Die Kaiserstühler Winzergemeinde ist beliebt bei Familien und Firmen und hat einen der jüngsten Bürgermeister in Deutschland.
Von Daniela Frahm
Der wärmste Ort Deutschlands zu sein, mit diesem Versprechen lockt Ihringen seine Gäste an. Nach verschiedenen Wetterstatistiken haben andere Städte und Gemeinden den Kaiserstuhl-Ort zwar knapp überflügelt, zu den wärmsten gehört er aber auf jeden Fall weiterhin. Und seit kurzem hat er auch noch einen der jüngsten Bürgermeister im Land. Bei seiner Wahl im vergangenen Jahr hatte der parteilose Benedikt Eckerle genau das Mindestalter von 25 Jahren. Jetzt ist er im Arbeitsalltag eines Bürgermeisters angekommen, muss die ersten größeren (Finanz-)Probleme bewältigen und hat viele Ideen für seine Gemeinde. Im Oktober 2017 wurde Eckerle mit 58,76 Prozent der Stimmen als Nachfolger von Bürgermeister Martin Obert gewählt, der nach 24 Jahren in den Ruhestand ging. Dass er sich gleich im ersten Wahlgang gegen drei weitere Kandidaten durchsetzen konnte, hat ihn überrascht. „Ich war nahezu sprachlos“, erinnert sich Eckerle. Reden sei ihm zwar nie schwergefallen, die ersten Sätze seien aber wohl etwas holprig gewesen. „Ich werde jetzt immer mehr Routine bekommen“, vermutet der mittlerweile 26-Jährige, der seit Anfang Dezember im Amt ist. Er kennt sich in der Region und in der Verwaltung aus, ist im Münstertal aufgewachsen, hat in Kehl an der Verwaltungs-Hochschule studiert und danach zweieinhalb Jahre bei der Stadt Freiburg gearbeitet, zuerst im Haupt- und Personalamt und danach in der Stadtkämmerei. Sein Vorgänger hat ihm Hilfe angeboten, wenn er Hintergrundinformationen brauche. Das habe er gerne angenommen, berichtet Eckerle, will aber „versuchen selbst zu schwimmen, auch wenn nicht alles gleich rund laufen wird“. Und diese Erfahrung musste er auch schon machen. Er habe zwar gewusst, dass die Gemeinde finanziell „nicht ganz so gut dasteht“, aber er habe nicht damit gerechnet, dass die Kommunalaufsicht eine Kreditsperre für die 6000-Einwohner-Gemeinde verhängen würde – für Eckerle nun gleich eine „besondere Herausforderung“.
Kaiserstuhlhalle muss saniert oder neu gebaut werden
Rund acht Millionen Euro beträgt der Schuldenstand von Ihringen. Nicht nur das größte Projekt, die Sanierung der Kaiserstuhlhalle, muss deshalb noch warten. Auf sechs bis acht Millionen Euro hat Ex-Bürgermeister Obert die Kosten dafür geschätzt, alleine kann die Gemeinde das in den kommenden Jahren nicht stemmen. Für Eckerle ist klar: „Egal ob wir sanieren oder neu bauen, wir werden sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen.“ Die Lage der Halle mitten im Ort hält er jedenfalls für ideal. Damit sie weiter genutzt werden kann, muss die Gemeinde als erstes in den Brandschutz investieren. Und sie muss ihre Finanzlage verbessern. Zusammen mit dem Gemeinderat will Eckerle im Zuge der Umstellung auf das neue kommunale Rechnungs- und Haushaltswesen (Doppik) Prioritäten setzen, langfristige Lösungen finden und vor allem die Einnahmeseite verbessern. Dazu beitragen würde beispielsweise eine Vergrößerung des Gewerbegebiets Hinterschwemme, das laut Eckerle um etwa ein Drittel oder sogar um die Hälfte erweitert werden könnte. Anfragen von Firmen gibt es sowohl von ansässigen, die erweitern wollen, als auch von externen, die sich gerne dort ansiedeln würden.
Hella Gutmann und Sauerburger sind die größten Firmen
Mit Abstand größter Arbeitgeber in Ihringen ist die Firma Hella Gutmann Solutions, die seit der Gründung vor knapp 30 Jahren dort ihren Firmensitz hat. Das Automobiltechnik-Unternehmen, das unter anderem elektronische Diagnoseund Abgasmessgeräte herstellt und Service- Dienstleister für Kfz-Werkstätten ist, ist kontinuierlich gewachsen und beschäftigt mittlerweile insgesamt 450 Mitarbeiter, 350 davon in Ihringen und Breisach. „Wir sind froh, dass wir Hella Gutmann haben“, sagt Bürgermeister Eckerle, „aber es ist auch ein Vorteil, dass wir nicht nur eine riesige Firma haben, sondern viele konstante Steuerzahler.“ Insgesamt gibt es rund 1500 Arbeitsplätze in Ihringen. Im Ortsteil Wasenweiler ist der Landmaschinenhersteller Sauerburger der größte Gewerbebetrieb. Die F.X.S. Sauerburger Traktoren und Gerätebau GmbH ist ein seit etwa 50 Jahren bestehendes Familienunternehmen, das weltweit Traktoren, Mäher und Maschinen für Landwirtschaft, Wein- und Obstbau verkauft. Damit dürfte das Unternehmen auch genügend potenzielle Kunden vor Ort haben, denn der Weinbau spielt in Ihringen – wie am gesamten Kaiserstuhl – eine wichtige Rolle. Und das wird regelmäßig und ausgiebig gefeiert, auch in diesem Jahr. Am 12. Mai laden 16 Weingüter, die Winzergenossenschaften Ihringen und Wasenweiler und vier Gastwinzer zur 5. Ihringer Weinkost ein, und vom 1.-4. Juni sind die Ihringer Weintage. Sie sind nicht nur bei Einheimischen und Besuchern aus der Region beliebt, sondern auch bei Touristen, die schon weit im Vorfeld Ferienwohnungen und Unterkünfte buchen.
Tourismus hat wirtschaftlich große Bedeutung für den Ort
Ihringen ist bei Urlaubern sehr beliebt. Die Übernachtungszahlen sind in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen, von gut 77.000 im Jahr 2006 auf den Rekord von über 115.000 zehn Jahre später, etwa die Hälfte davon entfällt auf den Campingplatz. Im vergangenen Jahr sind die Zahlen zwar leicht zurückgegangen, sie haben sich aber bei über 100.000 eingependelt, dazu kommen geschätzte 430.000 Tagesgäste im Jahr, was Sabine Bauder als sehr positiv wertet. Die Geschäftsführerin der Kaiserstuhl Touristik Ihringen, die als Verein geführt wird, hat selbst mit viel Engagement und kreativen Ideen dazu beigetragen. Dazu zählt das Winzer-Kino, das 2014 mit dem Weintourismuspreis Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde. Dabei werden im Ratskeller fünf aufeinander abgestimmte Weine verkostet, über die zusätzlich mit Filmen informiert wird (jeden Mittwoch von Mai bis Oktober). Auch die Kooperation mit der Naturgarten Kaiserstuhl (NGK) hat den touristischen Standort gestärkt. Bauder betont die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus. Berechnungen hätten ergeben, dass rund 14,2 Millionen Euro Wertschöpfung im Ort verbleiben, die Branche damit 10,5 Prozent zum Primäreinkommen der Gemeinde beitrage. Sie würde sich deshalb mehr Wertschätzung – auch in finanzieller Hinsicht – von den ortsansässigen Firmen wünschen, die von einem florierenden Tourismus profitieren.
Getragen wird die Kaiserstuhl Touristik von den Mitgliedsbetrieben, deren Beiträge nicht ausreichen, um zum Beispiel die wenig repräsentative Tourist Information zu einer „Visitenkarte“ zu machen und sie „auf ein qualitativ höheres Niveau zu führen“, wie Bauder sagt. Sie komme sich häufig wie ein „Bittsteller“ vor, und die Arbeit und der Verwaltungsaufwand würden von vielen nicht gesehen. Benedikt Eckerle ist seit kurzem Vorstand des Vereins, auch hier als Nachfolger von Martin Obert, und er betont die wichtige Rolle der Kaiserstuhl Touristik, die er und die Gemeinde allerdings wegen der Finanzprobleme vor allem ideell unterstützen können und vielleicht auch durch die Übernahme von Verwaltungsaufgaben. Er sieht im Tourismus einen großen Wirtschaftsfaktor und „noch Potenzial“, das aber interkommunal angegangen werden müsse. „Die Marke Kaiserstuhl muss deutschlandweit noch bekannter gemacht werden“, sagt Eckerle. Um einen größeren Marketingetat werben auch Sabine Bauder und Volker Paschke, der Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Ihringen. Sie fordern die Handels-, Handwerks- und Gewerbebetriebe auf, Mitglied der Kaiserstuhl Touristik zu werden. Ein paar Eintritte hat es dadurch bereits gegeben. „Tourismusförderung ist Standort- und Strukturförderung, bedeutet positive Imagebildung, Ortsentwicklung und aktive Wirtschaftsförderung“, sagt Bauder, „sie bedeutet aber auch, ein lebenswertes Umfeld für Bewohner und ein Bekenntnis zur regionalen Identität zu schaffen.“ In der Gastronomie und vor allem im Einzelhandel sieht die Tourismus- Chefin Probleme auf den Ort zukommen, die alle ländlichen Bereiche betreffen.
Schwierige Nachfolgersuche in Einzelhandel und Gastronomie
Die Lebensmittelversorgung ist neben den Hofläden durch einen Edeka- und einen Penny-Markt gesichert. Andere Einzelhändler sind nicht nur durch die Online- Konkurrenz gefährdet, sondern haben auch Schwierigkeiten bei der Nachfolgersuche. Ein Textilgeschäft und ein Schuhladen haben deshalb schon geschlossen und stehen leer. „Wenn der Ortskern tot ist, verliert eine Gemeinde ihre Attraktivität“, warnt Touristikerin Bauder. Der neue Bürgermeister würde sich zudem ein Café wünschen, „das würde gut hierher passen“. Doch auch die Gastronomen haben teilweise Probleme. So suchen zum Beispiel die Besitzer der bekannten Weinstube „Zum Küfer“, die aus gesundheitlichen Gründen ihre Öffnungszeiten bereits drastisch reduzieren mussten, ab Juni einen Pächter, der den Betrieb weiter führt, weil sie in den Ruhestand gehen. Hinzu kommt, dass es in der Gastronomie immer schwieriger wird, Personal zu finden. Auch wenn nach Einschätzung von Sabine Bauder „die schöne Natur der Hauptgrund ist“, der Besucher nach Ihringen lockt, die dort gerne „offline gehen wollen“, so hält sie doch ein „Umdenken und Zukunftsvisionen“ für notwendig, um Gastronomie und Einzelhandel zu stärken. Und davon profitieren auch die Ihringer, deren Zahl sich in den vergangenen Jahren nicht merklich erhöht hat. Seit über zehn Jahren liegt die Einwohnerzahl knapp unter 6000, im Jahr 2016 hat sie diese Marke erstmals überschritten.
Mehr Interessenten als Bauplätze
Ihringen ist ein beliebter Wohnort, auch durch die gute Bahnverbindung nach Freiburg, aber derzeit gibt es keinen neuen Wohnraum. Im Rathaus gibt es eine Liste mit rund 200 Interessenten für Bauplätze, die nur aus dem Ort stammen. „Wohnen ist das Thema, das mich am meisten bewegt“, sagt Eckerle. Im derzeit entstehenden Neubaugebiet „Kehnermatten II“ in Wasenweiler hatten sich 15 Familien um die fünf Bauplätze beworben. Es gibt aber noch die Möglichkeit, das Gebiet zu erweitern, wenn weitere Wohnbaufläche nausgewiesen werden. In Ihringen wurde 2016 das Baugebiet Kaibengasse beschlossen, dort sollen unterhalb des Feuerwehrhauses und einer Fläche für eine mögliche Erweiterung des Seniorenzentrums etwa 50 Bauplätze entstehen. Die Bodenpolitik des Gemeinderates sieht vor, dass die Grundstücke erst von der Gemeinde gekauft und dann an Bauwillige veräußert werden, um so einer Explosion der Preise entgegen zu wirken. Dazu mussten zwar zunächst Schulden aufgenommen werden, die jedoch in absehbarer Zeit wieder ausgeglichen werden können. Außerdem werden die Bauplätze nach sozialen Kriterien anhand eines Punktesystems vergeben, damit vor allem Ihringer Familien zum Zug kommen. „Wachstum ist gut und wichtig, solange von Ihringern selbst Interesse daran besteht“, meint Eckerle. Der neue Bürgermeister ist bislang kein Einwohner seiner Gemeinde. Er wohnt noch in Freiburg, „will und wird“ aber in den Kaiserstuhl ziehen. Damit will er sich auch die Pendelei ersparen, die ihn wertvolle Zeit kostet.
In seinem neuen Job sei zwar vieles so, wie er sich das aus seiner Erfahrung in verschiedenen Verwaltungen vorgestellt hat, womit er aber nicht gerechnet hat: „Dass die Tage so schnell verfliegen, sie dürften länger sein.“ Freizeitaktivitäten muss er angesichts der vielen Termine auf ein Minimum reduzieren. Bei seiner Fußballmannschaft vom TuS Obermünstertal war er seit seinem Amtsantritt nicht mehr im Training und hat auch kein Spiel mehr bestritten. „Vielleicht kann ich ja mal für die Fußball-Nationalmannschaft der Bürgermeister auflaufen“, sagt Eckerle. Schließlich ist der Neuenburger Bürgermeister Joachim Schuster deren Teamchef und der ebenfalls neu gewählte Hartheimer Bürgermeister Stefan Ostermaier (31) von der SG Bremgarten/Hartheim wäre ein weiterer Kandidat, um die Mannschaft zu verjüngen.
Forstliches Arboretum Liliental
Das Liliental ist ein forstliches Versuchsgelände zwischen Ihringen und Wasenweiler, das ein botanisches Kleinod ist mit Raritäten wie dem Mammutbaumwald und besonderen Orchideen, die das Liliental zu einem exotischen Ort machen. Zu den Wanderwegen gehört auch ein Lehrpfad durchs Arboretum. Im Hofgut Lilienhof gibt es die Gaststätte „Zur Lilie“, und es ist auch ein beliebter Ort für Familienfeiern.