In deutschen Haushalten leben rund 35 Millionen Heimtiere. Während der Pandemie stieg diese Zahl merkbar und damit auch der Umsatz der Branche. Unterbringung und Pflege unserer tierischen Mitbewohner lassen wir uns einiges kosten.
VON KATHRIN ERMERT
Für die Heimtierbranche ist das Jahr mit einem Aufreger gestartet, und der heißt Cem Özdemir. „Warum braucht jemand anspruchsvoll zu haltende, exotische Tiere wie Schlangen oder ein Chamäleon zu Hause?,“ fragte der Bundeslandwirtschaftsminister Mitte Januar in einem Interview mit der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Und weiter: „Manche Menschen legen sich Tiere zu, die aus meiner Sicht in privaten Haushalten nichts zu suchen haben.“ Özdemirs Sorge galt den Tierheimen, die oft Probleme und vor allem hohe Kosten mit dem Unterbringen solcher Exoten hätten. Der laut geäußerte Gedanke des Ministers über eine sogenannte Positivliste hat den deutschen Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) in Schrecken versetzt.
„Damit wird der Eindruck vermittelt, dass Heimtierhaltung im Prinzip etwas Schlechtes sei“, heißt es in einem Positionspapier des ZFF. Eine Positivliste dreht das Prinzip, dass Heimtierhaltung im Sinne des Persönlichkeitsrechts grundsätzlich erlaubt ist, um. Sie wäre dann erstmal untersagt und nur bei den gelisteten Arten erlaubt. Aber welche Tiere kämen auf diese Liste? Was sind überhaupt exotische Tiere? Wellensittiche kommen ursprünglich aus Australien und Meerschweinchen aus Südamerika. Die Eignung als Heimtier ist laut Verband keine generelle Eigenschaft einer Tierart. Sie könne nur im Einzelfall und abhängig vom jeweiligen Halter und dessen Erfahrung, Wissen, Wohnsituation, Haltungstechnik und finanziellen Möglichkeiten entschieden werden.
Wachsender Markt
Der finanzielle Aspekt ist bei allem berechtigten Interesse am Tierschutz sicher auch ein Grund für den Aufschrei in der Branche. Denn es ist ein bedeutender und wachsender Markt in Deutschland. Fast in jedem zweiten deutschen Haushalt leben Heimtiere, was der korrekte Begriff für die rund 35 Millionen Katzen, Hunde, Hamster, Wellensittiche, Goldfische und anderen Tiere ist, mit denen wir unser Zuhause teilen. Der umgangssprachlich hauptsächlich verwendete Obergriff „Haustiere“ schließt auch Nutztiere wie Pferde ein, die finanziell ebenfalls sehr bedeutend sind. Dazu später mehr.
Der Umsatz mit Heimtierbedarf summiert sich in Deutschland auf rund sechs Milliarden Euro und wächst jährlich um etwa sechs Prozent. Den Markt teilen sich Einzel-, Fach- und Onlinehändler. Das meiste Futter verkaufen laut Industrieverband Heimtierbedarf Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte und Discounter, während der Fachhandel bei Bedarfsartikeln und Zubehör die Nase vorn hat. Mehr als eine Milliarde Euro setzen mittlerweile Onlineshops mit Heimtierprodukten um.
Rechnet man das Geschäft von Tierärzten, Tierphysiotherapeuten, Hundeschulen oder -pensionen, Versicherungen, Fachzeitschriften oder Messen hinzu, lag der gesamte volkswirtschaftliche Nutzen von Heimtieren einer Studie der Universität Göttingen zufolge 2014 bei fast elf Milliarden Euro (etwa 0,32 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) und sorgte für rund 210.000 Arbeitsplätze. Mit der seither und vor allem während der Pandemie gestiegenen Zahl der Tiere dürfte dieser Wert nun deutlich höher sein.
Exot in der Branche
Vor allem Filialisten und Franchiseunternehmen wie Fressnapf und Futterhaus tummeln sich auf diesem Markt, auch Bau- und Gartencenter wie Toom oder Dehner verkaufen Heimtierfutter und -zubehör. Die Tiere selbst allerdings immer seltener. „Mit dem Verkauf von Tieren verdient man kein Geld“, sagt Tanja Burkart, die geschäftsführende Gesellschafterin von Zoo Burkart in Freiburg. Das Geschäft rechne sich nur mit den Produkten rund um die Pflege und Unterbringung.
„Mit dem Verkauf von Tieren verdient man kein Geld. Das Geschäft rechne sich nur mit den Produkten rund um die Pflege und Unterbringung.”
Tanja Burkart, Zoo Burkart
Trotzdem verkauft das Familienunternehmen in seinem 4000 Quadratmeter großen Geschäft in der Lörracher Straße Nagetiere wie Kaninchen, Hamster und Rennmäuse, Papageien, Sittiche, Finken und andere Vögel, Geckos, Schlangen, Spinnen und weitere Terrarienbewohner sowie Fische für Aquarien und Teiche. Rund 50 Mitarbeitende braucht es, um die Tiere zu pflegen und die Kunden zu beraten. Mit diesem Anspruch, dem großen Angebot und dem ausschließlich stationären Geschäft ist Zoo Burkart ein Exot in der Branche. Den Onlineshop hat Tanja Burkart vor fünf Jahren aufgegeben, weil er sich nicht rechnete und sie ihn wenig nachhaltig fand.
Die 46-Jährige ist mit Tieren aufgewachsen. Seit sie denken kann, hilft sie in dem 1977 von ihrem Vater Dieter Burkart gegründeten Zoogeschäft. Nach ihrer Ausbildung zur Veterinärmedizinischen Assistentin ist sie ins Unternehmen eingestiegen, hat nebenberuflich BWL studiert und 2010 die Geschäftsführung übernommen. Bei ihnen stünde das Tierwohl im Mittelpunkt, betont Tanja Burkart: „Wir raten manchen auch vom Kauf ab. Es gibt Kunden, die ohne ein Tier rausgehen.“ Und es kämen viele Menschen, die gar nichts kaufen, sondern sich die Tiere nur anschauen wollen.
„Das ist völlig in Ordnung“, sagt Tanja Burkart. Sie lädt Kindergarten- und Schulkinder zu Führungen ein und veranstaltet Seminare für angehende Pädagogen. Sie will Kindern zeigen, dass Spinnen, Käfer und andere Krabbeltiere nicht eklig, sondern nützlich sind mit der Überzeugung: „Was Kinder heute nicht kennen, lernen sie morgen nicht schützen.“ Kritik von Tierschützern an der Heimtierbranche begegnet sie mit diesem pädagogischen Argument. Und sie wirft das Wohl des Menschen in die Waagschale. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, wie gut Tiere Menschen tun.
Solvente Tierhalter
Aber: Man muss sich Tiere auch leisten können. Ein Hund kostet seinen Besitzer im Lauf seines Lebens 12.000 bis 15.000 Euro – für Steuer, Futter, Zubehör, Tierarzt, Versicherungen und Beerdigung. Insofern wundert es nicht, dass die Haushaltseinkommen bei Tierhaltern im Durchschnitt laut der Heimtierstudie der Uni Göttingen höher sind als bei Haushalten ohne Tiere. Noch deutlicher ist das bei Pferdebesitzern. Davon gibt es zwar im Vergleich zu Katzen und Hunden viel weniger: Laut der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (kurz: FN nach ihrer internationalen Bezeichnung Fédération Equestre Nationale) beträgt die Anzahl der Pferde im Privatbesitz bundesweit rund 1,25 Millionen. Und einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos aus dem Jahr 2019 zufolge bezeichnen sich 2,32 Millionen Menschen selbst als Reiter.
Dennoch ist der Markt rund ums Pferd – zur Erinnerung: Das Pferd ist ein Haustier – noch größer als der mit Heimtieren. Den Umsatz der deutschen Pferdewirtschaft schätzt die FN auf rund 6,7 Milliarden Euro. 39 Prozent davon oder 2,6 Milliarden Euro sind Kosten für Pferdehaltung. Etwa 4,1 Milliarden Euro geben Reiterinnen (der Frauenanteil liegt bei fast 80 Prozent) im Einzelhandel und für Dienstleistungen aus. Mehr als 10.000 Firmen, Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland machen direkt oder indirekt ihr Hauptgeschäft mit Pferden.
Baden-Württemberg ist – gemessen an der Zahl der Mitglieder in Reitvereinen – die zweitgrößte Pferderegion Deutschlands nach Westfalen. In Offenburg zieht die Messe Eurocheval Reitfans und -firmen an. Vor Corona zählte sie bis zu 40.000 Besucher, rund 400 Aussteller und etwa 400 Pferde. Das Spektakel, bei dem sich das Offenburger Messegelände mit Tonnen von Sand, Heu und Stroh in einen riesigen Reitstallt verwandelt, lässt sich Ende August besichtigen.
Auch zum Thema Pferd hat sich Cem Özdemir kürzlich geäußert. Pferde gehörten nicht unter den Weihnachtsbaum, schrieb der Minister Mitte Dezember auf Facebook. „Es sei denn, sie sind aus Plüsch und zum Schaukeln.“