Ein hochmodernes Unternehmen, das bis zu 800 Büromöbel pro Tag fertigt, ein traditionsreiches Familienunternehmen, ein Name für Designliebhaber – das alles verkörpert Girsberger, ein Schweizer Produzent mit deutschem Standort in Endingen.
Von Rudi Raschke
„Eine Idee muss vom Kopf durchs Herz über die Hand ins Werk“, dieses Leitmotiv der Familie Girsberger wird noch heute jeden Tag gelebt – auch am Kaiserstuhl. Darin ist auch 128 Jahre nach der Gründung alles enthalten, was das Haus auszeichnet: Von der Idee über die Gestaltung zur qualitativ hochwertigen Fertigung unter Berücksichtigung einer besonderen Ästhetik, Funktionalität und Qualität.
Girsberger hat auf diesem Wege Klassiker geschaffen wie das „Modell 1600“, einen Ledersessel, der auch im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe steht und 1963 mit den Ausschlag für den Produktionsstandort Endingen gab. Heute arbeiten hier 136 Mitarbeiter.
Geschäftsführer Henning Schweizer, vor neun Jahren zum Unternehmen gekommen, freut sich ob der starken Nachfrage nach Sitzmöglichkeiten rund ums Büro – auch wenn das Unternehmen sich längst gegen Marktteilnehmer aus der ganzen Welt behaupten muss.
Zwei Drittel des Umsatz es werden mit der Büroausstattung durch Drehstühle und andere Sitzlösungen erwirtschaftet, nahezu ausschließlich über den qualifizierten Fachhandel. Mit der Produktpalette an Sitzmöbeln ist Girsberger im Vergleich zu anderen Herstellern spitz positioniert, dafür aber sehr kompetent. Zum Design kommt eine Vielzahl an Patenten, das bereits 1910 angemeldete für eine stufenlose Höhenverstellung war eine der Initialzündungen für das Schweizer Stammhaus, schon zwei Jahre später folgten die ersten Drehstühle.
Die Kunden sind aktuell mehrheitlich Mittelständler, überwiegend im europäischen Raum. Themen für sie seien nicht nur Innovation und Qualität, sagt Schweizer, sondern auch die Möglichkeit, ein extrem langlebiges Produkt bis zu mehreren Jahrzehnten lang mit Ersatzteilen versorgen oder darüber hinaus auch mit neuen Bezügen ausstatten zu lassen.
Die neue Bürowelt gehe allerdings auch an Girsberger nicht spurlos vorbei: Angesichts kleiner werdender individueller Nutzungsflächen in Büros schafft der Produzent es, auch im vielzitierten Business der „shared economy“ platziert zu sein: Mit der Ausstattung repräsentativer Gemeinschafts- und Kommunikationsräume, aber auch mit Projekten zum temporären Arbeiten wie jüngst in London, wo sich ein Inhaber großer Miet-Büroflächen für Sitzmöglichkeiten von Girsberger entschieden haben. Ein wesentliches Kriterium hier ist die Automatik, wenn Stühle sich auf mehrere „Besitzer“ individuell einstellen lassen müssen.
Die Vertreter der Start-up-Kultur mögen sich zwar zum Auftakt bei einem schwedischen Hersteller mit Selbstbau-Mobiliar eindecken, erkennen aber angesichts massiver Arbeitspensen rasch die Notwendigkeit von Sitzkomfort und gesundheitlichen Aspekten, wie sie Girsberger biete, sagt Schweizer.
Es scheint schwierig, noch nie auf einem Möbelstück des Hauses Platz genommen zu haben, wenn man die vielen öffentlichen Orte bedenkt, die Girsberger bereits ausgestattet hat. Der Airport in Zürich gehört genauso dazu wie ein Starbucks-Bistroabteil der Schweizer Bundesbahn oder das Theater Basel und die historische Konzerthalle in Bad Salzuflen.
Die Firma ist auch darauf spezialisiert, massgefertigte und projektspezifische Ausstattungen zu übernehmen, aber auch Mobiliar ganzer Tagungszentren und Veranstaltungssäle stilsicher zu restaurieren – immer dann, wenn es noch nicht zur Gänze ersetzt werden muss und der Charakter des Raums erhalten bleiben soll. Dies geschieht im Rahmen der „Remanufacturing“ genannten Sparte.
Neben besonderen Firmenzweigen wie „Dining“ (Massivholztische und Esszimmerstühle) und einem Holzhandel für seltene und hochwertigste Sorten in besonderen Längen und Zuschnitten stellt vor allem das „Customized Furniture“ einen wichtigen Markt für Girsberger dar – den am schnellsten wachsenden: Dieser Geschäftszweig ermöglicht beispielsweise Architekten, ihr bauliches Werk mit eigens gestalteten Konzepten einzurichten. Beispiele sind eine Kirche mit geschwungenen Sitzbänken in der Schweiz, aber auch retrofuturistische Gastronomie-Räume des Star-Baumeisters Daniel Libeskind in einem Berner Einkaufszentrum.
Gerade für Schweizer Auftraggeber ist die Fertigung in Grenznähe auf deutscher Seite ein wichtiges Plus, das für den Standort Endingen spricht. Hier arbeiten auch Fachkräfte aus dem Elsass, die bei Girsberger ausgebildet wurden. Neben der Nachhaltigkeit, wie der Arbeit mit Material aus ökologisch und ethisch einwandfreier Herkunft, steht das Soziale im Vordergrund. Die Verweildauer im Unternehmen liegt deutlich über dem Durchschnitt.
Über allem steht aber die Wertschöpfung durch eine hohe eigene Fertigungstiefe und weitgehend eigenes Design: eine industrielle Fertigung im Geiste einer Manufaktur.
Der Weg über Kopf und Herz zur Hand bleibt ungebrochen.