Strukturen gegen das Vertuschen Das Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ ist vielerorts ein Tabu. Betroffene wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Aber auch die Unternehmen sind wenig informiert, beispielsweise über Rechtliches oder Ansprechbarkeit. Die Beratungsstelle Frauenhorizonte will dies mit Fortbildungen ändern, Claudia Winker und Pia Kuchenmüller erklären das Modell.
INTERVIEW: RUDI RASCHKE
Wie kam es zu Ihrer Initiative, mit der Sie sich jetzt speziell an Unternehmen wenden?
Claudia Winker: Viele Mitarbeiterinnen aus Unternehmen haben sich an uns gewandt und um Unterstützung gebeten. Vielfach haben sie im Unternehmen selbst keinen Beistand gefunden oder befürchtet, dass es Ihnen sozusagen „auf die Füße fällt“, wenn sie sich intern melden oder beschweren. Mit Erstaunen haben wir festgestellt, dass die meisten Einrichtungen und Unternehmen keine Beschwerdemöglichkeit mit Ansprechpartnern zum Thema sexuelle Belästigung haben und es auch keinen internen Handlungsleitfaden gibt. Die Betroffenen suchen dann bei uns erste Orientierung in einem Beratungsgespräch. Nur auf Wunsch der Klientin nehmen wir dann auch Kontakt zu Einrichtungen und Unternehmen auf. Selbst wenn sich die Betroffene entschlossen hat, das Unternehmen zu verlassen, bleibt vielfach der Wunsch, andere Kolleginnen oder auch neue Auszubildende zu schützen und eine Veränderung am besagten Arbeitsplatz auf den Weg zu bringen, in dem wir im Nachgang im Unternehmen schulen.
Pia Kuchenmüller: Es besteht oft keinerlei Wissen bei den Betroffenen, welches Verhalten am Arbeitsplatz gesetzlich verboten ist oder dass Arbeitgeber laut AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz) nach klaren Richtlinien und Gesetzen zu handeln haben bei Vorfällen. Fortbildungen zum Thema sind Prävention durch Wissen. Sie sind effizient, niedrigschwellig, kurzfristig und flächendeckend umsetzbar. Jedes moderne Unternehmen sollte das Thema aus der Tabu-Zone holen und progressiv angehen, auf die permanente Agenda setzen. Das führt zur sogenannten psychologischen Sicherheit. Und es ändert die Unternehmenskultur nachhaltig. Positiv.
Wie groß ist gerade Ihr Beratungsaufwand bei Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Welchen beispielhaften Fällen sind Arbeitnehmerinnen ausgesetzt?
Winker: Von allen betreuten Fällen an unserer Fachberatungsstelle macht der Bereich fast 20 Prozent aus. Durch die Schulungen und durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit – auch über Social Media – werden die Frauen über unser Angebot informiert und holen sich vermehrt Beistand. Sexuelle Belästigung tritt vermehrt in Einrichtungen und Betrieben mit hierarchischen Strukturen auf. Vorgesetzte, Weisungsbefugte, Anleiter aber auch Kollegen, die durch ihre betriebliche Seniorität oder durch kollegiale und private Freundschaften gute Bündnispartner im jeweiligen Betrieb haben, bringen die Betroffenen meist in eine sehr belastende Situation. Die Fragen ‚wer glaubt mir‘, ‚wer wird mich letztlich unterstützen‘, ‚welche Konsequenzen hat es, wenn ich mein Schweigen breche‘, werden in fast jeder Beratung gestellt. In der Beratung sortieren wir mit der Betroffenen, ordnen ein, was passiert ist, informieren zu ihren Rechten und stärken sie dabei, dagegen anzugehen. Wir begleiten zu Gesprächen bei der Arbeitsstelle, bieten psychosoziale Gespräche zur Entlastung an und bei schwierigen arbeitsrechtlichen Fragen arbeiten wir mit Anwälten.
Wie sehen Fortbildungen von Ihnen zum Thema aus? Sind eher kleine und mittlere Unternehmen Zielgruppe für das Angebot oder große mit vielen Angestellten?
Kuchenmüller: Unsere Fortbildungen sind in Modulen aufgebaut: Für Auszubildende, für Mitarbeitende, Führungskräfte und Betriebs- und Personalräte. Bei Führungskräften schulen wir auch öfters gemeinsam mit einer Anwältin für Straf- oder Arbeitsrecht. Wesentlicher Bestandteil jeder Fortbildung ist neben Hintergrundwissen auch immer eine rechtliche Einordnung und Praxisbezug. Als Akutberatungsstelle mit psychosozialer Prozessbegleitung sind wir sehr nah an der Realität. Auf unserer Homepage sind die fixen Module einsehbar, darüber melden sich viele bei uns. Tatsächlich melden sich bislang aber nur wenige kleinere Unternehmen. Das liegt sicher auch an den Ressourcen. Zielgruppe sind alle. Es geht ja um den Schutz aller Mitarbeitenden. Ausfälle wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind für kleinere Unternehmen ja noch schwieriger zu kompensieren als für Mittelständler und die Großen.
Winker: Laut einer Studie des Bundesministeriums von 2019 ist etwa jede elfte erwerbstätige Person im Zeitraum der vergangenen drei Jahre des Untersuchungszeitraumes von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen gewesen. Frauen haben dabei mit einem Anteil von 13 Prozent deutlich häufiger als Männer (5 Prozent) sexuelle Belästigung erlebt. Die Zahlen sprechen für sich und dass hier alle gefragt sind, sich des Themas in Form von Präventionsworkshops und eines guten Beschwerdemanagements anzunehmen. Genau deshalb schulen wir auch gerne auf allen Ebenen: Auszubildende, Mitarbeitende und die Führungsebene.
Das Ziel ist die Sensibilisierung für das Thema, aber auch der Rückgang von sexueller Belästigung in Unternehmen – welche Rückmeldungen haben Sie bisher?
Winker: Ein guter Umgang mit dem Thema sexuelle Belästigung innerhalb eines Unternehmens wirkt auf vielen Ebenen. Die Mitarbeitenden realisieren, dass sie nicht nur für das Unternehmen etwas leisten, sondern auch, dass das Unternehmen etwas für sie tut. Eine wahrgenommene Schutz- und Fürsorgepflicht auch im Bereich sexuelle Belästigung stärkt alle; auch Mitarbeitende, die nicht betroffen sind, registrieren sehr genau wie in der Führung mit dem Thema und damit auch mit Menschen umgegangen wird. Letztlich geht es um Respekt und Wertschätzung und wer das in einem Unternehmen erfährt, arbeitet dort sicherlich motivierter und zufriedener.
Kuchenmüller: In geschulten Unternehmen werden Strukturen geschaffen, die das Thema nach oben bringen und nicht vertuschen wollen. Das ändert schonmal viel. Letztendlich gibt es aber nur dann weniger sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, wenn Menschen weniger belästigen. Und wenn die Umwelt klare Grenzen zieht und weder bagatellisiert noch relativiert.
netzwerk südbaden wird mit einer Reihe von Beiträgen in den kommenden Monaten die Arbeit von Frauenhorizonte bei diesem wichtigen Projekt unterstützen und mit Beiträgen aus der Praxis von Unternehmen die Vorreiter zeigen, die dieses Thema aufgreifen.