim Schimpfle selbst beigebracht. Die 48-Jährige ist Dirndl-Designerin und Inhaberin von Schwarzwald Couture. Ihre Kundinnen lieben den kleinen Laden in der Freiburger Hildastraße. Alle Stoffe sind selbst gestaltet – oft dienen alte Postkarten als Vorlagen –, sie werden in Österreich gewebt und nach Freiburg geliefert. Hier findet dann alles statt: Schnitt, Entwurf, Produktion, Verkauf – Schimpfles Kreationen sind handgemacht. „Meine Eltern waren beide Künstler, das Kreative haben sie mir in die Wiege gelegt“, sagt die Autodidaktin, die mittlerweile weit über die Grenzen des Schwarzwalds bekannt ist. Die Kundinnen kommen aus der ganzen Welt, einige reisen nur fürs Maßnehmen und zur Anprobe an. Seit 1996 macht Kim Schimpfle Mode, den Laden in der Hildastraße hat sie seit dreizehn Jahren. Einen Onlineshop für die Dirndl gibt es nicht. „Das ist kein Produkt, das online funktioniert“, sagt die Designerin. „Ich berate aber auch einfach zu gerne.“
Evgeniya Scherer
Ensemble aus bedruckter Viskose-Weste und goldener Hose (beides Einzelstücke), ca. 880 Euro
Der Druck auf der Viskoseweste sieht nicht von ungefähr so skulptural aus. Evgeniya Scherer (46) aus Lahr verwebt ihre beiden Leidenschaften miteinander: Mode und Kunst. „Ich kann das eine nicht ohne das andere denken“, sagt die promovierte Juristin, die zwanzig Jahre als Rechtsanwältin arbeitete, bevor sie die Kunstakademie in Lahr besuchte. In der Modewelt fasste die gebürtige Bulgarin als Quereinsteigerin schnell Fuß: Ihre Kollektionen werden auf den Fashionweeks in New York und Paris gezeigt. Das Besondere: Die Motive ihrer Bilder, die sie mit Öl auf Leinwand malt, lässt sie in Italien auf Stoffe drucken. Daraus und aus Haute-Couture-Reststücken – das sind die Teile, die bei den Mustern der großen Modehäuser anfallen – wird ihre unverwechselbare Mode.