Der Wettbewerb um Übernachtungsgäste in Freiburg erhält aller Voraussicht nach ein neues Konzept. Ziel ist die Verbesserung der bestehenden Ressourcen.
Von Rudi Raschke
Einhundertundvierzehn Seiten Studie, 82 Infrastruktur-Maßnahmen, 20 davon Schlüsselmaßnahmen, 87.000 Euro Kosten – das sind die wichtigsten Zahlen rund um ein neues Tourismus-Konzept für die Stadt Freiburg. Die Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe FWTM durfte es jetzt von der Strategieberatung „Project M“ in Empfang nehmen, die Zustimmung des Gemeinderats steht nach einem eigenwilligen Konflikt zwischen Rathaus und Tourismus-Werbern noch aus.
Gemeinsam erarbeitet wurde das Konzept mit 14 Vertretern aus Hotellerie, Gastronomie, Gästeführungen und Kultur, dazu vier Gemeinderäte. In einem Beirat, der fortan regelmäßig zusammen kommen wird. Otto Neideck gab als Erster Bürgermeister für die Stadt Freiburg das Statement, dass das Konzept auch vor dem Hintergrund einer bereits um 30 Prozent gestiegenen Bettenzahl und einem grundlegenden Wandel im Tourismus beauftragt wurde.
Dabei spielen digitale Buchungsmöglichkeiten ebenso eine Rolle wie die gewachsene Bedeutung der Städtereisen, die Freiburg konstant in die Karten spielt: In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Übernachtungszahlen auf aktuell jährlich 1,4 Millionen mehr als verdoppelt.
Neideck legt Wert darauf, dass es zwar ungewöhnlich sei, wenn die Betroffenen, also die Hoteliers, an so einem Konzept mitschrieben, aber es sei hier klar um die gemeinsame Umsetzung gegangen. Die Finanzen für das Konzept hängen noch von der seit zweieinhalb Jahren erhobenen Bettensteuer ab, die bis zum Abschluss einer laufenden Klage „eingefroren“ ist.
Das beauftragte Büro „Project M“, eine Strategieberatung mit Sitz in Berlin, Hamburg, München und Trier legte zentrale Ziele und ein Leitbild für die Stadt fest, das keine 180-Grad-Wende bei Zielgruppen und Inhalt fordert. Es ging eher um eine Schärfung des bestehenden Profils (Nachhaltigkeit, Gesundheit, Genuss, Kultur, Tagungen und ein dazu passendes „Stadterlebnis“). Wichtige Zielgruppen der Zukunft sind gesunde Nachhaltigkeitsfans (im Kürzel „Lohas“ für „Lifestyle of Heath and Sustainability“) und Best-Ager, also unternehmenslustige Kinder-ausm-Haus-Touristen.
Die Studie schlägt sogenannte „Erlebniswelten“ und „Genuss-Triaden“ vor (gemeint sind Dreiklänge, nicht die gleichnamigen asiatischen Banden). Sie fand aber auch deutliche Worte für manche Mängel, beispielsweise in der zentralen Freiburger Altstadt-Gastronomie.
Bernd Dallmann, Chef der FWTM, erklärt, dass die Studie angesichts des letzten Leitbilds von 2011 und angesichts weiter steigender Übernachtungszahlen zum richtigen Zeitpunkt eintreffe. Die aktuell sprunghaft steigende Zahl von Hotelzimmern sieht er als „Entwicklung, die die letzten zehn Jahre nachholt.“ Das jetzt gefundene Konzept solle für „die nächsten fünf bis zehn Jahre“ gelten.
Für die teilnehmenden Beiratsmitglieder vertritt Kirsten Moser, Geschäftsführerin der Hotels „Colombi“ und „Stadt Freiburg“ die Position, dass sie und ihre Kollegen zuletzt ein Marketingkonzept „vermisst“ hätten, eben auch in digitaler Hinsicht. Mit einem qualitätsbezogenen Tourismus sollte künftig auch die Aufenthaltsdauer gesteigert werden. Anders als es die Hotelbedarfsanalyse des Gutachtens von „Project M“ nahelegt, fürchten sie und ihre Kollegen allerdings ein Überangebot an Zimmern. Sinnvoll sei ein Hotelkonzept der Stadt, das ähnlich wie das Märktekonzept für den Einzelhandel die Voraussetzungen für weitere Baugenehmigungen festlege: Der gegenwärtige Zuwachs, so Moser, sei „nicht gesund“.
„Der Wettbewerb wird es richten“ betonten sowohl Otto Neideck als auch Bernd Dallmann mehrfach, es sei eher unwahrscheinlich, dass kommendes Jahr weitere fünf Hotelketten Pläne für die Stadt bekannt geben. Ein entsprechendes Konzept könne es nicht geben. Was etwas erstaunt: Wo das Märktekonzept Nutzer und Gegenstand des Handels für jeden neuen Quadratmeter der Stadt festlegt, lässt sich die Stadt schlicht überraschen, wieviele Hotels noch Bauvorhaben in der „Schwarmstadt“ präsentieren.
Somit dürfte auf die bestehenden Häuser eine Modernisierungswelle zukommen, die ebenfalls nachholt, was mancher in den vergangenen Jahrzehnten versäumt hat, vermutlich ein frischeres Interieur in Zimmern und Lobby. Aber auch kleinere Themen wie frei verfügbares W-Lan hatten die Konzeptgestalter der Stadt ins Aufgabenheft geschrieben.
Dass die Wege ins Digitale auch vor den eigenen Medien des Freiburg-Tourismus nicht halt machen, deutete Franziska Pankow, Abteilungsleiterin Tourismus, Kongresse und Messen, an: Traditionelle Medien würden hinterfragt, die Basis-Information der Städtereisenden finde längst nicht mehr im „Baedecker“-Reiseführer oder per historischem Freiburg-Guide statt, sondern im Netz oder mittels anderer Lektüre. Beruhigend für die beliebte Stadt Freiburg: „Die Themen sind vorhanden, wir müssen damit nur die passenden Geschichten erzählen“, so Franziska Pankow.
Bis es soweit ist, muss noch der Gemeinderat seinen Segen geben. Der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon, sah den Rat der Stadt genau wie die Rathausspitze quasi übergangen. Er habe das Konzept zu spät erhalten. Was eigenwillig anmutet, zumal er Aufsichtsratsvorsitzender der FWTM ist und zur Präsentation des Konzepts seinen Stellvertreter, den Ersten Bürgermeister Otto Neideck, entsandte.
Gerüchten zufolge wollen sich auch Kulturschaffende nicht mehr ganz einverstanden zeigen mit der Neuausrichtung des Freiburg-Tourismus, obwohl mit Atai Keller einen ihrer ältesten Veteranen im Beirat an der einstimmigen Verabschiedung beteiligt war. Und auch das Kulturdezernat meldet wohl an, nicht alles mitbekommen zu haben. Dabei saß mit seinem Kulturamtsleiter Achim Könneke der große Unsichtbare der hiesigen Szene ebenfalls am Tisch. Zur Lokalposse taugt das alles nicht, aber es schaut so aus, als würde hier etwas dringend Anstehendes nun ein wenig auf die lange Bank geschoben werden. Warum die FWTM nicht allein über Konzepte für ihre Freiburg-Werbung entscheiden darf, mutet ohnehin rätselhaft an.