Das Netzwerk Women in Mobility will, dass der Frauenanteil in der Mobilitätsbranche wächst und weibliche Sichtweisen in die Verkehrsplanung und -forschung einfließen. Die Mitwirkenden des Baden-Hubs machen sich für ÖPNV und autoarme Städte stark.
Text: Christine Weis
Männer dominieren die Mobilitätsbranche: Sie sind Verkehrsplaner, Zugführer oder Fahrradmechaniker, besetzen die Vorstandssessel der Automobilhersteller wie auch der Deutschen Bahn und stehen an der Spitze der Verkehrsministerien in den Ländern und im Bund. Eine Bundesverkehrsministerin musste noch nie als solche betitelt werden, weil es in der Geschichte der BRD schlicht noch nie eine Frau in dem Ressort gab. „Der Frauenanteil in der Mobilitätsbranche beträgt nur 20 Prozent. Die Quote ist viel zu niedrig, daran muss sich was ändern“, fordert Annika Egloff-Schoenen vom Netzwerk Women in Mobility (WiM). Die 38-Jährige Journalistin ist Geschäftsführerin im Fachverlag Arnold, der Zeitschriften wie „ElektroWirtschaft“, „BusSysteme“ und „Nahverkehrspraxis“ verlegt, und engagiert sich im regionalen WiM-Hub Baden. Zusammen mit Mareike Rehl, die bei der Freiburger Verkehrs AG (VAG) den Bereich Nachhaltigkeit und Energie leitet, und Janine Stuchl vom Karlsruher Softwareunternehmen für Verkehrsplanung PTV Group, wo sie Marketing und Kommunikation verantwortet. „Unser Ziel ist es, mehr Frauen für die Mobilitätsbranche zu begeistern und sie dort sichtbarer zu machen“, sagt Mareike Rehl. Das Netzwerk ist eine Plattform zum Austausch. Die Frauen unterstützen sich bei der Jobsuche, organisieren Veranstaltungen und mischen auf wichtigen Branchentreffs mit. So wie am 15. Mai auf der Messe für den öffentlichen Personenverkehr IT-Trans. Dort reden verschiedene Referentinnen über das Thema „Mobility is a human ride“. Stefanie Pichler von den Münchner Stadtwerken hält etwa einen Vortrag zum Thema „Gender im Produkt – Wie uns Vorurteile aufs falsche Gleis führen“.
„Unser Ziel ist es, mehr Frauen für die Mobilitätsbranche zu begeistern und sie dort sichtbarer zu machen.”
Mareike Rehl
Empowerment ist ein zentraler Punkt auf der Agenda von WiM, doch längst nicht der einzige, berichtet Rehl. „Wir möchten erreichen, dass weibliche Bedürfnisse bei der Ausgestaltung der Mobilitätswende berücksichtigt werden.“ Da geht es um Themen wie Sicherheit für Frauen an Bahnhöfen, in Unterführungen oder Tiefgaragen, sowie um die Schaffung einer Infrastruktur in Bahnen, Bussen oder auf Radwegen, die für Kinderwagen geeignet ist. Ein weiteres Feld ist die Forschung. „Frauen sind im Auto immer noch schlechter geschützt, weil die Normdummies für Crashtests dem männlichen Körperbau entsprechen und die Airbags und Stützen entsprechend nicht für Frauen ausgelegt sind“, sagt Egloff-Schoenen. Daher sei es auch so wichtig, den Frauenanteil in der Technologie- und Produktentwicklung zu erhöhen, um die weibliche Betrachtungsweise und User-Experience von Anfang an mit einfließen zu lassen, ergänzt Janine Stuchl.
„Frauen sind im Auto immer noch schlechter geschützt, weil die Normdummies für Crashtests dem männlichen Körperbau entsprechen und die Airbags und Stützen entsprechend nicht für Frauen ausgelegt sind.”
Annika Egloff-Schoenen
Es geht WiM nicht allein um geschlechterspezifische Fragen, sondern um die generelle Gestaltung der Verkehrswende unter den Aspekten der Nachhaltigkeit. Die Frauen von WiM-Baden rücken dabei den ÖPNV in den Mittelpunkt. „Sinnvoll ist der Mix von verschiedenen Mobilitätsformen, die ineinandergreifen. Man fährt etwa eine Teilstrecke mit der Straßenbahn und steigt dann aufs Leihrad oder ins Carsharing-Auto um“, erklärt Rehl.
Egloff-Schoenen findet, dass sich die Verkehrspolitik nach wie vor zu stark am Auto ausrichtet. Ihre Vision ist eine Stadt, in der Autos eine untergeordnete Rolle spielen, in der etwa Parkplätze zu begrünten Aufenthaltsflächen umgestaltet werden. „Wir müssen anfangen, umzudenken und die Prioritäten neu definieren“, betont sie. Doch leider sei das Auto – gerade für Männer – nach wie vor ein Statussymbol.
Der neue Freiburger Stadtteil Dietenbach könnte ihrer Vision nahekommen. Die Stadt strebt an, dass das Quartier nicht nur nachhaltig und klimaneutral, sondern durch ein intelligentes Mobilitätskonzept auch autoarm und fußgängerfreundlich werden soll. Die Stuttgarter Planungs- und Beratungsfirma Drees und Sommer unterstützt die Stadt bei dem ambitionierten städtebaulichen Vorhaben. Am 17. Juni veranstaltet WiM ein Treffen mit dem Titel „Mobilität als wichtiger Baustein um Immobilien, Unternehmen, Quartiere und Städte wettbewerbsfähig zu machen“ bei Drees und Sommer in deren Freiburger Dependance. Einen Monat später, am 24. Juli, wird beim Energieberater Endura Kommunal die Frage diskutiert, inwiefern kommunale Netzwerke klimagerechte Mobilität unterstützen können.
Es ist wichtig, den Frauenanteil in der Technologie- und Produktentwicklung zu erhöhen, um die weibliche Betrachtungsweise und User-Experience von Anfang an mit einfließen zu lassen.”
Janine Stuchl
Obwohl es WiM-Baden erst seit einem Jahr gibt, hat die regionale Sektion bereits regen Zulauf, berichten Rehl und Egloff-Schoenen. „Wir verstehen uns als offenes Netzwerk und sehen uns nicht als Konkurrenz zu anderen Organisationen wie beispielswiese Young Mobility Network.“
Das Baden-Team ist eines der jüngsten der aktuell zwölf WiM-Hubs in Deutschland, Schweiz, Österreich und Großbritannien. Gegründet wurde Woman in Mobility 2015 von Coco Heger-Mehnert, Sophia von Berg und Anke Erpenbeck. Den Impuls für das Netzwerk hatten sie während einer Branchenkonferenz, auf der fast nur Männer waren. Mittlerweile tauschen sich rund 10.000 Frauen bei Veranstaltungen und den Social-Media-Kanälen aus.