Die Ortenau entwickelt sich immer mehr zum attraktiven Start-up-Standort. Mit einem neuen Areal in Offenburg soll die Szene noch stärker werden.
VON DANIEL RUDA
Sie laufen zur Primetime in den großen Fernsehsendern. Die Werbespots, in denen zum Beispiel eine Schreinerin, ein Bäcker oder ein Kitesurf-Lehrer gezeigt werden, wie sie mit Liebe ihrem Beruf oder besser ihrer Berufung nachgehen, um dann ironisch gebrochen Sätze zu sagen wie „Ich will Menschen für Kassenbuchführung begeistern“, oder dass sie schon als Kind gerne Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht haben.
Die Spots kommen aus dem Hause Sevdesk aus Offenburg und werben für deren smarte Buchhaltungssoftware. Sevdesk, über das netzwerk südbaden bereits in der Ausgabe mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz berichtete, ist ein Ortenauer Start-up, das dermaßen durch die Decke gegangen ist, dass aus dem Zwei-Mann-Betrieb der Gründer Fabian Silberer und Marco Reinbold innerhalb von knapp zehn Jahren ein Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden geworden ist. Im vergangenen Jahr sicherte es sich bei einer Finanzierungsrunde 50 Millionen Euro von einem US-Investor. In den nächsten fünf Jahren will sich die Firma in ihrer Größe verdoppeln. „Wir wachsen gut“, sagt Fabian Silberer im Zoom-Gespräch dazu.
Das Start-up-Märchen namens Sevdesk
Es ist das Start-up-Märchen, von dem jeder spricht, wenn es um den Standort Offenburg/Ortenau für Jungunternehmen geht. „Sevdesk ist für Offenburg wie Tesla für Grünheide, die Attraktivität der Stadt profitiert davon, dass das Unternehmen hier bleibt“, sagt etwa Florian Appel, in Stadt und Region so etwas wie der wichtigste Netzwerker rund um Start-ups. Der 42-Jährige baute in den vergangenen fünf Jahren das an die Wirtschaftsregion Ortenau (WRO) angedockte Projekt startUp.connect auf, seit Beginn des Jahres ist er Geschäftsführer der Black Forest Innovation, einem Tochterunternehmen der lokalen Stiftung Technologie & Wirtschaft, das sich in größerem Stil unter anderem der Beratung von (nicht nur regionalen) Start-ups mit nachhaltigen Geschäftsmodellen verschrieben hat. Die enorme Erfolgsgeschichte von Sevdesk lasse sich natürlich nicht einfach so wiederholen, wohl aber lassen sich die Rahmenbedingungen für junge Gründer und Gründerinnen in der Region verbessern, und dieser Prozess sei in vollem Gange, erzählt Florian Appel. „Canvas22“ ist der Name des Kultur- und Kreativwirtschaftszentrums, das auf dem ehemaligen Schlachthofgelände entstehen wird. In den nächsten vier bis fünf Jahren soll es eröffnet werden, politisch stark unterstützt vom wirtschafts- und Start-up affinen Oberbürgermeister Marco Steffens. „Da wird richtig viel passieren und Offenburg wird auch in diesem Bereich seine Rolle als Mittelzentrum ausfüllen“, sagt Appel. Auch Sevdesk wird auf dem Campus gemeinsam mit einem Bauunternehmer seine neue Firmenzentrale errichten.
Fabian Silberer hofft, dass das Areal dem Start-up-Standort Ortenau weiteren Auftrieb geben kann: „Hier wird schon viel bewegt, zum Beispiel mit Acceleratoren, die Gründer etwa mit Coachings unterstützen, aber es muss noch mehr passieren in den nächsten Jahren. Wichtig ist, dafür alle an einen Tisch zu bekommen, von der Stadt bis zur Hochschule. Es braucht ein großes Netzwerk, von dem Start-ups profitieren können“. Man müsse auch aufzeigen, dass es sich lohnt, mutig zu sein und zu gründen. Nur so kann es eine weitere Erfolgsstory á la Sevdesk geben. „Wir haben 2017 bei einer Start-up-Veranstaltung erst gemerkt, wieviel Potenzial in unserer Idee steckt“, erinnert sich Silberer, der heute selbst Keynotes gibt und seine Erfahrungen teilt.
Auf dem Canvas22 werden jene Ortenauer Start-ups ein neues Zuhause finden, die derzeit noch im Technologiepark Offenburg am Rande der Stadt in Co-Working-Spaces oder eigenen Büros untergebracht sind. „Neben den Arbeitsplätzen gibt es bei uns vor allem ein Netzwerk und auch die Events laufen bald wieder an“, sagt Yannick Haldenwanger, der von Florian Appel die Leitung von startUp.connect übernommen hat. „Es gibt in der Ortenau viele potenzielle Gründer und Gründerinnen, allein dieses Jahr habe ich schon 70 Beratungsgespräche geführt“, sagt der 33-Jährige. Er schätzt, dass daraus etwa zehn konkrete Unternehmungen entstehen könnten. Rund 250 Start-ups hat die Ortenau aktuell laut Haldenwanger, rund 50 sind im Technologiepark untergebracht.
Eines davon ist Happyhotel. Gegründet im Oktober 2019 von Sebastian Kuhnhardt, Rafael Weißmüller und Marius Müller geht es auch hier um eine Software. Sie errechnet algorithmusbasierte Preisvorschläge für Zimmer, wodurch Hotels mehr Umsatz erzielen können. „Es geht da um dynamische Preise, die kennt man ja vor allem von Airlines“, sagt Sebastian Kuhnhardt, um zu erklären, was dahintersteckt. An einem Tag ist der Flug günstig, an einem anderen viel teurer, man kennt das. In der Hotelbranche haben die großen Ketten eigene Softwarelösungen, die Zimmerpreise tagesaktuell je nach Angebot und Nachfrage berechnen. Teurer wird ein Hotelzimmer zum Beispiel dann, wenn eine Messe in der Stadt ist, das ist nur ein Beispiel von vielen. „Unsere Software macht genau das für mittelständische und kleine Hotels, die solch eine Möglichkeit bislang nicht hatten“, erklärt Kuhnhardt, der selbst in der Hotellerie groß geworden ist und sich während seiner Ausbildung zum Hotelbetriebswirt mit eben jenem Problem beschäftigt hat.
Bei der Arbeit in einer Offenburger Agentur, die Websites für Hotels erstellt, lernte er Rafael Weißmüller kennen. Die beiden taten sich zusammen, programmierten ein wenig und besuchten, das war noch vor Corona, eine „start-Up.connect Night“, die regelmäßig in Offenburg und Lahr abgehalten werden, wo sie ihre Idee vorstellten und den Programmierer Marius Müller kennenlernten. Aus dem Duo wurde ein Trio, das inzwischen zwölf Angestellte und mehr als 300 Hotels als Kunden hat. In den zweieinhalb Jahren habe ihnen das Netzwerk und die Vermittlungen von Anwalt, Steuerberater oder Notar durch startUp.connect viele Schritte erleichtert, erzählt Kuhnhardt. Hinzu kommt der „Start-up-Spirit“, der bei ihnen auf dem Flur herrsche. Man kennt sich untereinander und tauscht sich aus. Das bringe unheimlich viel.
Brauchbare Unterstützung hat Happyhotel auch: Die Sevdesk-Gründer haben mit ihrer Holding als erstes in dieses Start-up investiert, aus dessen Gründertrio Müller und Weißmüller schon für Sevdesk gearbeitet haben. Kuhnhardt freut sich auf den anstehenden Umzug auf das ehemalige Schlachthofgelände ins Canvas 22 und ist sich sicher, dass „sich Offenburg und die Ortenau als Start-up-Standort spätestens dann nicht mehr zu verstecken braucht“.