Bedrohter denn je, aber auch beliebt wie selten zuvor: Wie wir das Arbeiten und die Erholung in der Natur suchen.
VON RUDI RASCHKE
Die Faktenlage zu unserer neuen Natursehnsucht ist erdrückend: Das Geschäft mit dem einst spießigen Hobby Camping boomt wie nie zuvor. Glitzernde Megacity-Architekten wie Rem Kohlhaas feiern das Landleben als „Platz zum Überleben“.
Der Schwarzwald musste vor den Osterferien sogar vor seiner eigenen Überlastung warnen. Und von München bis Barcelona wird überall nach mehr Grün gelechzt. Die Stadt Paris plant urbane Wälder an der Stelle ihrer Betonflächen. Weil in diesen Tagen, Wochen, Monaten ja nichts mehr ohne Corona vorstellbar ist: Seit der Zeit des ersten Lockdowns wissen wir, dass Natur weit mehr wert ist als nur Jogging- oder Wanderstrecke und ein wenig „daheim ischs auch schön“- Gefühl, wenn man ohnehin nicht weg kann.
Natur ist für viele von uns ja seit mehr als 12 Monaten auch der unverhoffte Radweg, der Biertisch statt des Parkplatzes oder ein Picknick-Gefühl, wenn sonst nichts mehr möglich ist. Natur ist in diesen Tagen aber auch ein Ort für Resilienzsuchende, eher ein Ausgeh- als ein Rückzugsort für alle, die isoliert sind, aber eben auch ein Platz für Gesundheitspflege und Fitness, für gutes Klima und Community.
Gemeinsame Gärten sind vor allem diesen Sommer wieder für Nahrungsspende, Schattenwurf und Einsamkeitsprophylaxe gefragt. Und wir können viel von der Natur lernen: Dass mit ihr nicht zu planen ist, dass sie von der Vielfalt lebt, dass sich mit ihr eben nicht Komplexität reduzieren lässt, wie Städter sich das oft vorstellen. Sondern dass sie echte Agilität, Diversität und spontane Entwicklung bietet.
Gescheite Ökonomie durch Ökologie
Eine der Lehren aus dem Reichtum, aber auch dem Verschwinden von Arten ist nun einmal, dass der Wettbewerb in der Natur quasi als Antrieb der Evolution funktioniert. Auf der Basis ganz unterschiedlicher Varianten. Auch die Wirtschaft braucht den Wettbewerb als Motor. Damit sind wir auch mittendrin in der Debatte um Nachhaltigkeit und die gescheite Ökonomie, die ohne eine gescheite Ökologie nicht mehr möglich ist – der berühmte Biologe Konrad Lorenz hat dies schon in der 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts festgestellt.
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie gibt der Natur zwar die Gelegenheit buchstäblich durchzuschnaufen, mit Pausen beim globalen Verkehr und teilweise auch bei schädlichen Industrien. Trotzdem seien das keine guten Nachrichten, „wenn die Effekte nicht auf grundlegende strukturelle Veränderungen zurück zu führen sind“, sagt Tina Wirnsberger, österreichische Trainerin für nachhaltige Politik und Wirtschaft in Graz:
„Im Gegenteil. Wir müssen sehr gut aufpassen, dass die durch Corona entstehenden wirtschaftlichen Einbußen nicht als Argument zur Verzögerung oder gar Abschaffung von Umwelt- und Klimaschutz dienen.“ In dieser Ausgabe soll es deshalb um Beispiele für ein Wirtschaften mit Flora und Fauna gehen, das auch Unternehmen in Städten etwas Naturnähe verschafft.
Oder eben die Umwelt bei extensivem Rohstoffabbau achtet und den Naturschutz stärkt. Aber auch die Natur als Freizeitaufgabe ist Teil dieses Magazins. Eine Anekdote noch zum Schluss: Wenn man sich an die Entstehung des Nationalparks Schwarzwald zwischen Baden-Baden und Freudenstadt vor mehr als sieben Jahren erinnert, denkt man an eine Idee mit Mehrwert, einen Urwald vor der Haustür, ein besonderes Erlebnis.
Tatsächlich hatten sich die Bürger von sieben benachbarten Gemeinden aus diffusen Naturabneigungen mit Quoten von 64 bis 87 Prozent dagegen ausgesprochen. Die damalige grün-rote Landesregierung schuf im Januar 2014 trotzdem Fakten und gründete den Park. Wer die Geschichten von damals liest, ahnt, dass wir gerade heute ein anderes Verständnis von Natur haben.
Die Sehnsucht nach Arbeit und Freizeit mit der Natur ist groß wie nie.