Gleiche Arbeit, niedrigeres Gehalt. Die Stadt Müllheim zahlte ihrer ehemaligen Bürgermeisterin weniger als ihrem Vorgänger und Nachfolger – beides Männer. Wegen dieser Differenz geht Astrid Siemes-Knoblich nun vor Gericht.
VON DANIEL RUDA
Das hatte etwas Befreiendes“, sagt Astrid Siemes-Knoblich, als sie von dem Moment erzählt, in dem sie im Online-Karrierenetzwerk LinkedIn auf „Veröffentlichen“ geklickt hat. „Wenn Beamte etwas gleicher sind als Beamtinnen“ überschrieb die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Müllheim den Text, den sie ins Netz schickte. Er traf mitten in den Diskurs um die Lohnunterschiede zwischen Frau und Mann.
Am 10. März war das – dem sogenannten „Equal Pay Day”. Siemes-Knoblich beschreibt, wie sie 2011, noch vor dem offiziellen Beginn ihrer Amtszeit in eine niedrigere Besoldungsgruppe eingestuft wurde als ihr männlicher Vorgänger, und wie auch ihrem Nachfolger im Amt später ohne Diskussion die höhere von zwei möglichen Gehaltsstufen zugesprochen wurde. „Damit war für mich das Fass übergelaufen.“
Die ehemalige Bürgermeisterin sieht darin „eine Ungerechtigkeit, die einem Muster folgt“. Für die Entschlüsselung muss man nicht studiert haben, das sah auch die Antidiskriminierungsstelle in Berlin so, der Siemes-Knoblich den Fall schilderte. Ihre Konsequenz: Sie nahm sich einen Anwalt und verklagte die Stadt Müllheim auf Schadensersatz auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – dem sogenannten Antidiskriminierungsgesetz.
„Ich möchte einfach gleiches Geld für gleiche Arbeit haben“, sagt die 58-Jährige in einem Videocall, von denen sie in den Tagen danach einige zum Thema führte. Bundesweit griffen Medien die Geschichte der Ex-Bürgermeisterin auf, die ihre Stadt verklagt. „Das Gehalt eines Bürgermeisters oder einer Bürgermeisterin wird laut Gesetz nicht an der Person bemessen, sondern an den Anforderungen des Amtes, und die waren die gleichen“, beschreibt Astrid Siemes-Knoblich ihren zentralen Standpunkt zu einer Stadt, die einer Frau an der Rathausspitze weniger Gehalt als einem Mann bezahlt.
Der Gemeinderat entscheidet über das Gehalt
Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, in dem der Gemeinderat entscheidet, in welche Besoldungsgruppe die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister in der ersten Amtszeit kommt. „Da stellt sich die Frage, ob das Besoldungsgesetz hier so in Ordnung ist, wenn der Gemeinderat die Entscheidung trifft und dann wie bei mir möglicherweise sachfremde Argumente in seine Entscheidungsfindung mit einbezieht“. Es habe sie schon damals verwundert und enttäuscht, dass ihr weniger Gehalt als ihrem Vorgänger zugesprochen wurde. „Weil ohnehin Spannung in der Stadt herrschte, wollte ich mit dem Thema nicht gleich für Unruhe sorgen, und habe es auf mir sitzen lassen“, sagt sie.
Für eine 20.000-Einwohnerstadt wie Müllheim gibt es zwei Gehaltsstufen für Rathauschefs, die sich etwa um 600 Euro brutto pro Monat unterscheiden. Siemes-Knoblich verlangt in ihrer Klage etwas mehr als 60.000 Euro, die ihr ungerechtfertigter Weise vorenthalten worden seien.
Seit ihrem Ausscheiden aus dem Bürgermeisterinnenamt vor rund anderthalb Jahren – sie hatte für keine zweite Amtszeit mehr kandidiert – arbeitet Siemes- Knoblich wieder als selbständige Unternehmerin und ist Kommunikations- und Konfliktberaterin. Auf das Thema Frauenrechte und Gendergerechtigkeit hat sie sich dabei besonders spezialisiert. Sie spricht also ohnehin viel über die Problematik der Schieflage an sich: dass Frauen weniger verdienen als Männer.
„Ich möchte einfach gleiches Geld für gleiche Arbeit haben“
Astrid siemes-knoblich
Ein paar Tage vor dem “Equal Pay Day” (der jeweils auf jenen Tag des Jahres fällt, bis zu dem Frauen laut Statistik unbezahlt arbeiten, während Männer schon von Neujahr an entlohnt werden) meldete das Statistische Bundesamt, dass die sogenannte “Gender Pay Gap “in Deutschland bei 18 Prozent liegt. Nimmt man eine vergleichbare Tätigkeit und Qualifikation, sind es sechs Prozent. „Frauen dürfen in der Arbeitswelt nicht mehr benachteiligt werden“, kommentierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Lohnlücke, die nicht nur „ungerecht sondern auch unwürdig“ sei. Es müsse sich was ändern, appellierte er an die Wirtschaft. Ungeachtet der Frage, ob das viel helfen wird, sollten zumindest Gemeinden, Länder und der Bund hier ihre Hausaufgaben erledigen.
Dass sich der Fall in Müllheim dagegen im scheinbar so geregelten öffentlichen Dienst abspielt, wo strukturelle Ungerechtigkeiten zwischen den Paragraphen des Beamtenbesoldungsgesetzes doch eigentlich gar nicht möglich sein sollten, gibt der Sache eine eigene Note. Siemes-Knoblich sagt, sie sei nicht die einzige Bürgermeisterin in Baden-Württemberg, sie wisse von drei noch amtierenden Kolleginnen, die damit nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen.
Dass sie selbst diesen Weg jetzt offensiv gegangen ist und der Prozess vor dem Freiburger Verwaltungsgericht wohl zum juristischen Präzedenzfall wird, „das war ursprünglich auch nicht so geplant“: Weil sie vom Verhalten der Stadt enttäuscht war, nachdem sie das Thema in das Rathaus gebracht hatte, hat sich ihre Sichtweise geändert. In die von Anwälten begleiteten Gespräche, die sich über rund ein Jahr zogen, „gab es vonseiten der Stadt nicht die Erkenntnis, dass das ein Thema mit Brisanz ist“.
Die Klage als letztes Mittel
Als im Februar Müllheims Bürgermeister Martin Löffler bei einem Vergleichsgespräch anbot, dass die Stadt Siemes-Knoblich in ihrer neuen Arbeit als Beraterin im Bezug auf Frauenrechte unterstützen könnte, mehr als zehn Prozent der geforderten Schadenersatzsumme als Vergleichszahlung allerdings nicht drin wären, war das für die ehemalige Rathauschefin „wie der nächste Schlag ins Gesicht“, formuliert sie es drastisch und erinnert an die Halbzeit ihrer Amtszeit.
Damals hatte sich der Gemeinderat in geheimer Abstimmung dagegen entschieden, ihr rückwirkend die höhere Besoldungsgruppe zuzusprechen. Danach hatte sie für sich entschieden, für keine zweite Amtszeit zu kandidieren. Als Frau im Amt sei sie ohnehin immer wieder mit veralteten Rollenbildern konfrontiert gewesen.
In den Prozess vor dem Freiburger Verwaltungsgericht geht Astrid Siemes-Knoblich, die als Nicht-Mitglied noch für die CDU im Kreistag sitzt, mit großem Optimismus. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich den Prozess gewinne“. Trotz allen Ärgers, etwas Positives habe die Geschichte: „Sie regt den Diskurs um das Gender Pay Gap an, und das auch im öffentlichen Dienst.“
Die Stadt Müllheim wollte sich auf Nachfrage nicht zu diesem Thema äußern.
1 Kommentar
Warum hat denn Frau Siemes-Knoblch nicht beim Beginn ihrer Amtszeit auf höheres Geha, Gruppe 4 , bestanden?
Erst nach 8 Jahren fällt ihr das auf?