Sie verstecken sich in vielen kleinen Orten und vermeintlich abgelegenen Tälern: Mittelständler, meist Industrieunternehmen, die mit Nischenprodukten weltweit erfolgreich sind. Warum gibt es so viele dieser sogenannten Hidden Champions in der Ortenau? Das haben wir Stephan Trahasch gefragt, der als Rektor der Hochschule Offenburg mit vielen Unternehmen zusammenarbeitet.
INTERVIEW: KATHRIN ERMERT
Herr Trahasch, die Mitgliederliste des Kuratoriums Ihrer Hochschule liest sich wie ein Who-is-who der Ortenauer Wirtschaft – von Burda, Duravit, Hansgrohe und Herrenknecht bis zu Mulag, RMA und Ruch Novaplast. Welche Rolle spielen diese Unternehmen für die Hochschule – und umgekehrt die Hochschule für sie?
Es ist richtig: Die Unternehmen im Kuratorium sind diejenigen, die die Ortenau voranbringen. Für die Hochschule sind diese Unternehmen extrem wichtig, weil wir von ihnen wichtige Impulse bekommen: Was sind ihre Bedarfe, welche Themen treiben sie um? Die Beziehung ist aber wechselseitig, ein Transfer:
Wir bringen von unserer Seite Ideen aus Wissenschaft und Forschung ein und greifen umgekehrt Anforderungen von den Unternehmen auf und setzen sie bei uns um. Das war zum Beispiel bei den neuen Studiengängen Angewandte Künstliche Intelligenz oder Nachhaltige Energiesysteme der Fall.
In Ihrem Amt als Rektor sind Sie seit knapp einem Jahr Mitglied im Kuratorium: Wie erleben Sie das Verhältnis zu den Firmenchefs dort?
Ich erlebe eine große Offenheit und Verbundenheit zwischen den Unternehmen und der Hochschule. Das ist eine langjährige und vertrauensvolle Beziehung. Für die Unternehmen hat die Hochschule eine große Bedeutung: Einerseits hilft sie ihnen, ihren Fachkräftebedarf zu decken, andererseits bietet sie ihnen mit Innovation und Forschung Input für neue Produkte und Dienstleistungen. Mit vielen Unternehmenspartnern setzen wir auch gemeinsam Forschungsprojekte um.
Mittelständische Unternehmen, die in Nischenmärkten Europa- oder Weltmarktführer sind: So definiert das Wirtschaftslexikon „Hidden Champions“. Warum konzentrieren sich so viele davon in der Ortenau?
Die Unternehmen in der Ortenau zeichnet aus, dass sie ein gutes Gespür für relevante Themen haben. Sie identifizieren Chancen, ergreifen sie und fokussieren sich darauf. Das zeigt sich bei etablierten Hidden Champions wie etwa der Peter Huber Kältemaschinenbau AG und auch bei Start-ups, die ja letztlich die Hidden Champions und der Mittelstand von morgen sind.
SevDesk oder PowerCloud sind zum Beispiel auch in speziellen Nischen aktiv und sehr erfolgreich. Die Menschen in der Ortenau haben eine sehr hohe Identifikation mit der Region. Auch untereinander. Es ist immer Platz für noch jemanden zusätzlich. Das habe ich so anderswo noch nicht erlebt. Man hilft sich, etwa wenn neue Unternehmen gegründet werden oder jemand in Schwierigkeiten ist.
Sie haben zu ihrem Amtsantritt verkündet, die Vernetzung mit der regionalen Wirtschaft weiter zu vertiefen. Was stellen Sie sich vor?
Im Begriff Hidden Champion steckt ja das Verstecktsein drin. Man wird nicht so richtig wahrgenommen. Es gibt in der Region viele verschiedene Branchen, das macht uns stark und resilient, gerade in Krisen. Diese Heterogenität ist sicherlich eine Stärke. Nichtsdestotrotz steht es der Ortenau gut an, sich auch zu positionieren: Wofür stehen wir? Was sind die Leitthemen der Region?
Diesen Prozess habe ich initiiert, da sind wir jetzt dran – mit Unternehmen, Verbänden, Kommunen, anderen Wissenschaftseinrichtungen. Ich glaube, dass es noch großes Potenzial für die Region gibt.
Und welche Themen sehen Sie als Leitthemen?
Ein Leitthema ist sicher die Energiewende und nachhaltige Energiesysteme. Ressourceneinsparungen sind für alle Branchen eine große Aufgabe. Das treibt viele Unternehmen um – beispielweise die Papierfabrik Koehler oder die Firma Meiko. Und da gibt es – vor allem wenn man den Blick auf den gesamten südlichen Oberrhein öffnet – mit unserem Regionalen Innovationszentrum für Energietechnik, mit den Fraunhofer Instituten und anderen Wissenschaftseinrichtungen eine große wissenschaftliche und auch wirtschaftliche Kompetenz.
Ein anderes wichtiges Thema für die Ortenau ist die besondere geografische Situation. Im Eurodistrikt können wir uns mit Frankreich gemeinsam zur Modellregion in Europa weiterentwickeln.
Sie haben als Informatiker sowohl für die Universität Freiburg, die Hochschule Offenburg und die Duale Hochschule Lörrach als auch für Burda und IDS Scheer gearbeitet, kennen also die Wissenschaft ebenso wie die Wirtschaft. Wie beurteilen Sie das Verhältnis der Institutionen zueinander?
Wir sind eine der forschungsstärksten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg. 2020 haben wir Forschungsdrittmittel in Höhe von rund sieben Millionen Euro eingeworben, 2021 waren es noch deutlich mehr – wohl zwischen 13 und 15 Millionen, der endgültige Rechnungsabschluss erfolgt erst dieser Tage. Bereits jetzt sind an der Hälfte unserer Forschungs- und Entwicklungsprojekte Unternehmen beteiligt. Und bei rund einem Drittel der Projekte mit Unternehmensbeteiligung sind Unternehmen aus der Ortenau dabei.
Ist das noch ausbaufähig?
Wir können das Thema Kooperation noch stärker aufgreifen, noch intensiver angehen – zum Beispiel in Form von Ko-Kreationen Themen längerfristig bearbeiten. Von Unternehmensseite ist die Bereitschaft dazu da. Es geht darum, ein regionales Innovationssystem zu etablieren. Das gab es im Ortenaukreis sicherlich schon lose.
Wir wollen dem nun mehr Struktur geben und eine gemeinsame Zielrichtung etablieren. Denn wir stehen im Wettbewerb zu anderen Regionen, auch bei Fachkräften. Es muss klar sein: Wenn es um Energiewende geht, muss man in die Ortenau kommen. Hier sind die Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Stephan Trahasch (50) ist seit Juni 2021 Rektor der Hochschule Offenburg. Der gebürtige Freiburger hat Mathematik, Informatik sowie Germanistik an der Universität Freiburg studiert und war anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik. Nach seiner Promotion arbeitete Trahasch bei Burda Digital Systems in Offenburg und bei IDS Scheer in Saarbrücken. 2009 erhielt er einen Ruf der Dualen Hochschule Lörrach. 2012 wechselte der Informatikprofessor zur Hochschule Offenburg. 2016 wurde er Prodekan, 2019 Dekan der Fakultät Elektrotechnik, Medizintechnik, Informatik. 2020 etablierte er den Studiengang Angewandte Künstliche Intelligenz. Trahasch lebt mit seiner Familie am Kaiserstuhl.