Nicht nur weil es in dieser Ausgabe um Startups geht: Der Freiburger Kampf um neuen Wohnraum wird leider recht fantasielos geführt. Vielleicht täten ein Hinterfragen und ein Blick über den Tellerrand der Stadt einmal gut.
Von Rudi Raschke
Neulich im Kinzigtal: Bei einem Podium des Büroausstatters Streit wird auf recht spannende Weise die Zukunft der Arbeit erörtert. Raphael Gielgen, Chefscout von vitra (siehe Interview in dieser Oktober-Ausgabe) und Rudolf Kast, Legende des hiesigen Personalwesens und mit der „Personalmanufaktur“ nun als Coach aktiv, sind die Redner. Wie werden wir in Zukunft führen, wie sieht unsere Arbeitsumgebung aus? „Eine neue Welt entsteht“ lautet der Vortrag von Gielgen, der sich an 150 Tagen im Jahr zwischen Silicon Valley und Tokio umschaut. Was er dort sieht, kommt eines Tages auch zu uns.
Zwischendurch, deshalb steht es hier am Beginn des Artikels, streift er auch das Thema Stadtplanung. Wie neue Quartiere zum Leben erweckt werden, wie die Qualität uralter Stadtideen für neue Belebung sorgt, wie sich neue Kieze bilden, die als lebenswert wahrgenommen werden.
Das alles ist nur ein Aspekt eines irren Ritts durch die digitale Zukunft, aber spätestens hier landet man in Gedanken bei der Stadt Freiburg und ihrer Zukunftsplanung, die vertrackter denn je ist: Auf der Suche nach dem fehlendem Wohnraum werden zwar regelmäßig schraffierte Stadtplanflecken in Pressekonferenzen an die Wand ge-beamt – von einer konkreten, mitreißenden Visualisierung, wie hier Lebensqualität für möglichst viele geschaffen werden könnte, sind sie allerdings so weit entfernt wie eine schwarz-weiß-Ausgabe der „Tagesschau“ mit Karl-Heinz Köpcke von Gielgens Folien-Feuerwerk.
Das wäre kein Problem, wenn in einer wachsenden Stadt wie Freiburg und Umgebung jeder die naheliegende Einsicht hätte: dass es auf Dauer nicht gut sein kann, wenn zu viele Menschen auf zu teure oder eben keine Wohnungen zugreifen müssen. Nur dass es im Behaglichkeits-Dorado Südbaden immer mehr Bürgerinnen und Bürger gibt, die es ablehnen, dass überhaupt etwas gebaut wird. Die Leserbriefspalten sind voll von ihnen, die Bürgervereine äußern in bisweilen dreisten Pamphleten, dass alles beim Alten bleiben und nichts Neues mehr entstehen soll.
In der Stadtgesellschaft Freiburgs steht eine gut mit Wohnraum versorgte Schicht von Eigentümern einer großen Anzahl von Wohnungssuchenden gegenüber, letztere meist aus der vielzitierten „stabilen Mitte“ oder dem Kreis der sozial Bedürftigeren. Deren Problem ist allerdings, dass sie als Konkurrenten auf dem Miet- und Eigentumsmarkt als Einzelkämpfer auftreten und sich gegeneinander ausspielen lassen müssen. Und dass sie keine Vereinspublikation ihr eigen nennen.
Die Aktivisten der veränderungsfeindlichen Milieus, anders kann man sie nicht nennen, sind dagegen gut organisiert und diktieren tagtäglich der örtlichen Presse ihre Wunschliste in die Blöcke. Regionale Bauträger werden als „Investoren“ oder „Spekulanten“ diskreditiert und bisweilen auch eine nicht unbrenzlige „das-Boot-ist-voll“-Rhetorik zur Zweckheiligung der Mittel eingesetzt.
Diese Voraussetzungen sollte jeder kennen, der sich darüber wundert, warum hier scheinbar kein adäquates Mittel taugt, um der Wohnungsnot Herr zu werden. Und warum der Begriff „lebenswert“ von den Verhinderern belegt wird, u.a. mit drei Stadtratssitzen, und nicht von denen, die die Zukunft gestalten möchten.
Als „Spekulanten“ gelten dagegen diejenigen, die unverdrossen versuchen, hier gegen viele Hindernisse etwas als Bauträger zu initiieren. Dabei sind es eher dubiose Aufkäufer, wie jeder Bewohner eines Mehrparteienhauses im Mischbesitz in der Freiburger Wiehre derzeit erleben kann.
Die Realität sieht hier so aus: Die Wohnung der Nachbarin hat quasi über Nacht den Besitzer gewechselt. Neuer Vermieter ist ein Unternehmensberater aus der Schweiz, er ist nicht in der Lage, einen Mietvertrag mit der korrekten Zimmerzahl aufzusetzen, aber kassieren will er im Freiburger Boom. Bei anderen Nachbarn machen an Wochenenden Porschefahrer vom Bodensee ihre Aufwartung, auch sie sehen hier noch Kaufgelüste und Rendite-Fantasien. An manchen Morgen verlässt man das Haus und sieht Maklerinnen im Vorgarten, die noch schnell einen probiotischen Joghurt für einen hoffentlich ertragreichen Tag stürzen. Ihre Kundschaft sind mehr oder weniger skrupellose Anleger, die langsam den Besitz anständiger Alt-Vermieter an sich reißen.
Das alles dürfte den meisten Bürgervereinen in ihrem Paralleluniversum komplett entgehen. In der Vertretung des genannten Stadtteils wird gegen jegliche Bebauung gewettert und ein Märtyrer-Status um die selbsternannte Kennerschaft errichtet, dem ganzen Bürgerdialogzirkus zum Trotz: „In der konkreten Arbeit werden wir missachtet, nicht informiert, und wenn wir, der Souverän, uns dennoch melden, werden wir ignoriert, hingehalten und abgebügelt“ jammert einer, der am Fuß einer gepflegten Hanglage alles hat, nur keinen Überblick darauf, was gerade wirklich in dieser Stadt geschieht.
In völliger Verdrehung der Tatsachen wird anderen „privater und städtischer Egoismus“ sowie „bauliche Rücksichtslosigkeit“ vorgeworfen. Es wird mit Blicks aufs Bauen über eine für „Freiburg unwürdige Situation“ gesprochen. Es hat etwas wahn- und diktatorenhaftes, wie eine örtliche Elite mit viel freier Zeit die weit unwürdigere Situation jahrelang Wohnungssuchender mit schnatterndem Zynismus der Lächerlichkeit preis gibt.
Die Forderung nach einer Durchmischung oder Verjüngung wird man in den Wutblättern des zum Altenheim gewordenen Stadtteils nicht finden. Auch keinen konstruktiven Vorschlag, welche Chance Neubauten bieten könnten.
Es trifft die Stadt bisweilen hart, dass sich die Verhinderer gegen alles vereinen, was sie plant, außer gegen die Wohnungsnot. Ganz unschuldig ist sie selbst daran nicht. In der Zeit, bevor Baubürgermeister Martin Haag hier seinen Dienst antrat und namhafte Architekten nach Freiburg zog, hat sie mittelgroße Bausünden angerichtet, die vor allem zentrale Stadtansichten verunzieren:
Sei es der „Komturm“ am Übergang von Zähringen zu Herdern, eine Betonburg, die wie das Ergebnis eines wüsten Architekten-Besäufnisses ausschaut. Seien es Eckhäuser wie an der Innenstadt-Seite der Kronenbrücke, wo einem tristen Gebäude eine Art Dornenkrone verpasst wurde und der einzig mögliche Nutzer, ein Matratzenlager, jetzt von einem Nagelstudio abgelöst wurde. Sei es das ökologisch blitzblanke, aber wenig ansehnliche „Sonnenschiff“ mit einem Hochhausportal am Vauban gegenüber, für das sich Magdeburg vermutlich schämen würde. Nicht zu vergessen die Reihe von Bürowürfeln, die über der Heinrich-von-Stephan-Straße als wundersame Vorstellung einer Business-Meile abgeworfen wurden.
Diejenigen, die das verbrochen haben, sind nicht mehr im Amt. Es ist aber gut zu wissen, dass sie einer tatsächlich ansehnlichen Veränderung, dem Quartier Unterlinden, damals die Zustimmung verweigern wollten. Und dass sie zwischenzeitlich in einer Fünferbande aus ähnlich tickenden Pensionären an die Öffentlichkeit gegangen sind und demonstrieren wollten, wie Bauen geht. Bei ihnen halt Nicht-Bauen.
Dennoch steht die Stadt zu Unrecht am Pranger: Sie hat der Wohnungsnot in den 90er Jahren mit einem sehr homogenen (Vauban) und einem recht heterogenen Quartier (Rieselfeld) Paroli geboten. Konsequent mit belastungsfähiger ÖPNV-Anbindung, um noch mehr Abgase in der von Pendler-Rekordzahlen heimgesuchten City zu verhindern.
Mit einer noch gewissenhafteren Planung wird derzeit gerade der neue Stadtteil Dietenbach schraffiert, der mehr als 10.000 Menschen eine Bleibe bieten soll. Das Baudezernat hat mit überschaubarem Personal vergangenes Jahr errechnet, welche rechnerischen Bedürfnisse sich für dieses Quartier an Kitas, Schulen und öffentlichen Einrichtungen ergeben würden und hat einen Pakt mit der Sparkasse geschlossen, um den Wiesen-Besitzern dort vernünftige Preise bieten zu können.
Die Proteste gegen den Bau von Wohnungen hat sie damit nicht verhindert. Einmal mehr wird in der Stadt gestritten, als solle im Freiburger Westen ein Atom-Endlager oder eine Landminen-Fabrik angesiedelt werden. Zu Lasten einer von kaum jemand genutzten Wiesen-Brache, die aber zum Breisgauer Central Park („grüne Lunge“) verklärt wird. Dabei geht es um Wohnungen.
Jene Familien, die solche suchen und sich noch nicht zum flächen- und klimafressenden Wegzug ins Umland entschieden haben, werden vermutlich nicht zu den Begleitforen und Dialogveranstaltungen gehen wollen. Auch für die öffentlichen Sitzungen des Gestaltungsbeirats dürfte ihnen die Zeit fehlen. Das Gremium, das bereits die eine oder andere Architektur-Scheußlichkeit abmildern konnte, ist trotz auswärtiger Besetzung so etwas wie die institutionalisierte „Badische Lösung“. Hier und da wird ein Stockwerk gestrichen und Fassadendetails getunt und am Ende ist keiner zufrieden, aber man kommt mit einem Kompromiss aus dem Stuhlkreis.
Dabei könnte so ein Gestaltungsbeirat ja ebenfalls dazu beitragen, dass wirklich einmal höhere Ziele eines ambitionierten Bauens verwirklicht werden. Auch mit höheren Geschoss-Zahlen. Was Gerhard Matzig, Architektur-Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ aktuell mit immer größerer Beharrlichkeit für München fordert, nämlich eine zielsichere Stadtplanung, die nachhaltig verhindert, dass noch die schäbigsten Betonwürfel „im Sekundentakt verkauft“ werden können, trifft auch für Freiburg zu. Auch hier haben etliche in der südbadischen Variante des mia-san-mia aus Sonnenstunden, Solardach und Schwarmstadt noch nicht gehört, dass es größere gesellschaftliche Anstrengungen braucht als die des „Bürgervereins Mittel- und Unterwiehre“.
Um zum Anfang zurückzukommen: Der Blick über den Tellerrand, etwas Workshop- und Startup-Charakter täte der Stadt gerade gut. Vielleicht nicht nur schraffierte Pläne vorstellen, sondern auch wieder einmal zum Wurf nach einem Leuchtturm-Projekt ausholen, man denke an den spektakulären Wiener Hochhaus-Turm, der fast komplett aus Holz entsteht. Auch eine Debatte mit Kreativen fern von spröden Bauleitplanungen (die es selbstverständlich weiter braucht), könnte begeisternd wirken. Und die Stadt Freiburg ist ja nicht die einzige, die mit dem Drang zur City zu kämpfen hat: auch die Lösungen von Metropolen wie Stockholm (baut in die Höhe), Hamburg (baut ein Quartier für 15.000 Menschen), Zürich (konvertiert Industriebauten in Genossenschaftsverwaltung) und Wien (setzt auf Durchmischung und Baugruppen) würde man gern einmal präsentiert sehen.
Wenn Freiburg sich allerdings weiter im Selbstverständnis als unveränderbare Diva betrachtet, werden die sozialen Probleme verschärft. Und die Stadt bleibt in der Hand von Spekulanten und Querulanten.