„Ich musste lernen, nicht so naiv zu sein“. Ex-Verbandschef Fritz Keller nimmt im Gespräch mit netzwerk südbaden kein Blatt vor den Mund.
INTERVIEW: JULIA DONÁTH-KNEER
Zum Interview empfängt Fritz Keller gut gelaunt in seinem Büro, das sich in den oberen Etagen des Hotel-Restaurants „Schwarzer Adler“ in Oberbergen befindet. Seit 2016 leitet sein Sohn Friedrich das Weingut Franz Keller. Über seine drei Söhne sagt der 66-Jährige: „In einem Familienbetrieb muss jede Generation ihre Weichen stellen. Bei mir war es nicht so einfach. Mein Bruder (Spitzenkoch Franz Keller, Anm. der Red.) hat den Betrieb verlassen, weil er in der Zusammenarbeit mit meinem Vater keine Luft mehr bekommen hat. Das hat mich gelehrt, meine Kinder freier atmen zu lassen.“
Im Gespräch mit Keller, dem Ex-SC-Freiburg- und Ex-DFB-Präsidenten, merkt man schnell: Hier spricht einer, der wirklich Ahnung hat – von Wein, von Fußball und vor allem von den Dingen, die hinter den Kulissen des Profisportgeschäfts passieren.
Herr Keller, als Sie in den Jahren 2019 bis 2021 DFB-Präsident waren, mussten Sie das Weingut verlassen. Nach Ihrem Rücktritt in Frankfurt kamen Sie zurück. War es schwierig für Ihren Sohn Friedrich, dass der Papa plötzlich wieder im Betrieb ist?
Das kann gut sein. Ich habe allerdings damals die Aufgabe beim DFB nur deshalb angenommen, weil ich den Betrieb hier in guten Händen wusste. Außerdem wollte ich meinem Sohn die Freiheit geben, die ich selbst nie bekommen habe. Heute muss ich sagen: Die nächste Generation macht das richtig gut – zu meiner großen Freude. Es hat alles sehr gut geklappt, auch als ich nicht mehr täglich da war. Dies hat mich im Nachhinein in meiner Entscheidung sehr bestärkt.
Könnten Sie sich eine Karriere als Politiker vorstellen?
Ich finde, es muss den Menschen gut gehen, damit Ökologie und Ökonomie gemeinsam funktionieren können. Lobbyarbeit dafür leiste ich sehr gerne und sehe mich in der Verantwortung in meiner Berufssparte. Aber das ist Politik genug. Ich habe schon genügend unpopuläre Entscheidungen im Sport getroffen.
Zum Beispiel mit dem Europa-Park-Stadion, das unter ihrer Präsidentschaft geplant wurde. Damals warf man Ihnen vor, Sie hätten zu groß gedacht, heute sehen das viele anders …
Wenn wir das damals nicht gemacht hätten gegen alle Widerstände, dann wären wir mit dem SC Freiburg heute nicht da, wo wir sind. Du musst wie in einem Unternehmen handeln – auch in einem Profisportverein – emotionale, zeitgeistige Widerstände überstehen, selbst wenn es wehtut. Mit Populismus kannst du nicht punkten. Das Stadion ist in seiner Größe wunderbar, ich finde die Stimmung großartig. Es ist ein modernes Stadion, das mit großen ökologischen Ansätzen realisiert wurde. Es gilt mittlerweile als Pionierarbeit für Bereiche, die heute eine Selbstverständlichkeit sind. Dadurch fühle ich mich bestätigt: Es geht nicht nur darum, im Moment zu leben. Als Unternehmer muss man an Visionen glauben, Ideen haben und dafür eintreten, auch wenn es mal Gegenwind gibt. Sicher bergen Entscheidungen mitunter auch Risken. Aber das größte Risiko ist, dass man nur im Zeitgeist denkt und stehen bleibt.
“Beim DFB ist kaum jemand dabei, der schon mal einen Verein geleitet hat. Über Positionen entscheidet nicht die Qualifikation, sondern die eigene Biografie. Derjenige bekommt die Stelle, dem man noch einen Gefallen schuldet und nicht derjenige, der sich am besten dafür eignet.”
Haben Fußball und Weinmachen Gemeinsamkeiten?
Mehr als Sie denken! Beim Fußball ist es wie beim Wein: Ich muss das Potenzial erspüren. Liebhaber erkennen nur den Wein im Glas oder den Fußballer, wenn er ein Tor schießt. Ein guter Winzer erkennt bereits, wie gut ein Tropfen wird, wenn die Trauben noch im Weinberg hängen. Wer im Fußball erfolgreich sein will, muss nicht nur die Spieler von heute sehen, sondern sollte vor allem die Talente von morgen im Blick haben. Dafür brauchst du im Verein die richtigen Menschen an den richtigen Stellen. Das geht im sportlichen Bereich los und schließt alle anderen Bereiche mit ein – insbesondere diejenigen, die sich mit betriebswirtschaftlichen Themen beschäftigen.
Sind Sie dem Sport-Club nach wie vor eng verbunden?
Der SC Freiburg ist der Verein meines Herzens. Ich freue mich für die jetzt Verantwortlichen, die den Sport-Club mit großem Sachverstand und ganz viel Herz führen. Das Wichtigste ist, dass man da Leute sieht, die nicht nur für ihren Vertrag leben oder bis zur nächsten Wahl, sondern die wirklich im Tagesgeschäft aktiv sind. Das ist in vielen anderen Vereinen nicht der Fall.
Das war eines Ihrer Probleme beim DFB, das Sie auch deutlich beim Namen nennen.
Ja, es gibt einfach viel zu viele Leute, die nicht aus dem Metier kommen. Beim DFB ist kaum jemand dabei, der schon mal einen Verein geleitet hat. Über Positionen entscheidet nicht die Qualifikation, sondern die eigene Biografie. Derjenige bekommt die Stelle, dem man noch einen Gefallen schuldet und nicht derjenige, der sich am besten dafür eignet. Eine Ausnahme, die ich erfreulich und notwendig finde, ist Stephan Grunwald. Zum ersten Mal gibt es einen kundigen Schatzmeister als hauptamtlichen Finanzdirektor. Das übrige Gebilde, so meine Sicht auf den DFB, ist nicht mehr zeitgemäß. Einen Verband, der schon zu meiner Zeit 500 Millionen Euro Umsatz gemacht hat, muss man nachhaltig führen. Es geht da nicht um Funktionärswesen. Noch ein Gremium hier, noch ein Gremium dort. Das führt nicht zu Geschwindigkeit, sondern verlangsamt alles.
“Zum Schluss, als ich merkte, dass massiv gegen Mitarbeiter vorgegangen wurde, unter anderem mit Methoden, die nicht sauber waren, da ging es mir nicht gut.”
Nun waren Sie ja ein paar Jahre beim DFB. Als Sie gemerkt haben, dass viel falsch läuft und Sie an immer mehr Grenzen gestoßen sind, wie ging es Ihnen da?
Mir geht es immer gut, wenn ich abends in den Spiegel schauen kann und weiß, dass ich alles gemacht habe, um das, wovon ich überzeugt bin, weiterzugeben. Ich wollte ein paar Sachen ändern, ich habe auch versucht, eine neue Kultur reinzubekommen. Dabei habe ich vielleicht ein paar Dinge naiv übersehen. Zum Schluss, als ich merkte, dass massiv gegen Mitarbeiter vorgegangen wurde, unter anderem mit Methoden, die nicht sauber waren, da ging es mir nicht gut. Das konnte ich vor mir selbst, vor meinen Mitarbeitenden, vor meiner Familie nicht mehr rechtfertigen. Es gibt genügend Dinge im Leben, mit denen du dir kurzen Applaus abholen kannst. Aber darum geht es nicht, auch nicht im Fußball. Es geht um den Applaus, der lange nachhallt, der diejenigen auf dem Platz berührt und all die Hunderttausenden, die für den Fußball brennen.
Was nehmen Sie persönlich als Erkenntnis aus der ganzen Sache mit?
Ich lasse es mir nicht nehmen, das Positive im Menschen zu sehen. Meine Perspektive hat sich nicht total verschoben, aber ich bin etwas vorsichtiger geworden und hinterfrage mehr. Ich glaube nicht mehr alles. Ich habe beim DFB auch großartige Menschen gesehen, die sich nicht kleinkriegen lassen, die dem ganzen Druck und der Erpressung standgehalten haben: Da zeigt sich wahrer Charakter. Was ich sonst gelernt habe? Nicht mehr so naiv zu sein.
Bereuen Sie es, diesen Schritt gegangen zu sein?
Nein! Ich habe emotionale Fehler gemacht, die vor allem mit meiner Selbstbeherrschung zu tun haben. Aber ich bereue nichts, weil ich dennoch etwas hinterlassen konnte. Einige der Protagonisten, die in der Vergangenheit viel unter den Teppich kehren wollten, sind nicht mehr da. Zum Teil haben sie sich selbst rausgekegelt. Das könnte man auch als Chance begreifen.
Um beim DFB unter den Teppich zu schauen?
Ja, um ihn anzuheben und mal ordentlich durchzusaugen.