„Das schöne Leben“ – so heißt ein Pop-up-Hotel in Hornberg. Marcel Hajnal hat das Konzept erdacht, als er quasi über Nacht den Familienbetrieb übernehmen musste und aus einem alten Hotel eine hippe Location machte.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Joshua Rzepka
Was macht man mit einem in die Jahre gekommenen Hotel im Schwarzwald, einem Traditionshaus in Hornberg, weit oben im Kinzigtal? Vor diesem Problem stand Marcel Hajnal vor zwei Jahren. Der 36-Jährige ist hier aufgewachsen. Seine Großeltern eröffneten das Haus Schondelgrund in den 1950er Jahren, seine Eltern bauten es ab den Achtzigerjahren zu einem beliebten Reisehotel mit zeitweise 50 Zimmern und Gaststätte aus.
Marcel Hajnal wollte den elterlichen Betrieb zunächst nicht übernehmen. Er machte zwar eine Lehre zum Hotelfachmann in den Resorthotels des Europa-Parks, studierte anschließend Hotelmanagement in Freiburg und Brighton, aber ging anschließend nach München, wo er über zehn Jahre lang blieb und als Marketingmanager Konzepte für Hotels erarbeitete. Doch dann wurde sein Vater krank, und Marcel Hajnal stand vor der Entscheidung: Entweder gibt er den Familienbetrieb endgültig auf oder er kehrt zurück und übernimmt dieses verschachtelte Hotel seiner Eltern in Hornberg, mit verschiedenen Gasthäusern und gut florierender Gastronomie. Vor allem Reisebusgruppen stiegen hier ab, es gab nicht mal eine Rezeption. Die Busfahrer holten die Zimmerschlüssel, die Gäste kamen nur zum Schlafen und Essen, tagsüber standen all die touristischen Highlights der Gegend auf dem Programm.
„Ich hatte kaum Zeit zum Überlegen. Grundsätzlich hätte ich mir schon vorstellen können, wieder in den Schwarzwald zu ziehen, doch dann musste alles auch noch ziemlich schnell gehen“, erzählt der Hotelier beim Gespräch im Salon Sepp. Der heutige Salon Sepp, benannt nach Hotelgründer Opa Josef, ist ein Teil des ehemaligen Restaurantbereichs, der bei Gästen und Einheimischen immer nur „Der große Saal“ hieß.
Das Pop-up-Konzept
Nicht nur der Name ist neu, es sieht alles anders aus als früher. Denn Marcel Hajnal und seine Partnerin Franka haben das Hotel von Grund auf umgemodelt, allerdings ohne erstmal allzu viel Geld in die Hand zu nehmen. Pop-up-Hotel nennen sie das. Den Begriff kennt man von Boutiquen oder Restaurants – ein zeitlich befristetes Konzept in übergangsweise genutzten Räumen – aber im Hotelbusiness? „Das ist dasselbe“, erklärt Marcel Hajnal. „Wir sagen Pop-up, weil es ein temporäres Konzept ist.“ Ursprünglich wollte Hajnal komplett umbauen, das alte Gebäude teilweise abreißen und neu errichten, einen weiteren Teil erhalten und grundsanieren. Das Haus Schondelgrund ist wie viele alte Hotels natürlich gewachsen. Wurde ein Nachbarhaus frei, haben es die Eltern gekauft und zu einem Gasthaus mit weiteren Zimmern umgebaut. Doch da es keine Bebauungspläne für das Grundstück gibt, hätte Marcel Hajnal von vorne beginnen müssen, mit allen Gutachten und Vorschriften, die dazugehören. „Das kostet mindestens drei bis fünf Jahre reine Vorlaufzeit“, sagt er. Hinzu kommt: Heute steht das Hotel mitten im Wohngebiet, es ist durchaus möglich, dass ein erneuter Bauantrag nicht mehr durchgehen würde.
Was also tun? Der Vater ist so schwer erkrankt, dass eine sofortige Lösung hermusste. „Wir konnten das nicht aus München koordinieren“, sagt Marcel Hajnal. Also zog er 2022 mit seiner damals hochschwangeren Partnerin nach Hornberg und entwickelte die Pop-up-Idee. „Wenig Aufwand, viel Effekt“, nennt er das. Durch seine lange Agenturerfahrung hat der Hotelfachmann sowohl den richtigen kreativen Biss als auch das nötige Know-how, um einen ungewöhnlichen Neustart durchzuziehen. Statt Abriss, Grundsanierung und Neubau strich das Paar mit der Hilfe von Freunden alle Zimmer neu, kaufte Möbel, baute eine Rezeption und teilte das riesige Gasthaus in drei Bereiche: Restaurant (den Salon Sepp) für Frühstück und Abendessen, eine kunterbunt gestaltete Bibliothek mit Wintergarten sowie ein Bistro, das Ernas Deli (nach Oma Erna) heißt, und in dem die Gäste den ganzen Tag über Kleinigkeiten essen und trinken können.
Neues Selbstverständnis
Mit Leuchtbuchstaben steht nun „Das schöne Leben“ am ehemaligen Hotel Schondelgrund. Die Zimmer sind immer noch einfach gestaltet, manche haben, wie es in den Siebzigerjahren üblich war, die Waschbecken noch direkt neben dem Bett, aber das wirkt nicht wie aus der Zeit gefallener Schwarzwaldpragmatismus, sondern eher wie ein hippes Gesamtkonstrukt. Eine Mischung aus Retrochic und Designerstücken – wohl nirgendwo ist Hornberg so sehr Berlin wie hier. Die alten Fliesen sind einfach überpinselt worden, die Zimmertüren mit Pastelltönen überstrichen. Auch sonst ist im Haus nicht mehr viel wie zuvor: Neonaccessoires, exzentrische Kunstwerke, eine absurd große Sammlung von Kuckucksuhren, von denen keine einzige geht, „weil man hier die Zeit vergessen soll“, und ein ganz neues Selbstverständnis hat Marcel Hajnal ins Hotel seiner Eltern gebracht.
Er will seine Gäste auch tagsüber beschäftigen. Dafür hat er unter anderem die zuvor ungenutzte Außenfläche umgestaltet: Es gibt einen Pool für den Sommer, eine Dachterrasse, auf der auch schon die eine oder andere Hochzeit gefeiert wurde, eine Bocciabahn, die im Winter zur Eisstockanlage wird, sowie eine kleine Holzsauna und einen Hot Tub im hinteren Teil des Gartens. Oben an der alten Theke hängt ein Spielautomat, den es schon in den Siebzigern gab, auch der Holztresen ist unverändert. Die Kegelbahn im Keller war vorher schon da und wird nach wie vor rege genutzt – von Hotelgästen und von Vereinen aus der Region. Dieser Ort soll auch für die Einheimischen offen sein, findet Marcel Hajnal.
„Die Leute waren sauer, dass es bei mir kein Paprikaschnitzel und keinen Wurstsalat mehr gibt.“
Marcel Hajnal
Doch das war ein schwieriges Unterfangen. „Von den Stammgästen meiner Eltern habe ich 90 Prozent verloren“, berichtet er. Er sei auf der Terrasse sogar einmal angebrüllt worden, erzählt Marcel Hajnal, der mit Nickelbrille, Kordhose und Wollmütze sehr friedfertig aussieht. Grund für den Streit: die neue Speisekarte. „Die Leute waren sauer, dass es bei mir kein Paprikaschnitzel und keinen Wurstsalat mehr gibt.“ Denn er hat auch dem Restaurant einen neuen Anstrich verpasst, nicht nur optisch. Die Karte wechselt alle drei Monate, jetzt gibt es neben Burger und Saiblingsfilet auch vegane Currys und Hafermilch. „Es war ein Kraftakt, auch mental, das im ersten Jahr durchzubringen“, sagt der Hotelier. Für manche sei das neue Konzept ein riesiger Aufreger gewesen. „Viele Gäste, die früher kamen, kommen heute nicht mehr. Das kann man nicht mal aufs Alter beschränken“, erzählt der Hotelier. Es gebe auch junge Leute, denen das hier alles „zu cool“, „zu trendy“ sei, und die eher Handfestes brauchen. „Aber davon gibt es in Hornberg sonst ja genug“, meint Marcel Hajnal, der sich über neue Zielgruppen freut: „Wir ziehen ein Publikum an, dass das, was es sucht, so nur bei uns findet.“ Vorrangig sind das junge Städter, oft Familien. Einige kämen aus der nahen (Freiburg, Offenburg), andere aus der weiteren (Mannheim, Zürich, Stuttgart) Umgebung, manche nur zum Essen, anderen fürs Wochenende. Auch Yogaretreats finden statt oder ayurvedische Kochabende – „von der Gewürzwelt ist das gar nicht so weit weg vom Paprikaschnitzel“, sagt Hajnal und lacht.
„Gibt noch Bier. Bedient euch einfach!“
Die meisten bleiben nur ein, zwei Nächte. „Daran müssen wir schrauben. Sonst bricht uns das wirtschaftlich das Genick. Die erste Nacht ist für einen Hotelier immer die teuerste. Geld verdienst du mit den Longstays.“ Dafür nötig: den Komfort hochfahren. Denn auch, wenn es jetzt erstmal gut funktioniert, so bleiben soll es nicht. „Wir haben es nicht umsonst Pop-up-Hotel genannt“, sagt Marcel Hajnal. Er ist kein Läuft-doch-ich-lass-das-jetzt-so-Typ. „Ich liebe Veränderungen“, sagt er. „Sonst wird mir langweilig.“ Er träumt von einem schicken Boutiquehotel mit nicht mehr als 30 Zimmern. Es soll familiär und persönlich bleiben.
Das klappt momentan schon recht gut: Bei unserem Besuch Mitte Oktober sitzen zwei Freundinnen im Hot Tub, sie haben eine Flasche Sekt dabei und stoßen auf ihr Wellnesswochenende an. Eine achtköpfige Familie feiert den Geburtstag des Opas. Abends und morgens sitzen Großeltern, Eltern und Enkel gemeinsam beim Essen. Und zwei befreundete Paare haben sich nach dem Abendessen noch in der Bibliothek niedergelassen und Brettspiele aus den Regalen gezogen. Als die Servicekraft das Restaurant schließt, schaut sie auf die Uhr: 23.30 Uhr. Sie macht das Licht im Restaurant aus und ruft ihnen zu: „Im Kühlschrank steht Bier und Wasser, bedient euch einfach. Bis morgen.“ Marcel Hajnal hat wirklich einen Ort geschaffen, den es hier oben im Schwarzwald so wohl kein zweites Mal gibt.