Wo steht das Handwerk zwischen Kostensteigerungen, Energiewende und Nachwuchssorgen? Versuch einer Bestandsaufnahme.
VON KATHRIN ERMERT
Vor viereinhalb Jahren haben wir schon einmal eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt Handwerk produziert. „Nachhaltig. Innovativ. Krisensicher.“ lautete damals unsere Unterzeile. Welche Krise denn, mag man im Rückblick fragen. 2019 wirkte wohl noch die Erinnerung an die Finanzkrise nach, die Klimaerwärmung dagegen hatte sich noch nicht so stark mit Hitzewellen und Überschwemmungen ins öffentliche Bewusstsein gedrängt. Von Pandemie, Krieg in Europa und Energiekrise wussten wir damals noch nichts.
Trifft „krisensicher“ angesichts des aktuellen Krisendreiklangs noch aufs Handwerk zu? Vor einem Jahr, zu Beginn des zurückliegenden Winters, wäre die Antwort auf diese Frage wohl anders ausgefallen als jetzt. Energieintensive Betriebe wie Bäckereien, Fleischereien, Mühlen oder holzverarbeitende Betriebe fürchteten damals, angesichts der knappen und deshalb sehr teuren Brennstoffe unter die Räder zu geraten. „Das Handwerk geht deutlich positiver gestimmt in den Herbst“, heißt es im jüngsten Konjunkturbericht der Handwerkskammer Freiburg. „Insgesamt überwiegen im Handwerk die Optimisten“, meldet die Handwerkskammer Konstanz.
Vor allem Nahrungsmittelhandwerke bewerten ihre Geschäftslage deutlich besser als vor einem Jahr. Auch Gesundheitshandwerke wie Optiker, Hörakustiker und Zahntechniker sowie Kfz-Betriebe äußern sich in den Umfragen zufrieden. Dagegen hat die Mischung aus teurer Energie, knappem Material und hohen Zinsen den langen Boom im Bauhandwerk gestoppt. Die Stimmung im Bauhauptgewerbe ist noch schlechter als die Geschäftslage und hat mittlerweile auch die nachgelagerten Ausbaugewerke erreicht.
Weniger schlimm als viele denken
Wir haben die Neuauflage des Handwerkschwerpunkts im Herbst 2023 mit einer Frage verknüpft: Ist es noch Gold wert? Hintergrund ist das Sprichwort „Handwerk hat goldenen Boden“, das zwar sehr verbreitet, dessen ursprüngliche Bedeutung laut Handwerkszeitung indes gar nicht so eindeutig ist. Eine Möglichkeit sei, dass es vom mittelalterlichen Spruch „Handwerk hat goldenen Boden, sprach der Weber, da schien ihm die Sonne in den leeren Brotbeutel“ kommt. Diese ironische Anspielung auf die Armut kleiner Handwerksmeister unterscheidet sich vom gängigen Verständnis des Spruchs, wonach sich im Handwerk gutes Geld verdienen lässt. An die heutige Interpretation lehnt sich wohl auch der Name „Goldboden“ an, den der Dachverband Handwerk Baden-Württemberg einem Podcast gegeben hat. Seit Mai 2023 spricht dabei der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Peter Haas, monatlich mit Menschen aus dem oder über das Handwerk.
Wie lässt sich nun die Frage von unserem Cover beantworten? Nicht eindeutig. Es kommt, wie immer, auf den Blickwinkel an. Das zeigt unser erstes Beispiel gut: Die Firma „Leder lebt“ ist als Sattlerei mittlerweile ein Exot. Gerade weil es so wenig Konkurrenz gibt, läuft es für sie gut. Das Artensterben der Sattlereien lässt sich indes nicht auf die Gesamtzahl der Handwerksbetriebe in Land und Region übertragen. Deren Zahl steigt sogar, wie ein Blick in die Statistik zeigt. Allerdings sorgen vor allem die zu-lassungsfreien Gewerbe für das Plus. Das sind oft Einmann- oder Einfraubetriebe. Die Menge der zulassungspflichtigen Gewerbe geht tatsächlich etwas zurück.
Auch die Zahl der Azubis liegt unter der von vor zehn Jahren. Das deutet aber nicht zwingend auf die mangelnde Attraktivität der Handwerksberufe für junge Leute hin, die Lobbyisten und Politiker häufig beklagen. Die Rückgänge sind nicht so dramatisch wie es in den Reden vermittelt wird. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren sind die Zahlen zuletzt sogar gestiegen – das liegt an der Coronadelle. Sie haben das Vorpandemieniveau noch nicht erreicht. Es ist möglich, dass sie es auch nicht mehr tun werden, da die demografische Entwicklung natürlich auch das Handwerk beeinflusst.
Aber der Eindruck, dass der Nachwuchs an Fachkräften völlig fehlt, während das Handwerk vor der großen Herausforderung steht, die Energiewende und -wärmewende in die Praxis umzusetzen, täuscht. Er hat sich durch die Gleichzeitigkeit von Klima- und Energiekrise verstärkt. Auf deutschen Dächern macht sich Goldgräberstimmung breit. Doch unter die Firmen, die PV-Anlagen montieren, mischen sich auch schwarze Schafe. Manchen fehlt nur die Qualifikation, anderen sogar die Erlaubnis, ihre Arbeit anzubieten.
Traditionsreich und innovativ
Das Handwerk ist stolz auf seine Tradition und pflegt gern seine Rituale. Dafür stehen beispielsweise die Gesellen auf Wanderschaft. Die Walz liegt im Trend – auch bei jungen Frauen. Jenseits solcher Traditionen zeigt sich das Handwerk anpassungsfähig und innovativ. Zwei Beispiele: Um ihren Mitarbeitenden die körperliche Arbeit auch im fortschreitenden Alter zu erleichtern, setzen manche Betriebe auf technische Hilfen wie Exoskelette. Dass es künftig weniger rußige Kamine zu putzen gibt, bereitet Schornsteinfegern keine Sorgen. Denn längst haben sie sich auf neue Aufgaben eingestellt, allen voran die Energieberatung.
Dem Handwerk geht die Arbeit also nicht aus, selbst wenn die Baukonjunktur gerade schwächelt. Denn viele Gewerke bedienen Grundbedürfnisse, backen unser Brot, schneiden uns die Haare. Eine Ausbildung im Handwerk und vor allem die Weiterbildung zur Meisterin oder zum Meister kann die Basis für eine solide Karriere sein. Daran haben auch multiple Krisen nichts geändert. Das Handwerk steht auf solidem Boden. Die Antwort auf unsere Frage lautet also: Ja. Handwerk ist noch Gold wert – auch wenn manch ein Beutel gerade leer ist.