Zu erwartende Defizite der Freiburger Verkehrs AG von rund 100 Millionen Euro greifen auch die Bonität der Stadtwerke an – Finanzierung der Linie zum Stadtteil Dietenbach ist fraglich.
Gleich vorweg: Diese Geschichte taugt nicht zum Skandal. Sie rührt eher an ein Grundsatzproblem, das der öffentliche Nahverkehr vielerorts mit sich bringt – in der „Green City“, „Schwarmstadt“ und ÖPNV-Hochburg Freiburg möglicherweise mehr als andernorts.
Von Rudi Raschke
Die Rede ist von einem Defizit der Freiburger Verkehrs AG VAG von insgesamt rund 100 Millionen Euro in diesem und den kommenden vier Jahren. Auswirkungen sind möglicherweise auch drastische Negativbilanzen der Stadtwerke Freiburg, jener Holding, in der der Nahverkehr mit Bädern, städtischem Wohnungsbau und anderen Beteiligungen zusammengefasst ist – auf diese Weise lassen sich Verluste gegen Defizite gegenrechnen und auf der Gewinnseite, beispielsweise der Beteiligung am Stromversorger badenova, steuerlich günstiger gestalten.
Was im Mai bereits Gegenstand am Rande einer Debatte im Freiburger Gemeinderat war, ist zuvor auch im Aufsichtsrat der VAG besprochen worden: Waren im Gemeinderat vereinzelt Rufe zu hören, dass die finanziellen Anteile gegenüber den übrigen 19 Teilnehmern des Regio-Verkehrsverbands RVF möglicherweise neu justiert werden müssen, wurde im Aufsichtsrat der VAG gleich ein Perspektivplan diskutiert. Darin geht es um die Möglichkeiten, wie es nach der Phase massiver Investitionen in neue Linien zu Einsparungen kommen kann, damit die Stadtwerke bilanziell nicht „heruntergezogen“ werden.
Insgesamt hat die Verkehrs AG seit 2002 Investitionen in Höhe von rund 260 Millionen Euro für den Ausbau ihres Angebots ausgegeben, nicht eingerechnet die dadurch erhöhten Personal- und Betriebskosten: Mit der Stadtbahn zur Messe, der Verlängerung der Zähringer Linie vor die Tore Gundelfingens, der Stadtbahn Vauban und jener nach Haslach wurde ein maßgeblicher Teil des Netzes in jüngster Zeit erstellt. Wo das Land den überwiegenden Teil der Linienführung unterstützte, fielen indes auch neue Fahrzeuge und ein deutlich gestiegener Personalbedarf an. Mancher Freiburger Stadtrat deutet im Vier-Augen-Gespräch an, dass diese Rechnung oft übersehen wurde – auch wenn keiner Zweifel daran hat, dass sich beispielsweise ein neuer Stadtteil nicht ohne ÖPNV gestalten ließe und der Transport bestmöglich über die Schiene erfolgt. Die überstrapazierte Vokabel „alternativlos“ macht hier tatsächlich Sinn.
Um welche Zahlen geht es? Für dieses Jahr erwartet die Geschäftsführung der VAG ein Jahresergebnis von minus 22,3 Millionen Euro, 2018 dann minus 22,8 Millionen Euro. Für 2019 ein Minus von 21,3 Millionen Euro, 2020 minus 18,5 Millionen, 2021 dann minus 19,1 Millionen. In den folgenden fünf Jahren bis 2026 soll es „nur noch“ zwischen minus 14 jährlich und minus 17 Millionen Euro jährlich liegen. Für die VAG wäre dies eine „Konsolidierung“ nach Abschluss der Stadtbahn-Ausbauten.
Im Geschäftsjahr 2015 lag das Defizit der Stadtwerke Freiburg bei minus 8,1 Millionen Euro. Schon in der damaligen Mitteilung wurde transparent informiert, dass die „Stadtwerke auch in den Folgejahren mit Jahresfehlbeträgen abschließen“ werden, als Grund wurden unter anderem die VAG-Ausbauten bis 2020 genannt.
Die Wirtschaftsplanung der Stadtwerke für 2017 bis 2021 und die Prognose für die Jahre 2026 bewegt sich entlang der Zahlen des nicht allzu rosaroten VAG-Szenarios: Zwischen 2017 und 2021 ein Minus zwischen 6,2 Millionen und 10,3 Millionen Euro, danach ab 2022 ein Minus zwischen 1,2 Millionen und 3,4 Millionen Euro. In dieser Zeit, so der Perspektivplan, sinke die Eigenkapitalquote der Stadtwerke von 48 Prozent auf 33 Prozent – mit Auswirkungen auf Bonität und damit die Finanzierungsbedingungen der Stadtwerke.
Mit steigendem Minus der Stammkapitalquote von 99 auf 63 Prozent in den kommenden Jahren ginge ein Schuldenstand von 51,5 Millionen Euro (Stadtwerke) und 120,2 Millionen Euro (VAG) einher.
Für das Szenario an Einsparpotenzialen müsse geklärt werden, wie die Investition für die Stadtbahn in das geplante neue Quartier Dietenbach über den städtischen Haushalt erfolgen könne, im Übrigen auch, wie die Personal- und Betriebskosten zu stemmen sind, sagt der Perspektivplan der VAG-Vorstände, der netzwerk südbaden vorliegt.
Bei einer im Papier vorgeschlagenen Erlössteigerung der ÖPNV-Erlöse um 4 Millionen Euro pro Jahr – ein gegenwärtig schwer realisierbares Unterfangen angesichts der schon starken Auslastung – ist zugleich die Forderung nach einer Neuaufteilung der Einnahmen in den regionalen Gremien angedeutet.
Neben den im Papier offen angedeuteten Risiken für die Stadtwerke und der Darstellung der Defizit-Spirale ist dies vielleicht der für die Bürger interessanteste Punkt rund um den Perspektivplan. Betroffen sein könnte auch das Prestigeobjekt Regio-Karte, vielleicht stellt auch eine erstmalige Zonen-Einteilung des Liniennetzes bei den Ticket-Abos eine Lösung dar.
Und auch wenn gerade in Freiburg die Fahrpreis-Diskussionen stets besondere Brisanz haben: Möglicherweise ist das 1984 mit viel Aufsehen gestartete Vorbild-Projekt einer Karte für eine recht große Region reif für eine Überarbeitung. Aktuell profitiert neben der Umwelt in erster Linie der Umland-Nutzer, nicht der in der Stadt. Das Paradoxon: Die Monatskarte ist theoretisch für eine tägliche Pendler-Fahrt vom Schluchsee nach Heitersheim gleich günstig wie für die tägliche Reise von Haslach in die Innenstadt. Allerdings ist die letztgenannte Strecke in der Linien-Investition deutlich teurer als eine bereits bestehende Zuglinie.
Das Thema soll noch vor der Sommerpause Ende Juli im Gemeinderat diskutiert werden, allerdings war auch zu hören, dass es erst im Herbst auf die Tagesordnung kommt. Der zuständige Erste Bürgermeister Otto Neideck wollte aus diesem Grund keine Fragen zum Thema beantworten, die Fragen an die Verkehrs AG blieben bis Redaktionsschluss ebenfalls unbeantwortet.