Philipp Köder hat einen außergewöhnlichen Beruf: Er ist Sensenhandmäher – vermutlich der einzige in Deutschland. Mit der Einstellsense hat er ein eigenes Werkzeug entwickelt und gibt sein Wissen in Kursen weiter.
Text: Christine Weis
Die kleine Werkstatt von Philipp Köder liegt ganz hinten im Innenhof der Wiesentalstraße 25 in Freiburg. Sie ist eine von mehreren Werkstätten, die sich hier angesiedelt haben. Über dem Eingang ist ein Sensenblatt befestigt, neben der Tür hängt an der Gitterwand ein Haushaltsglas, mit einem Gummiband fixiert, darin die Infoflyer zu Köders Mäh- und Dengelservice sowie seinen Sensenkursen. „Manches ist hier noch ein wenig improvisiert“, sagt der 38-Jährige.
Drinnen an der Wand hängen die Handwerkzeuge, die er für seine Mäh- und Gehölzarbeiten braucht: Sensen, Rechen, Heugabeln, Hacken, Handsägen, Astscheren. Eine Werkbank und die selbst entwickelte Dengelmaschine nehmen eine Seite des Raumes ein, während der Rest mit seinen Fahrrädern und Anhängern belegt ist. Auf dem Boden hat Philipp Köder mehrere seiner selbstgebauten Sensenmodelle aufgereiht, um die Entwicklungsschritte hin zu seiner neuesten Konstruktion, der Einstellsense, zu erläutern. Den Namen findet er nicht besonders kreativ, doch er beschreibt exakt die Funktionsweise: „An der Sense lässt sich alles optimal einstellen – die Haltegriffe, die Stiellänge und der Winkel des Sensenblatts. Damit kann man effizient, kräfte- und körperschonend mähen sowie die Sense an veränderte Bedingungen anpassen.“

Der Weg zur Marktreife
Bald wird es noch enger in der Werkstatt, denn Philipp Köder hat die Sense nicht nur für den Eigenbedarf entwickelt, sondern bringt sie auch auf den Markt. Die erste Serie umfasst 100 Stück, Interessenten gibt es bereits. Der Preis liege bei rund 240 Euro für den fertigen Sensenstil ohne Sensenblatt. „Wenn alles gut läuft, werde ich die Sense bald komplett anbieten. Ich habe bereits eine Schmiede in Norditalien im Auge, die dafür infrage kommt.“ Bis es soweit ist, muss die Kundschaft das Sensenblatt selbst besorgen. Man merkt Philipp Köder die Begeisterung für sein Werkzeug an. Und es scheint, als habe er an alles gedacht: Die Sense ist flexibel anpassbar, egal ob Mäherin und Mäher groß oder klein, ob Links- oder Rechtshänder sind. Außerdem lässt sie sich schnell zerlegen und somit problemlos mit dem Fahrrad transportieren.
So macht es auch Philipp Köder: Zu seinen Mähaufträgen fährt er mit dem Bike oder kombiniert Bahn und Fahrrad, wenn es etwa an den südlichen Kaiserstuhl geht. Sein Hauptgebiet liegt am Schönberg und Tuniberg. Er ist hauptberuflich Handmäher. Damit dürfte er bundesweit der einzige seiner Art sein. Das hat er zumindest so recherchiert, nicht zuletzt, weil er sich gerne mit Berufskollegen austauschen würde – doch es gibt niemanden. Bis ins 19. Jahrhundert war der Beruf des Mähers oder Schnitters weit verbreitet, als Lohnarbeiter verdienten sie ihr Geld auf Bauernhöfen. Mit der Einführung der Mähmaschinen verschwand der Beruf. Gleichwohl das Werkzeug überlebt hat und es gebe seit einiger Zeit einen Handsensentrend, so der Eindruck von Philipp Köder. Zu seinen Sensenkursen, die er in Kooperation mit der Ökostation Freiburg anbietet, kommen auch viele junge Leute, das Interesse sei groß und die Termine immer rasch ausgebucht.
Vom Hobby zum Beruf
Wie wird man Mäher? Eine Ausbildung dafür gibt es nicht, Philipp Köder hat sich die Fertigkeit selbst angeeignet. „Meine Eltern hatten eine Streuobstwiese, die ich zusammen mit meinem Vater und den Sensen meines Großvaters regelmäßig gemäht habe. Das hat mir immer viel Spaß gemacht“, erzählt der 38-Jährige. Doch die Idee, daraus einen Beruf zu machen, hatte er viel später. Zunächst studierte er Biologie in Ulm und Umweltschutz in Nürtingen. 2018 zog er nach Freiburg und arbeitete mehrere Jahre bei dem Hersteller von Lastenanhängern Carla Cargo in Herbolzheim. „Das war eine gute Zeit, aber ich habe gemerkt, dass ich lieber draußen in der Natur arbeiten möchte.“ 2021 konnte er zufällig eine Wiese pachten, und das Handmähen habe ihn dann richtig gepackt. „Ich mag die körperliche Arbeit, die Bewegung mit dem Werkzeug, den Geruch von frisch geschnittenem Gras und außerdem fördert es die Artenvielfalt.“
„Mich faszinieren einfache und dennoch effektive Geräte.“ — Philipp Köder

Die Vorteile der Sense gegenüber Motorsensen und Rasenmähern sind für ihn offensichtlich: „Der Schnitt mit der Sense fördert das Wachstum von seltenen Kräutern und Blumen, schont Insekten und Kleintiere. Ich habe schon Hasennester und junge Rehkitze im hohen Gras entdeckt.“ Zudem entstehen weder Feinstaub noch Lärm. Anfang 2023 hat Köder seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ein Mitarbeiter vom Umweltschutzamt Freiburg bestärkte ihn in seiner Entscheidung.
Die Mähsaison dauert von April bis Oktober. Ein typischer Arbeitstag sieht so aus: Vier bis fünf Stunden mähen, dann zwei bis drei Stunden das Schnittgut mit der Gabel auf Mulchhaufen sammeln oder um Baumstämme als sogenannte Mulchscheiben verteilen. Liegen bleiben darf es nicht, sonst verfilze die Wiese und Blumen und Kräuter verschwinden. Seine Kundinnen und Kunden haben Gärten, Wiesen, Streuobstanlagen und legten Wert auf seine sanfte und ökologische Landschaftspflege. Im Winter schneidet Köder Obstbäume und Hecken (er ist auch geprüfter Obst- und Gartenfachwart) oder tüftelt in der Werkstatt.
Vorteile des Handmähens
Für große landwirtschaftlich genutzte Flächen gibt es kein Zurück zur Handarbeit – das weiß Philipp Köder. Was ein Traktor in einer Stunde wegmäht, dafür brauche er 30 Stunden. Er will schon gar nicht die Landwirtinnen und Landwirte belehren. Doch für Streuobstwiesen, unwegsames Gelände, Hausgärten, Blumenwiesen sowie Agroforst- oder Permakulturen sei das Handmähen mit der Sense ideal. „Mich faszinieren einfache und dennoch effektive Geräte“, sagt der Biologe. Mit der Motorisierung der Landwirtschaft seien viele Handwerkzeuge innerhalb kurzer Zeit in den Hintergrund geraten und auf dem Entwicklungsstand von vor 100 oder 150 Jahren stehen geblieben. Doch moderne Materialien und Fertigungsmethoden böten neue Möglichkeiten, um bewährte Werkzeuge neu zu denken. Philipp Köder nennt dieses Konzept Lowtech. Und noch ein weiteres Prinzip ist ihm wichtig: Open Source. Seinen Bauplan für die ergonomisch verstellbare Sense stellt er öffentlich zur Verfügung – zum Nachbauen, Weiterentwickeln und Verbessern. So könne das Werkzeug durch gemeinschaftliches Wissen stetig weiterentwickelt werden.

Und wie mäht man richtig? Die Schneide des Sensenblattes sollte leicht schräg nach oben zeigen und die Länge des Stiels der Körpergröße angepasst sein, so dass die Sense bequem in Hüfthöhe gehalten werden kann. Die Griffe müssen ebenfalls positioniert werden, damit sich die Sense locker führen lässt, ohne Rücken, Arme und Knie zu belasten, erklärt der Fachmann. Die Bewegung erfolgt aus der Hüfte heraus und die Sense führt man in einem weiten Bogen über den Boden. Regelmäßiges Wetzen hält die Schneide scharf: „Einmal alle 10 Meter wetzen kann genügen, sofern man einen guten, feinkörnigen Wetzstein hat“, erläutert der Mäher und empfiehlt einen der Firma Zische aus Bühl mit der Körnung 400. Nach dem Mähen dengelt man das Sensenblatt mit dem Hammer, um die Schneide aufzuhärten und auszudünnen, damit sie sich beim nächsten Einsatz leicht wetzen lässt.

Mit der Sense muss man vorsichtig umgehen, rät Philipp Köder seinen Kursteilnehmern. Denn bei falscher Handhabung könne man sich an der Sense auch ernsthaft verletzen. Es sei kein Zufall, dass der Begriff Sensenmann mit dem Tod in Verbindung gebracht werde. Die mittelalterliche Vorstellung vom Tod als Knochenmann mit Sense steht symbolisch für das Abschneiden des Lebens. Der freundliche und sympathische Handmäher hat so gar nichts mit der dunklen Gestalt zu tun, die die Seelen holt. Im Gegenteil, er gewinnt die Menschen mit seiner neuen alten Mähmethode.